Unstimmigkeiten über die Regierungspläne gibt es aber auch innerhalb der muslimischen Community. Während der Islamtheologe Mouhanad Khorchide bei der Projektpräsentation an der Seite von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) auftrat, erteilte die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) den Plänen der Ministerin eine Absage. Eine Zusammenarbeit ist laut Präsident Ümit Vural „unzumutbar“.
Grund dafür ist unter anderem der Begriff „Politischer Islam“. „Dieses Framing zeugt von einem Stil des generellen Alarmismus“, sagt Baghajati. „So wird der Fokus allein auf Defizite und, noch schlimmer, sogar Gefährlichkeit gelegt.“ Baghajatis Befürchtung: „Manche versuchen es dann so zu drehen, dass fast jedes Praktizieren von Islam und jedes Sichtbarwerden eine versteckte Agenda haben könnte. Dann steht zu befürchten, dass sich atmosphärisch etwas sehr ungut verändert und man nicht lösungsorientiert an die Sache herangeht.“ Außerdem gebe es laut IGGÖ gar keine einheitliche Definition des „Politischen Islam“.
Bei einer Tagung der IGGÖ kamen Uni-Professoren wie John L. Esposito, Susanne Heine, Richard Potz, Oliver Hidalgo, Rüdiger Lohlker oder Sabine Schiffer 2019 zum Schluss, dass es „keine anerkannte wissenschaftliche Definition des Begriffs“ gebe. Von der Verwendung wurde abgeraten.
Für den Politologen und (nicht unumstrittenen) Islam-Experten Thomas Schmidinger ein unzulässiger Schluss. Seiner Ansicht nach ist es Aufgabe der Dokumentationsstelle, den Arbeitsbegriff zu definieren.
Eigentlich seien sich Ministerium und IGGÖ näher als sie denken, meint Schmidinger. Beide würden jeweils nur die ihnen wohlgesonnenen Experten zurate ziehen. Der Bund etwa Korchide, Vidino oder Heiko Heinisch – die von der IGGÖ als „feindlich eingestellt“ wahrgenommen werden. Die IGGÖ die zuvor genannten. „Unabhängige Wissenschafter waren aber weder bei der Tagung der IGGÖ geladen noch in die Vorbereitung der Dokumentationsstelle eingebunden“, kritisiert Schmidinger. „Beide Seiten sprechen jeweils nur mit jener wissenschaftlichen Blase, die sie betätigt.“ Ein seriöser wissenschaftlicher Austausch käme so nicht zustande.
„Eine der ersten Aufgaben der Doku-Stelle wird es sein, eine brauchbare Arbeitsdefinition von Politischem Islam zu finden“, meint auch die Grüne Faika El-Nagashi.
Sie versteht die Befürchtungen: „Es ist eine Gratwanderung, dass hier nicht etwas verstärkt wird, das auch existiert – antimuslimischer Rassismus“, sagt sie. Daher brauche es neben Wissenschaftlichkeit und Objektivität eine breite Zusammenarbeit – auch mit Muslimen.
Nötig sei ein Diskurs auf Augenhöhe, meint auch Baghajati. „Das ist natürlich alles zusammen auch ein Problem des Nicht-mehr-vertrauen-Könnens. Was wir dringend brauchen, ist ein Diskurs, in dem alle Beteiligten denkfreudig und neugierig sind und in dem beide Seiten zur Selbstkritik bereit sind.“ Im von Ministerin Raab angedachten Rahmen würde alles aber sofort in eine Bestätigung von Feindbildern umgelegt. „Hier sind Polarisierungen entstanden, mit denen es eigentlich unmöglich ist, weiterzukommen.“
Im Integrationsministerium sorgt die Ablehnung der Zusammenarbeit für Verwunderung, die Arbeit will man „selbstverständlich“ dennoch aufnehmen. „Wir unterscheiden ganz klar zwischen dem Islam als Religion und der extremistischen Ideologie des Politischen Islam“, sagt Raab.
„Die Dokumentationsstelle ist keine Stelle gegen Muslime, sondern sie richtet sich gegen die problematischen Netzwerke, Ideologien und Einflüsse auf Vereine aus dem Ausland. Damit stärkt sie auch die Religionsfreiheit in Österreich sowie insbesondere auch jene der Muslime.“
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