„Als vor zwei Jahren hier laufend eingebrochen wurde, hat er immer gesagt, dass er sich schon zu wehren wisse. Von seiner Waffe habe ich nichts gewusst“, erzählt eine Nachbarin zwischen Tür und Angel. Am gegenüberliegenden Tatort sichern Kriminalisten, unterstützt von einem Polizeihund, Spuren rund um das Wohnhaus. Der mutmaßliche 47-jährige Einbrecher, dessen Schusswunde Montagabend im Spital ambulant verarztet worden war, ist mittlerweile in die Justizanstalt St. Pölten überstellt. Sein Komplize, der ihn wie berichtet auf der Flucht im Nachbarort aus dem Auto steigen ließ, blieb trotz Großfahndung unentdeckt.
Der 65-jährige Hausbesitzer ist ob des Medienandrangs wortkarg. „Wenn ich eine Pistole in der Hand habe, habe ich keine Angst. Ich hatte eine richtige Verteidigung in der Hand“, sagt er zum ORF NÖ. Gezielt habe er auf die flüchtenden Einbrecher aber nicht. Gegenüber dem KURIER bestätigte der Mann, dass die Schüsse „vom Zimmer hinaus ins Freie“ gerichtet waren. „Ich bin jederzeit bereit, mein Haus zu verteidigen“, wird der Schütze noch zitiert.
Doch ganz so einfach stellt sich die Lage beim Check der Notwehrgesetze nicht dar:
Wo beginnt Notwehr, wie kann man sich darauf berufen?
„Die Notwehrsituation beginnt, wenn ein Angriff auf Leben oder Gesundheit, Freiheit oder Vermögen unmittelbar droht“, sagt Strafverteidiger Philipp Wolm. Der bloß in der Zukunft drohende – aber noch nicht unmittelbar bevorstehende – Angriff berechtigt nicht zur Notwehr. Dies gilt auch dann, wenn ein nachfolgender Angriff mit Sicherheit zu erwarten ist.
Sind zur Verteidigung auch Waffen erlaubt?
In bestimmten Situationen kann auch der Einsatz von Waffen – selbst wenn er zum Tode führt – zulässig sein, wenn dieser notwendig ist, um den Angriff verlässlich und endgültig abzuwehren. „Dabei spielt es keine Rolle, ob man die Waffe legal oder illegal besessen hat“, betont Wolm. 2006 wurde in Salzburg ein Asylwerber aus Russland freigesprochen, der während einer Messerstecherei in Hallein einen Tschetschenen erschossen hatte. Dass die Waffe illegal war, hatte keinen Einfluss auf das Verfahren.
Was ist mit dem viel zitierten Warnschuss? Muss einer verpflichtend abgegeben werden?
Laut dem Wiener Rechtsanwalt und Experten für Waffenrecht, Raoul Wagner, darf ein Warnschuss nur dort abgegeben werden, wo ein entsprechender Kugelfang existiert. In einem Haus sei ein Warnschuss wegen der Gefahr eines Querschlägers nicht angebracht.
Welche Strafen können bei einer ungerechtfertigten Notwehr drohen?
Hat das Tatopfer die Grenzen gerechtfertigter Notwehr bloß aus Furcht oder Schrecken überschritten, kann es für die dabei erfolgte Verletzung des Angreifers nur bestraft werden, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruhte. Handelte das Opfer aus Furcht, dann ist der Strafrahmen erheblich geringer (z. B. Fahrlässige Tötung statt Mord). Lag aber gar keine Notwehrsituation vor, also war der Angriff beispielsweise schon beendet, dann haftet das Opfer nach dem entsprechenden Vorsatzdelikt. Eine Anklage wegen Mordes oder Körperverletzung ist dann möglich.
Damit kann auch eine lebenslange Haftstrafe verhängt werden.
Wie viele Menschen besitzen in Österreich eine Waffe?
Die Zahl der in Österreich registrierten Waffen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Mit dem Stichtag 1. Jänner 2019 waren im Zentralen Waffenregister 1.056.203 Pistolen, Revolver, Büchsen und Flinten vermerkt. Die Millionen-Grenze wurde bereits im Jahr 2017 geknackt, die meisten Waffenbesitzer befinden sich in Niederösterreich.
Im Zuge der Flüchtlingskrise war der Ansturm von Privatpersonen auf Waffen zur Selbstverteidigung besonders groß. Ist das immer noch so?
Laut Lukas Bauer vom Fachhandel für Waffen, Munition & Ausrüstung „Store Safe People“ ist diese Nachfrage nach Waffen zur „Haus- und Hof-Verteidigung“ deutlich zurück gegangen. Dafür ist eine deutliche Zunahme beim Verkauf von Pfeffersprays und anderer Abwehrartikel zu erkennen. Gerade Eltern kaufen diese, ab 18 Jahren freigegebenen Selbstverteidigungs-Utensilien, vermehrt für ihre Kinder.
Hätten Sie es gewusst?
Fall 1: Zwei Einbrecher steigen in ein Wohnhaus ein, der Besitzer kommt nach Hause, bemerkt den Einbruch und holt seine (illegale) Pistole aus dem Schlafzimmer. Die beiden Einbrecher ergreifen die Flucht, noch ehe sie Beute machen konnten. Die Täter befinden sich bereits im Garten, als der Hausbesitzer mehrere Schüsse auf sie abgibt und einen Mann am Oberschenkel trifft.
Lösung: Keine Notwehr. Es gab keinen Angriff mehr auf Leib, Leben oder Eigentum des Hauseigentümers, die Täter waren bereits auf der Flucht. Sie hatten auch keine sichtbare Beute bei sich. Strafbarkeit wegen Körperverletzung. Zusätzlich Strafbarkeit wegen des illegalen Waffenbesitzes.
Fall 2: Zwei Einbrecher bedienen sich gerade aus dem Tresor, als der Hausbesitzer heimkehrt und die Männer überrascht. Die Täter ergreifen die Flucht mit dem üppigen Inhalt des Tresors. Der Hausbesitzer greift zur Waffe und schießt nach, er trifft einen Mann am Oberschenkel.
Lösung: Notwehr. Der Hausbesitzer hat das Recht, sein Eigentum – in dem Fall den Inhalt des Tresors – zu schützen. Dafür darf er alles tun, was notwendig ist, um diesen Angriff sicher abzuwenden. Ein Warnschuss wäre wohl nicht ausreichend sicher gewesen. Der Schuss ist hier wohl das einzige Mittel. Befinden sich im Haus hingegen kaum Wertgegenstände, sodass die Beute nur sehr geringfügig ist, wäre ein Nachschießen unzulässig. Allerdings ist nicht ganz klar, bis zu welcher Summe von einer solchen Geringfügigkeit auszugehen ist (100 Euro?, 300 Euro?, 1.000 Euro?). Dieselbe Lösung gilt, wenn der Hausbesitzer den Davonlaufenden im Kopf trifft und dieser daraufhin stirbt. Ein perfektes Zielen ist bei einer laufenden Person nicht möglich.
Fall 3: Der Hausbesitzer überrascht zwei Einbrecher, die gerade den Tresor öffnen wollen. Er steht den Männern direkt gegenüber. Er greift zu seiner Waffe, zielt auf den Kopf eines Einbrechers und trifft. Der Mann stirbt.
Lösung: Zwar liegt hier eine Notwehrsituation vor, daher darf sich der Hauseigentümer wehren. Allerdings erscheint der gezielte Schuss in den Kopf des Täters in einer solchen Situation als Überschreitung des Erlaubten, weil der Angriff anders genauso sicher abgewehrt werden kann. In einem solchen Fall einer Notwehrüberschreitung haftet der Hauseigentümer wegen Mordes – es sei denn, er tat dies aus Angst, dann wäre es fahrlässige Tötung.
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