Vom PISA-Nachzügler zum Musterschüler: Was Österreich von Hamburg lernen kann
Finnland oder London dienen oft als Vorbild für eine erfolgreiche Schulreform. Dabei gibt es dort Voraussetzungen und Traditionen, die man nicht so einfach auf Österreich übertragen kann. Anders ist das mit Hamburg, wo das Schulsystem durchaus mit dem österreichischen vergleichbar ist – in Deutschland hat jedes Bundesland seine eigene Bildungspolitik.
Die Hansestadt rangierte bei nationalen und internationalen Bildungstests wie PISA immer auf den hinteren Plätzen, mittlerweile aber auf den vorderen Rängen – und das bei einer Schülerschaft, die mit der Wiens vergleichbar ist: Rund 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben Migrationshintergrund, viele stammen aus armen Elternhäusern. Ein Gespräch mit Bildungswissenschafter Marcus Pietsch von der Leuphana Universität in Lüneburg über die Hamburger Reformen.
KURIER: Es gab eine Fülle von Maßnahmen, um die Schule zu verbessern. Waren einige besonders effektiv?
Marcus Pietsch: Die Grundlage des Erfolgs wurden meines Erachtens in den 1990er-Jahren gelegt. Damals hat man begonnen, Politik aufgrund evidenzbasierter Daten zu machen: Man hat zum Beispiel Daten aus Lernstandserhebungen genutzt, um zu schauen, in welchen Klassen und Schulen Unterricht erfolgreich ist und wo weniger. Man hat das auch formalisiert: Ein Paragraf im Schulgesetz garantiert seit einigen Jahren, dass man solche Daten erheben und für Schulentwicklungsmaßnahmen nutzen darf. Dazu kam ein Schwenk in der Grundhaltung aller Beteiligten – Lehrkräfte, Schulleitungen, Behörden und Ministerium ziehen gemeinsam an einem Strang. In anderen Bundesländern beobachten wir oft, dass die Ministerien Vorgaben machen, die die Lehrkräfte ablehnen – das funktioniert dann nicht.
Die Idee, dass man von jeder Klasse die Schülerleistungen misst, führte sicher zu Widerständen.
Anfangs schon, auch weil sich viele Lehrkräfte kontrolliert fühlten, wenn jemand von außen ihren Unterricht besucht hat und Daten erhoben wurden. Aber die Verantwortlichen blieben hartnäckig und haben auch auf Dialog gesetzt. Zur Akzeptanz hat sicher beigetragen, dass die Lernstandserhebungen – in Hamburg KERMIT – nicht von den Lehrkräften, sondern von Externen durchgeführt wurden. Pädagogen hatten so nicht den Eindruck, in ihrer eh knapp bemessenen Zeit etwas machen zu müssen, das mit dem Unterricht nichts zu tun hat.
Gab es Sanktionen für Lehrpersonen, deren Unterricht nicht zielführend war?
Nein, denn die Daten sind nicht dazu da, um Lehrpersonen zu bewerten, sondern um sie in ihrer Pädagogik zu unterstützen, also Schule und Unterricht zu verbessern und das Lernen aller Schüler zu befördern.
Sie betonen, wie wichtig ein guter Unterricht ist. Was verstehen Sie darunter?
Ein guter Unterricht ist lernförderlich und holt die Kinder dort ab, wo sie stehen. Ganz wichtig ist die Einstellung aller in der Schule Arbeitenden, dass sie das Beste für das Kind wollen und Chancen ermöglichen. Deshalb treffen die Verantwortlichen regelmäßig zusammen und überlegen, was man besser machen kann. Klares Ziel ist, dass Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen vorrangig vermittelt werden müssen. Der Weg ist: Üben, üben, üben. Das klingt strukturkonservativ, aber funktioniert.
Städte wie Hamburg oder Wien stehen aufgrund der Zusammensetzung in den Klassen vor besonderen Herausforderungen.
Darauf hat man im Hamburg mit einem Sozialindex reagiert. Wo es besonders viele Kinder aus armutsgefährdeten Häusern gibt, erhalten Schulen mehr Geld. Dort sitzen dann zum Beispiel statt 23 maximal 19 Kinder in einer Klasse. Es gibt aber auch viele sehr gute Programme, insbesondere das Projekt „D23+ starke Schulen“, in dem alle Akteure wissenschaftsgestützt zusammenarbeiten und speziell abgestimmte Beratungs- und Fortbildungsangebote erhalten.
Ob eine Schule erfolgreich ist, hängt dabei besonders von der Leitung ab.
Ja, das sehen wir auch in Hamburg. Deshalb gibt es hier viele Maßnahmen. Im Projekt „D23+ starke Schulen“ z. B. vernetzen sich Schulleitungen von herausfordernden Standorten und unterstützen sich gegenseitig, sie erhalten aber auch Hilfe von den Behörden. Im parallel dazu laufenden Projekt „Grundschule voraus“ wiederum werden Grundschul-Lehrkräfte vorab für die Tätigkeit als Grundschulleitung qualifiziert, wobei ein explizites Ziel das Herstellen von mehr Bildungsgerechtigkeit ist.
Aus der Forschung weiß man, dass Ganztagsschulen nur etwas bringen, wenn es für sie ein gutes Konzept gibt. Wie sieht es da in Hamburg aus?
Besonders in Grundschulen wurde in qualitativ gute Ganztagsangebote investiert, wo die Kinder auch bei den täglichen Hausübungen betreut werden. Sie ist für alle Kinder von 8 bis 16 Uhr kostenlos. Zusätzlich gibt es Forder- und Förderangebote. Man konzentriert sich also nicht nur auf die Schwachen.
Inwieweit profitieren die Schwachen von den Reformen?
Ihr Anteil hatte sich bis zur Corona-Pandemie generell leicht reduziert. Aber auch in Hamburg haben die Schulschließungen während der Pandemie Spuren und Verwerfungen hinterlassen, wobei die nicht so auffällig sind wie in anderen Bundesländern.
Gibt es weitere Maßnahmen, die sich als besonders effizient erwiesen haben?
Bei jedem Kind wird im Alter von viereinhalb Jahren einen Sprachstandserhebung durchgeführt – gibt es Defizite, wird es entsprechend gefördert. Die Kinder nehmen dann verpflichtend an einer zusätzlichen Sprachfördermaßnahme in einer Vorschulklasse oder in einer Kita teil. Entsprechend hat man für kostenlose Kindergartenplätze in ausreichender Menge gesorgt. Dort lernt man natürlich auch Verhaltensweisen, die für die Schule wichtig sind.
Bildungsdebatten sind oft auch ideologisch aufgeheizt. Wie kann man dem begegnen?
In Hamburg hat man parteiübergreifend einen Schulfrieden beschlossen. Der sieht vor, dass an der bestehenden Schulstruktur nichts verändert wird – unabhängig davon, wer künftig die Regierung stellt. Zudem wurden Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität sowie eine gleiche Besoldung der Lehrer aller Schulformen vereinbart. Vieles wurde systematisiert und auch formalisiert. Der Pakt wurde 2010 unterzeichnet und jetzt bis 2025 verlängert.
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