Es ist eine Schule ohne Klassenzimmer, ohne Hausübungen und ohne Schulbücher. „Was wir aber haben, sind sehr gute Lernerfolge“, sagt Stefan Ruppaner.
Der 64-Jährige ist Direktor der Alemannenschule in Wutöschingen. Sie ist der Grund dafür, dass Delegationen aus der ganzen Welt in die 7.000-Seelen-Gemeinde in Baden-Württemberg reisen, um zu lernen, wie die Schule der Zukunft aussehen könnte. Diesmal zu Gast: Vertreter der bildungspolitischen Abteilung der Österreichischen Wirtschaftskammer, begleitet von Bildungsexperten Andreas Salcher.
Besucher, die im klassischen Bildungssystem groß geworden sind, sind zunächst vielleicht etwas orientierungslos, wenn sie durch die modernen, lichtdurchfluteten Trakte des Schulhauses spazieren, in denen mehr als 700 Schüler ab der fünften Schulstufe bis zum Abitur gemischt unterrichtet werden.
Wobei „unterrichtet“ nur unzureichend beschreibt, was hier passiert: Schüler stehen oder sitzen alleine oder in Kleingruppen mit, aber meist ohne Lehrer (die hier „Lernbegleiter“ heißen) in den großräumigen „Lernateliers“, oder „Clubräumen“ und gehen ihre Lernunterlagen am Tablet durch.
„Unterricht ist der Anfang allen Übels“, lautet das provokante Credo Ruppaners. Soll heißen: Durch den Frontalunterricht in herkömmlichen Schulen bleibe keine Zeit für das eigentliche Lernen.
Selbstorganisiert
Die Alemannenschule setzt daher auf selbstorganisiertes Lernen. Klassischer Unterricht findet nur mehr in sporadischen, freiwilligen „Input“-Einheiten statt. Im Wesentlichen erarbeiten sich die Schüler den Lernstoff mit ihren multimedialen Unterlagen aber selbst. Die Lernbegleiter stehen zur Verfügung, wenn sie Hilfe brauchen. Die Kinder bestimmen selbst, wann sie welches Fach durchnehmen und wann sie den nötigen Leistungsnachweis („Gelingensnachweis“) absolvieren, um die definierten Lernziele zu erreichen. Zentrales Element auf dem Weg dorthin ist das fächerunabhängige 15-minütige Coaching, das jeder Schüler einmal pro Woche bei einem ihm fix zugewiesenen Lehrer absolvieren muss. „Die menschliche Führung steht im Mittelpunkt. Die fachlichen Leistungen resultieren daraus“, erklärt Ruppaner die Idee dahinter.
Zweite Säule des Konzepts der Alemannenschule ist „Lernen durch Erleben“ – mit Unterrichtseinheiten im Wald, am Bauernhof oder im Gemeinderat.
„Man hat auf den ersten Blick den Eindruck, dass die Kinder hier nichts tun“, sagt Ruppaner, nur um dann auf die aktuellen Schulvergleichsstudien zu verweisen. Ob in Englisch, Lesen oder Mathematik – überall liegt die Alemannenschule deutlich besser als der Schnitt der anderen Schulen in Baden-Württemberg.
Dabei ist die heutige Vorzeige-Schule aus einer Notlage heraus entstanden. Der alten Hauptschule drohte mangels Schülern die Schließung, also entstand die Idee zur Gemeinschaftsschule mit selbstorganisiertem Lernen – ein Konzept von dem die Gemeindepolitik erst überzeugt werden musste. Heute steht sie voll hinter dem Projekt – nicht zuletzt wegen der gut ausgebildeten Jugendlichen für die lokalen Betriebe.
Wenige Nachahmer
Anderswo ist die Skepsis noch groß: Die Alemannenschule hat erst wenige Nachahmer in Deutschland gefunden. „Vermutlich, weil Bildung der letzte Bereich ist, in dem noch Planwirtschaft herrscht“, sagt Ruppaner. „Aber vielleicht wird aufgrund der aktuellen Pisa-Ergebnisse klar, dass der jetzige Weg nicht der richtige war.“
„Die Erfolge der Alemannenschule zeigen, was ein mutiger Bürgermeister und ein engagierter Schulleiter, unterstützt durch die lokale Wirtschaft und Vereine, bewirken können“, sagt Wirtschaftskammer-Vizepräsidentin Amelie Groß. Ähnlich auch Experte Salcher: „Die enge Kooperation zwischen Schule und den Gemeinden ist essenziell.“
Kommentare