Versteckspiel mit Kripo-Akten

Der Bruder eines toten Oberst pokert mit dem Innenministerium.

So rasch wie geplant kann die Kampusch-Evaluierungskommission im Innenministerium mit ihren Unterstützern vom amerikanischen FBI und dem deutschen Bundeskriminalamt die Überprüfung der Entführungsaffäre nicht abschließen. Denn der Bruder eines toten Kriminalpolizisten hält angebliche Beweismittel zurück, weil er sie in einem Enthüllungsbuch vermarkten will.

Am 25. Juni 2010 erschoss sich in Graz der damals 59-jährige Kripo-Oberst und vormalige Kampusch-Chefermittler Franz Kröll. Sein Bruder, der Gärtner Karl Kröll, entnahm aus der Wohnung des toten Oberst einen Daten-Stick mit Kampusch-Unterlagen, einen Laptop und angeblich auch Geld.

Kröll wurde dafür zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Denn Kröll behauptet, der Bruder habe ihm noch zu Lebzeiten aufgetragen, dass er „die Sachen sichern und weiterführen“ soll, wenn ihm etwas passiere.

Seitdem lebt der 57-jährige Gärtner angeblich nur noch für eine Mission: Er will beweisen, dass der Bruder umgebracht wurde und dass Natascha Kampusch Opfer eines Kinderpornoringes war. Eine SMS an seine Schwester, wonach die Unterlagen des Bruders 125.000 Euro von Zeitungen bringen würden, bezeichnete er vor Gericht als „Scherzchen“.

Krölls Mehrtätertheorie mit Kinderporno-Hintergrund baut im Wesentlichen auf der Beobachtung der Zeugin Ischtar A. auf. Das damals 13-jährige Mädchen hatte die Entführung beobachtet und anfangs von zwei Entführern gesprochen.

Aussprache

Am 4. Dezember 2009 relativierte aber Ischtar A. während einer Aussprache mit Natascha Kampusch im Bundeskriminalamt ihre Beobachtung – und zwar im Beisein von Chefermittler Franz Kröll. Die Aussprache endete mit folgendem Aktenvermerk: „Ischtar A. brachte gegenüber dem CI Linzer vor, dass sie jetzt endlich ruhig schlafen könne, zumal es wirklich nur einen Täter gegeben habe und sie sich offensichtlich geirrt haben muss.“

Wenige Tage später übermittelte Kröll seinen Abschlussbericht ans Innenministerium mit der Bemerkung, dass es „bedauerlicherweise ohnehin keine wirklich zielführenden Ermittlungsansätze gegeben“ habe. Dass nun auch mit der Aussage von Ischtar A. das wesentliche Indiz für allfällige Komplizen weggebrochen war, kümmerte Kröll wenig. Er ermittelte auf eigene Faust noch ein halbes Jahr weiter.

Die angeblichen Ermittlungsergebnisse sind nun das Faustpfand des Bruders. Dass diese über einen brauchbaren Beweis verfügen, will im Innenministerium niemand glauben. Wie sollte der Kripo-Oberst privat und ohne Akteneinsicht einen zustande bringen? Die bisherige Überprüfung der insgesamt 270.000 Seiten umfassenden Kampusch-Akten hat keinen neuen Erhebungsansatz zu einem weiteren Täter gebracht.

Versteckspiel

Aber so lange nicht alle Papiere auf dem Tisch liegen, können die Aktendeckel nicht geschlossen werden. Der Abschluss wird aber durch ein seltsames Versteckspiel hinaus gezögert. Denn immer wieder landen am Postweg Aktenauszüge von Kröll beim FBI und beim BKA, mit dem Vermerk, dass man noch mehr habe.

Warum legt Kröll nicht alles auf den Tisch? Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium: „Die Kommunikation ist sehr schwierig.“ Kröll misstraut den Behörden und fühlt sich verfolgt. Die Polizei würde sein Telefon abhören und ihn observieren. „Sie fahren mir sogar mit einem bulgarischen Lkw nach.“ Kröll nennt auch noch ein weiteres Motiv: Er brauche noch exklusive Unterlagen für ein Enthüllungsbuch, das er in den kommenden Wochen herausbringen wolle. Einen professionellen Ghostwriter habe er schon gefunden.

Eine endlose Affäre

Entführung Am 2. März 1998 wurde die damals zehnjährige Natascha Kampusch vom arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt. Am 23. August 2006 konnte sie flüchten.

Kommissionen Die Adamovich-Kommission und ein parlamentarischer Untersuchungssauschuss beschäftigten sich mit angeblichen Ungereimtheiten bei der Aufklärung. Jetzt soll eine weitere Kommission im Innenministerium endgültige Klarheit bringen.

Die Staatsanwaltschaft Linz ermittelt gegen einen Polizisten, der versucht hatte, einem Mädchen eine Haarsträhne abzuluchsen. Er soll dazu von Verfechtern der Mehrtätertheorie angestiftet worden sein, die beweisen wollen, dass Natascha Kampusch in der Gefangenschaft ein Kind bekommen hätte.

Karl Kröll zeigte Behörden und Staatsanwälte an. Der leitenden Innsbrucker Staatsanwältin Brigitte Loderbauer wirft er Amtsmissbrauch vor. Und das Stadtpolizeikommando Graz und die Tatortgruppe Steiermark sollen bei der Aufklärung des Selbstmordes seines Bruders nachlässig gewesen sein. Ausgearbeitet wurden die Anzeigen von seinem Rechtsanwalt und BZÖ-Mandatar Ewald Stadler.

In Krölls Fadenkreuz befinden sich aber auch Kriminalisten des Bundeskriminalamtes, die in eine „Verschwörung“ verstrickt sein sollen. Dazu kommen auch noch die inzwischen eingestellten Verfahren gegen Staatsanwälte, denen ebenfalls „Verschwörung“ unterstellt wurde.

Karl Kröll selbst ist noch mit der Bekämpfung des Urteils aus Graz beschäftigt, das ihm die „Sicherstellung“ der Unterlagen eingebracht hat.

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