Warum so viele Radfahrer in Wien vom Rad fallen
Im Wien der 1980er-Jahre, Helmut Zilk war zu jener Zeit polternder Bürgermeister, der ÖAMTC noch ein deklarierter Autofahrerclub und zwei Radfahrer vor einer roten Ampel galten bereits als Fahrraddemo, zu jener Zeit gab es solche Probleme nicht.
Dabei gab es auch damals Radler, die von ihrem Radl fielen. Aber es waren wenige, daher interessierten sie den Touringclub nicht wirklich. Verständnislos die Blicke der damaligen ÖAMTC-Granden, wenn ein Journalist wagte, mit seinem Rad vorzufahren und eine Frage zum Thema sanfte Mobilität zu stellen.
Achtung, Kreuzung!
Sehr lange her. Heute führt an uns Stadtradlern nicht mal im (zugegeben warmen) Februar ein Weg vorbei, ist eine äußerst emsige Verkehrsstadträtin bei der Präsentation jedes noch so kurzen Radwegs zur Stelle, selbst wenn der erst in zwei Jahren gebaut wird.
Beim ÖAMTC macht man sich indes Sorgen, mit einem Blick auf die aktuellen Daten der Fahrrad-Unfallstatistik wohl völlig zu Recht.
Man sieht es schon jetzt im Februar: Statt zwei einsamen stehen zehn, zwölf und mehr Radfahrer vor einer Kreuzung, öfters nicht in einer Reihe, und immer wieder findet sich ein Rad-Rowdy, der sich nicht hinten einreihen und rote Ampeln nicht akzeptieren mag.
Dazu passen die Zahlen des Statistikers David Nosé. Der hat festgestellt: „In Wien dominieren – anders als in Gesamt-Österreich – mit 40 Prozent die Kreuzungsunfälle.“ Sie haben sich seit 2014 fast verdoppelt (auf 697).
Wer den wilden Jagden von Möchtegern-Rennradlern etwa entlang des Rings oder des Donaukanals versucht auszuweichen, den wird auch die Verdoppelung bei Unfällen mit Fußgängern (2022: 222 Mal) nicht verwundern.
Achtung, E-Bikes!
Auch hat das E-Bike als ein Verkaufsschlager des Wiener Fahrradhandels zu einem neuen Kräfteverhältnis auf den oft schmalen Radwegen in der Bundeshauptstadt geführt. Ellen Dehnert, die für den ÖAMTC E-Bike-Kurse hält, spricht vom „Moment, in dem die Augen größer und die Knöchel der Hände von deren Verkrampfung weiß werden“. Manchmal fallen die oft älteren E-Biker vom Rad, weil sie mit dem hohen Tempo nicht mehr zurechtkommen oder zu fest die giftige Vorderbremse ziehen.
Ellen Dehnert kritisiert, was man auch mit freiem Auge sieht: Speziell bei älteren Semestern fehlt die dringend nötige Einschulung auf ihr batteriebetriebenes Fahrrad, das deutlich schwerer ist und eine höhere Geschwindigkeit erlaubt als Räder ohne Motor.
E-Bike-Kurse: Der ÖAMTC bietet heuer zum achten Mal kostenlose Kurse für angehende E-Biker in Wien an. Jeweils an Freitagen: 12. April, 3. Mai, 17. Mai,14. Juni. Infos hier. Anmeldung unter: 01/71199- 21751.
Wien ist anders: In Wien als Großstadt dominieren – anders als in Gesamt-Österreich – mit 40 Prozent die Kreuzungsunfälle, gefolgt von Unfällen mit Fußgängern und im Richtungsverkehr – mit je 13 Prozent.
1.752 Unfälle insgesamt gab es im Jahr 2022.
Fatal ist auch, wenn sich zwei Radfahrende aufeinander zubewegen und beim Vorbeifahren berühren, in der Fachsprache der Unfallstatistik Begegnungsverkehr genannt (2022: 165 Unfälle).
Auf etlichen alten Wiener Zwei-Richtungs-Radwegen (Teile des Gürtelradwegs) sind solche Kollisionen aufgrund der zu geringen Breite weiterhin vorprogrammiert.
Achtung, Autotüren!
Gefürchtet bei Stadtradlern sind parkende Autos. In den 1980er-Jahren hätte man das „Doring“ leicht als das Besuchen eines Rock-Konzerts der „Doors“ falsch interpretieren können, heute sind die Radfahrer gewarnt: Wenn plötzlich eine Autotür aufgeht, sind schwere Stürze selbst für erfahrene Stadtradler nicht mehr zu vermeiden.
ÖAMTC-Statistiker David Nosé appelliert aber auch an die Eigenverantwortung der Radfahrer, und er kann das mit Zahlen begründen: „Die Unfallursache ,Missachtung Gebote & Verbote‘ hat sich zuletzt fast verdoppelt.“ Ein Plus von 255 Prozent hat er bei Unfällen entdeckt, die mit Alkohol-, Drogen- und Medikamentenkonsum begründet werden können.
Insgesamt haben Wiens Radfahrer auch ein Achtsamkeitsproblem: Wer je in norddeutschen, niederländischen und skandinavischen Städten mit dem Rad unterwegs war, weiß, dass man selbst in der langen Kolonne ohne Hektik sein Ziel erreichen kann. Allerdings hat dort das Rad oft Vorfahrt vor dem Automobil.
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