Terrorexperte Stockhammer für mehr Befugnisse für Verfassungsschutz

FILES-US-ATTACKS-9/11-ANNIVERSARY-DIPLOMACY
Seit der Pride-Parade und dem mutmaßlich vereitelten Anschlag wird wieder vermehrt über den Zugriff auf Messenger-Dienste diskutiert.

Der Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer hat sich bei einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend für mehr Befugnisse für die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ausgesprochen. Deren Direktor Omar Haijawi-Pirchner fordert seit längerem die Möglichkeit des Zugriffs auf Messenger-Dienste. Der mutmaßlich vereitelte Anschlag auf die Pride-Parade habe "die Notwendigkeit einer Diskussion um die Befugnisse der DSN offenkundig werden lassen", sagte Stockhammer.

Ein Nachrichtendienst wie die DSN brauche gewisse Befugnisse, um nicht von Tipps ausländischer Partnerdienste abhängig zu sein, sagte Stockhammer (Research Cluster "Counter-Terrorism") bei einem Symposium zu "Aktuellen Herausforderungen der inneren Sicherheit" im Innenministerium.

➤ Mehr lesen: Nach verhindertem Pride-Attentat: "Sind im Vergleich zu anderen Behörden taub"

Der Zugriff auf Messenger-Dienste wie Telegram sei international üblich, in Österreich rechtlich aber nicht möglich. "Österreich ist Schlusslicht in Europa, was die Befugnisse des Nachrichtendienstes betrifft." Auch bei den drei am Tag der Pride in U-Haft genommenen jungen Männern - mittlerweile wurden alle wieder enthaftet - stützte sich die DSN auf Informationen eines ausländischen Partnerdienstes.

Terroristen seien darauf trainiert, "die Lücken unserer Sicherheitsbehörden zu finden. Sie wissen genau was wir können und dürfen." Diese Lücken - etwa dass es möglich sei Telefonate über das Telefonnetz, nicht aber über Messenger-Dienste abzuhören - gelte es zu schließen.

"Mediale Panikmache"

"Die mediale Panikmache des Staatstrojaners hat aber eine sachlich basierte Diskussion unmöglich gemacht", so Stockhammer. Grundrechte seien wesentlich und müssten berücksichtigt werden, das eine schließe jedoch das andere nicht aus.

➤ Mehr lesen: Wer hat den Pride-Anschlag geplant? Eine Spurensuche

Dem schloss sich naturgemäß auch Alexander Figl, Abteilungsleiter in der DSN an: "Es kann nicht sein, dass nur durch digitalen Fortschritt Islamisten an Freiheiten gewinnen. Telefonüberwachungen (über das Telefonnetz, Anm.) waren nichts besonderes. Ist es nicht notwendig, die Freiheit des einzelnen zu beschränken, um die Freiheit der Allgemeinheit zu sichern?", fragte er sich und das Publikum. "Um eine Gefahr abzuwehren, muss ich eine Gefahr sehen."

Er betonte aber auch, dass sich das "Gesicht des Terrorismus" stark geändert habe. So werde dieses jünger, aber auch immer weniger ideologisch. "Wir hatten Personen, die im Bereich des Rechtsextremismus beobachtet wurden, und sechs Monate später im Bereich des Islamismus."

➤ Mehr lesen: Möglicher Anschlag auf Pride: Am Ende des Regenbogens

Während der IS und in Afghanistan beispielsweise als zum größten Teil zurückgedrängt gelte, rufe der in Süd- und Zentralasien aktive "Islamischen Staat in der Provinz Khorasan" (ISKP) zu niederschwelligen Ansätzen gegen den Westen auf. "Ihnen genügen Messerstiche." Anschläge mit wenig logistischem Aufwand seien auch für den Verfassungsschutz besonders schwer zu vermeiden.

"Influencer-Preacher"

Auch die drei jungen Männer sollen einer Telegram-Gruppe angehört haben, deren Mitglieder sich dem ISKP zugehörig gefühlt haben sollen. Allgemein gelte, dass sich junge Männer immer mehr in Chatgruppen über Regionen und Ländergrenzen hinweg vernetzen, betonte Figl. Zur Radikalisierung beitragen würden "Influencer-Preacher" auf der Plattform Tiktok, also Prediger, die in 60-90-sekündigen Videos erklären, wie der Koran auszulegen sei.

Den Rest erledige dann der Algorithmus, so Stockhammer: "Wenn ich als Extremist etwas suche, kommt immer mehr und mehr."

"Die drei großen sicherheitspolitischen Herausforderungen sind der Extremismus und Terrorismus, organisierte Schlepperkriminalität und Asylmissbrauch und die hohen Zuwachsraten bei Cybercrime", eröffnete Karl Hutter, Sektionschef im Innenministerium das Symposium in Vertretung von Innenminister Gerhard Karner.

Dieser musste - wie auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) - aufgrund einer spontan einberufenen Sitzung des nationalen Sicherheitsrates aufgrund der Situation in Russland absagen. So geschehe jede Minute ein Cyberdelikt, man beobachte "Zuwachsraten von 30 Prozent pro Jahr", betonte Hutter.

Kommentare