Sie gehen mit Messern, Reizgas und Schusswaffen aufeinander los. Mitten in der Stadt – in Parks, am Bahnhof, zwischen Marktständen. „Bald beginnt offiziell Bürgerkrieg zwischen Türken und Syrer“, heißt es in einer Telegram-Gruppe, wo sich die Jugendlichen organisieren und gegen ihre Feinde hetzen.
Seit es in Wien innerhalb von nur einer Woche zu drei Straßenschlachten zwischen rivalisierenden Gruppen aus dem migrantischen Milieu gekommen ist, geht die Angst vor einer Eskalation um. Man denkt an die Pariser Vororte. Oder an Schweden, wo Morde am helllichten Tag und auf offener Straße die Menschen nicht mehr schockieren.
Tschetschenen und Türken auf der einen, Syrer und andere Araber auf der anderen Seite schließen sich spontan zusammen und kämpfen auf Wiens Straßen um die Vorherrschaft im öffentlichen Raum und um ihre Ehre. Trotz ihrer Rivalität eint sie vieles: Sie alle sind junge Männer mit Migrationshintergrund, oft sozial abgehängt und gewaltaffin.
Während die meisten von dieser erschreckenden Entwicklung überrascht wurden, hat der Evolutionsbiologe Martin Fieder von der Universität Wien damit gerechnet. Und zwar schon 2015, dem Jahr der großen Fluchtbewegung aus Syrien, Afghanistan und dem Irak nach Europa. Denn es kamen überproportional viele Männer, der Anteil lag laut Fieder zwischen 63 und 68 Prozent – je nach Herkunftsregion. Und die Forschung zeigt: „Gibt es einen Überhang an jungen, schlecht gebildeten Männern, wird die Gesellschaft instabil und die Kriminalität nimmt zu“, sagt er.
Das wisse man aus China und Indien, wo es aufgrund vieler Abtreibungen weiblicher Föten schon länger einen hohen Männeranteil gibt. „Normalerweise kommen 101 Männer auf 100 Frauen. In China gibt es bei den 15- bis 35-Jährigen ein Geschlechterverhältnis von 111 Männern zu 100 Frauen“, sagt der Evolutionsbiologe. In Österreich seien es aktuell 105 zu 100, in Deutschland bereits 108 zu 100.
Generell bilden junge Männer jene Bevölkerungsgruppe, die am häufigsten kriminell wird. Das zeigt jede Kriminalstatistik. Im Fall von unausgewogenen Geschlechterverhältnissen gepaart mit geringem Bildungsgrad komme die Frustration dazu, keine Partnerin zu finden. Martin Fieder: „Die einzige Möglichkeit, sozialen Status zu erreichen, sehen einige nur in Gewalt.“ Das sei übrigens unabhängig von Kultur und Religion, ist der Evolutionsbiologe überzeugt. „Immer den Islam in den Fokus zu stellen, verkennt das Problem.“
Das Streben nach Status sieht auch Migrationsforscherin Judith Kohlenberger als zentrales Motiv, sich an den Straßenschlachten zu beteiligen.
Für Frauen bedeute Flucht häufig eine Aufwertung, sie haben mehr Rechte als in den Herkunftsländern. Bei Männern sei es andersrum. „Sie stehen in der sozialen Hierarchie ganz unten, Frust staut sich auf, der sich in Straftaten entlädt“, sagt sie.
Ältester Sohn
Familien in Herkunftsländern können meist nur einen Verwandten nach Europa schicken. Denn Schlepper kosten Geld. Die Wahl fällt oft auf den ältesten Sohn, auch weil Fluchtrouten gefährlich sind und das Risiko für Frauen umso größer ist. Der Überhang an männlichen Flüchtlingen sei also von Europa miterzeugt, weil es keine legalen und sicheren Fluchtwege gebe, sagt die Migrationsforscherin und Autorin des neuen Buchs „Gegen die neue Härte“.
Dass bei den aktuellen Gewaltausbrüchen auf Wiens Straßen gerade Türken und Tschetschenen mit Syrern und anderen Arabern zusammenstoßen, verwundert die Expertin nicht. Dies sei der Hierarchisierung innerhalb des migrantischen Milieus geschuldet. „Länger hier lebende Migranten glauben, dass sie mehr Anrecht darauf haben, in Österreich zu sein als neue Flüchtlinge“, sagt Kohlenberger. So hätten ihr Flüchtlinge, die erst im Jahr 2022 nach Österreich gekommen waren, berichtet, dass sie die meiste Diskriminierung nicht von Österreicherinnen und Österreichern, sondern von anderen Migrantinnen und Migranten erfahren hätten.
Für Evolutionsbiologe Martin Fieder gilt es jetzt zu handeln, bevor die Lage komplett außer Kontrolle gerät. Und zwar, indem man die Rädelsführer der Ausschreitungen ausfindig macht. „Der große Teil macht nur mit, weil er sich von ihm verführen lässt oder Druck spürt“, sagt er.
Migrationsforscherin Judith Kohlenberger plädiert dafür, eine Tagesstruktur für Asylwerber zu schaffen. Langeweile gepaart mit den traumatischen Erlebnissen von Krieg und Flucht würden engmaschige Betreuung verlangen.
Die Wiener Polizei hat jetzt jedenfalls ihre Präsenz und die Kontrollen an den Brennpunkten der Stadt verstärkt.
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