Warum Smartphone und Social Media Gift für junge Gehirne sind
Schulpsychologe Niels Dopp erläutert, warum er ein Social-Media-Verbot wie in Australien gut findet und welche Schäden ungezügelter Smartphone-Umgang hervorruft.
Australien hat für alle Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren ein Social-Media-Verbot beschlossen. Die Begründung: Soziale Medien gefährden das Wohlergehen von Kindern. Niels Dopp, Schulpsychologe in der Bildungsdirektion für Wien, beschäftigt sich schon länger damit, wie sich digitale Plattformen und die Handynutzung auf junge Menschen auswirken.
Er erklärt, dass ein Smartphone "Fast Food für die Psyche" ist. Wie bei ungesunder Ernährung gilt: Je mehr Heranwachsende davon bekommen, desto schwerwiegender die Folgen - in dem Fall für Gehirn und soziale Entwicklung.
KURIER: Australien verbietet Social Media wie Instagram oder TikTok für Jugendliche unter 16 Jahren. Ist das sinnvoll und auch umsetzbar?
Niels Dopp: Wir schützen unsere Kinder ganz selbstverständlich vor Dingen wie Alkohol, Zigaretten oder ungeeigneten Medien, weil sie nicht gut für die gesundheitliche Entwicklung der Kinder sind. Ein hundertprozentiges Durchsetzen solcher Verbote ist zwar nicht möglich, aber es hilft, ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu schaffen, was gefährlich und schädlich ist. Einen ähnlichen Effekt würde ich mir von einer Social Media Einschränkung erhoffen – auch wenn ich generell kein großer Freund von Verboten bin.
Was ist derzeit die größte Gefahr, wenn Kinder zu lange am Handy sind?
Das Schlimmste sind Kurzvideos auf TikTok oder Insta, weil es junge Menschen darauf trainiert, alle paar Sekunden einen neuen Reiz zu bekommen. Wenn man das eine Weile macht – häufig sind es Stunden, auch weil der Algorithmus so gut programmiert ist – dann ist es kein Wunder, dass man dem Unterricht nicht mehr folgen kann, weil der im Vergleich langweilig ist.
Statt Hausübung zu machen, sind Kinder mittags auf Social Media oder spielen am Smartphone – Eltern bringt das zum Verzweifeln.
(schmunzelt) Ich bin froh, dass ich ohne Handy aufgewachsen bin, denn ich wäre auch einer gewesen, der lieber gespielt hätte. Wobei ich das Wort Handy streichen würde. Das Smartphone ist ein Minicomputer, der das Wissen der Welt innerhalb von Sekunden in die Hosentasche zaubert. Darunter leidet die Gesamtkommunikation.
Inwiefern?
In den Kindes- und Jugendjahren lernt man eigentlich, richtig zu kommunizieren. Das funktioniert über Sprache, Mimik, Lautstärke, Sprachmelodie – das alles fügt sich zu einem großen Bild zusammen und ist die natürliche Kommunikation, für die wir Menschen gemacht sind. Wenn man das gelernt hat, sind die Grundlagen da und man kann dann gut über Smartphones kommunizieren. Wenn man aber in diesen prägenden Jahren, wo man das soziale Miteinander lernen sollte, die unnatürliche Kommunikation verinnerlicht, fehlt es später an den Grundlagen.
Was lernen Kinder nicht, was sie eigentlich lernen sollten?
Das komplexe Zusammenspiel der Kommunikation. Stattdessen füllen sie den Kopf mit dem, was sie nicht lernen sollen – etwas Mechanisches und Unnatürliches.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Die häufigste Kommunikation am Handy ist über Messenger. Neben allem, was dabei fehlt – etwa Mimik oder Gestik – haben wir zusätzlich das Problem, dass es einen unnatürlichen Kanal gibt, die Rückmeldung. Die erfolgt meist in Form von Häkchen, erst ein graues, dann zwei graue, später zwei blaue: Das ist eine völlig unnatürliche Kommunikation, denn wenn man miteinander redet, erscheinen auch keine Häkchen auf der Stirn. Wir Erwachsene können darüber sprechen, weil wir gelernt haben zu kommunizieren. Für jüngere Menschen kommen da schnell Konfliktfälle wie: „Ich hab’ dir was geschrieben, da waren zwei blaue Häkchen und du hast nicht geantwortet.“ Das hat schon Konfliktpotenzial. Dabei hatte der andere vielleicht gerade nur Stress oder musste aus dem Bus aussteigen. Das zeigt, wie die Empathiefähigkeit verloren geht.
Kinder im Kinderwagen haben noch keinen Messengerdienst. Auch für sie ist das Handy ungeeignet.
Das ist noch dramatischer, weil es die noch früheren Grundlagen betrifft. Kinder müssen die Welt be-„greifen“. Und das funktioniert nicht über eine glatte Oberfläche.
Viele Eltern glauben, dass sie ihrem Kind etwas Gutes tun, wenn sie es vor den Bildschirm setzen, weil sie dabei etwas lernen.
Es wäre ein sehr leichter Weg, den Eltern die Schuld zu geben. In diesem Bereich fließt unglaublich viel Geld, es wird Werbung für Lernprogramme gemacht etc. Deshalb versuchen wir als Schulpsychologie aufzuklären. Viele Eltern, die sich an uns wenden, nutzen in der Familie seit Jahren zu viel das Handy – da wieder herauszukommen, ist ein langer Prozess. Besonders wenn die ganzen Suchtmechanismen greifen, ist es ein schwieriger Weg.
Was raten Sie Eltern also?
Wir vermitteln ihnen, dass die verlockenden Abkürzungen, die man in der Erziehung machen kann, trügerisch sind. Wenn ich Kindern selbst vorlesen muss, ist das eine viertel Stunde von meiner Zeit – wenn ich dem Nachwuchs stattdessen ein Tablett in die Hand drücke, habe ich Zeit für mich und das Kind ist ruhig. Das ist superangenehm und gerade bei Eltern, die nicht viel Schlaf bekommen haben und sehr viel Stress haben, ist das verlockend und verständlich. Das ist wie ungesundes Fastfood für die Psyche, kurzzeitig denkt man, das ist genau das Richtige, langfristig ist es sehr schlecht. Wir versuchen Eltern zu sensibilisieren, dass der persönliche Kontakt unersetzbar ist.
Auch wenn Eltern ihren Kindern vorlesen, übt das Smartphone eine große Faszination aus. Hinzu kommt der Gruppendruck, wenn andere Kinder in der Klasse lange im Netz sein dürfen.
Es ist wahnsinnig schwierig, da gegen den Strom zu schwimmen. Verbote und Regeln sind das eine, wie man es vorlebt, ist aber der wichtigere Teil. Bei uns zu Hause haben die Mobilgeräte einen fixen Platz, keiner schaut ohne Grund darauf. Viele Länder haben mit Handyverboten in den Schulen reagiert. Aus fachlicher Sicht kann ich das nur begrüßen. Aber dass so viele so ein Gerät haben, ist ein Problem.
Was kann die Schule tun? Sind Lehrkräfte nicht machtlos?
Wenn die Kinder übermüdet in die Schule kommen, weil sie nachts Handy spielen, ja. Wir haben aber bei Projekten, die wir in den Klassen gemacht haben, gesehen, dass Jugendliche eine Zeit freiwillig aufs Handy verzichtet haben und dann auf den Geschmack gekommen sind. Es zeigte sich schnell, dass sie fitter und wacher waren, auch der Schlaf und die Konzentration verbesserten sich.
Ab welchem Altern sollte ein Kind ein Smartphone besitzen dürfen?
Ohne das Kind zu sehen, schwierig. Bei Dingen wie Alkohol, Führerschein etc. ist das Alter im Gesetz festgeschrieben, es ist aber willkürlich festgelegt. Es gibt Jugendliche, die können mit zwölf Jahren damit umgehen, weil sie das Zeitmanagement beherrschen. Andere schaffen es mit 17 noch nicht. Ich sage: Je später, desto besser. In der Volksschule auf keinen Fall.
Wenn ich merke, dass mein Kind des Handys nicht loskommt, ist wegnehmen eine Lösung?
Es ist eine harte Lösung, die den Familienfrieden meist massiv stört. Wichtig ist, das zu thematisieren, klare Regeln gemeinsam zu besprechen und diese als Familienkultur leben. Wenn Eltern selbst aufs Handy schauen und den Kindern dann erklären, dass sie das nicht dürfen, ist das schwierig. Dass mein Kind ein Handy bedienen kann, heißt nämlich nicht, dass es damit umgehen kann – das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Damit umgehen, heißt Zeitmanagement und Selbstorganisation.
Was können Eltern tun, wenn das Kind von Cybermobbing betroffen ist?
Zuerst die Frage stellen: Woher kommt das Mobbing – Schulinternes muss in der Schule oder in Schulpsychologie behandelt werden. Wo nötig, kann man auch juristisch vorgehen. Schwieriger sind anonyme Kommentare, wenn zum Beispiel etwas auf TikTok gestellt wurde. Deshalb sollte man möglichst nichts von sich im Internet preisgeben.
Handys haben ja auch was Gutes: Wissen ist schnell greifbar.
Es gibt den alten Spruch: Man muss nichts wissen, man muss nur wissen, wo es steht. Das stimmt aber nicht. Die schnelle Verfügbarkeit von Wissen ist trügerisch. Wenn zwei nebeneinander sitzen, die einen Text übersetzen – der eine darf im Wörterbuch nachschauen, was Arbeit erfordert, und der andere kann im Handy nachschauen – dann wird letzterer viel schneller den Text übersetzen. Aber eine Woche später weiß er keines der Wörter mehr, der mit dem Wörterbuch weiß zumindest noch die Hälfte. Zudem ist ein solides Grundwissen wichtig, um Dinge einordnen zu können.
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