Warum eine Lehrerin, die ihren Job liebt, nach 20 Jahren aufgibt

Warum eine Lehrerin, die ihren Job liebt, nach 20 Jahren aufgibt
Die Wiener Volksschullehrerin fühlt sich von den Behörden allein gelassen – welche Hilfe sie sich wünschen würde.

Es ist ein Gefühl der Ohnmacht. „Ich kann das, was von mir verlangt wird, nicht mehr leisten“, sagt die Wiener Volksschullehrerin Anna Huber (Name von der Redaktion geändert), die schon rund 20 Jahre im Dienst ist

Lehrerin war immer ihr Traumberuf – Huber ist heute das, was man eine „gestandene Lehrerin“ nennt. Dennoch gibt sie mit Ende des Schuljahres auf. Der Grund: „Das Schulsystem in Wien kollabiert“, sagt sie. Konkret heißt das: In ihrer Klasse sprechen 90 Prozent der Kinder zu Hause eine andere Muttersprache als Deutsch. Selbst die, die in Wien geboren und aufgewachsen sind und die österreichische Staatsbürgerschaft haben, beherrschen bei Einschulung mitunter keine zehn deutschen Wörter.

Die Sprachlosigkeit nehme allgemein zu – „die Kinder haben sowohl auf Deutsch als auch in ihrer Muttersprache einen geringen Wortschatz, der Satzbau ist sehr schlicht.“ Das wirke sich auf alle Fächer aus. „Sachunterricht ist so nicht auf einem Niveau zu machen, das man von uns erwartet“, sagt Huber. Die zwei einzigen deutschsprachigen Kinder in der Klasse kommen da zwangsläufig zu kurz.

Einige Kinder sind nicht einmal alphabetisiert

Es sind nicht nur die sprachlichen Defizite, die das Unterrichten erschweren. Über den Familiennachzug kommen Kinder dazu, „die noch nie eine Schule von innen gesehen haben. Sie haben keine Erfahrung, wie man einen Stift hält und sind in ihrer Erstsprache oftmals kaum alphabetisiert. Viele sind traumatisiert, weil sie miterleben mussten, wie Angehörige getötet wurden“, erzählt sie. Dazu kommen Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf, die sie auch noch integrieren soll. Dabei waren ihr Inklusion, Integration von Kindern aus anderen Kulturen immer ein Anliegen.

„Ich habe die sprachliche Vielfalt, das Miteinander der Kulturen geschätzt“, sagt Huber. Deshalb hat sie auch viele Fortbildungen in diesem Bereich gemacht. Das Problem sei, dass etwas gekippt ist: „Es sind einfach zu viele Probleme auf einmal in der Klasse – das schafft niemand.“

Völlig unerträglich sei die Situation seit dem Überfall der Hamas auf Israel. Huber beobachtet seither eine zunehmende Radikalisierung einiger muslimischer Schülerinnen und Schüler. Zitate wie: „Israel ist ein Land, in dem nur böse Menschen wohnen“, hat sie oft gehört. Doch nicht nur Juden würden argwöhnisch betrachtet. Wenn Schüler Anna Huber fragen, welche Religion sie hätte, antwortet sie nichts: „Ich mag nicht darüber diskutieren, warum ich Christin bin.“

Erstmals hat sie Angst als Frau

Erstmals in ihrem Berufsleben hat Huber Angst: „Einige Eltern respektieren mich als Frau nicht und vermitteln mir das auch“. Dass insbesondere muslimische Familien immer – vorsichtig formuliert – konservativer werden, zeige sich daran, dass immer mehr Mädchen sehr früh Kopftuch tragen und Kinder während Ramadan fasten: „Eltern rufen mich an, ob ich Ausflüge verschieben kann, weil es den Kindern schlecht wird, wenn sie einen leeren Magen haben – obwohl ich vorher lange Gespräche mit Eltern und Kindern geführt habe.“

Huber versucht zwar an Themen wie Demokratie, Gleichstellung der Frau und Religionsfreiheit zu arbeiten, doch was ihr fehlt, ist die Unterstützung vor Ort: „Ich brauche nicht die x-te Hochglanzbroschüre oder eine Fortbildung, zu der ich eh keine Kraft mehr habe. Ich brauche Unterstützung von Verantwortlichen, die aber keine Stellungnahme beziehen wollen – wohl aus Angst, als islamophob und ausländerfeindlich bezeichnet zu werden.“

Was ihrer Meinung nach helfen würde: „Ich müsste als Lehrerin die Möglichkeit haben, Kinder in den Ferien verpflichtend in einen Kurs zu schicken. Jetzt sind sie im Sommer oft neun Wochen in ihrem Heimatland – und ihr Deutsch ist schlechter als vor den Ferien.“

Wer es sich leisten kann, flieht in die Privatschulen

In Schulen bräuchte es mehr Ressourcen: „Kleinere Lerngruppen und permanent zwei Lehrerinnen pro Klasse müssten bei uns Standard sein. Pädagoginnen sollte man von Aufgaben befreien, etwa dem IKMPlus-Test, den wir selber durchführen müssen. Auch die anschließenden Förderpläne dürfen wir selbst erstellen – nur die Ressourcen für die Förderung haben wir nicht.“ Und es braucht es Platz: „Dass man Containerklassen in Mobilklassen umbenennt, löst das Problem auch nicht.“

Anna Huber stellt in ihrem Bekanntenkreis fest, dass aufgrund der Situation jeder, der es sich leisten kann, sein Kind in eine Privatschule gibt, wenn er keinen Platz in der Wunschschule bekommt. „Das verschlimmert die Situation nur noch.“ Einen Satz kann sich Huber nicht verkneifen: „Man sollte Politiker verpflichten, ihre Kinder in eine öffentliche Wiener Pflichtschule einzuschreiben. Dann würde sich sicher schnell etwas ändern.“

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