Fast jedes zehnte Kind in Österreich besucht eine Privatschule, in Wien ist es jedes fünfte. Für manche Eltern ist dies besonders dann eine Option, wenn ihr Kind nicht in die öffentliche Wunschschule darf. Doch das ist nicht der einzige Grund, wie Clemens Paulovics weiß. Er ist pädagogischer Leiter der Ordensschulen, dem größten Privatschulträger, und spricht im KURIER-Interview über die Gründe, warum Eltern ihre Kinder auf eine Privatschule schicken, über Wertevermittlung, über Eliteschulen und über die Angst der Eltern, dass Kinder nicht genug lernen.
KURIER: Warum schicken Eltern ihre Kinder in eine Privatschule?
Clemens Paulovics: Dafür gibt es natürlich zahlreiche und oft sehr individuelle Gründe. Manche Eltern schicken ihre Kinder in die katholische Privatschule, nicht weil, sondern obwohl sie katholisch ist. Andere sind selbst auf eine katholische Schule gegangen und wollen das auch für ihr Kind. Sie wollen genau diese religiöse Erziehung, die die Eltern ihren Kindern oft selbst nicht mehr vermitteln können. Das gilt nicht nur für katholische Kinder. Wir haben auch regen Zulauf von muslimischen Eltern.
Ja, weil sie wertschätzen, dass Religion bei uns einen hohen Stellenwert hat und weil wir natürlich darauf schauen, wer bei uns Religionslehrer wird.
Geht es auch darum, dass insbesondere in den Ballungsgebieten das Vertrauen in die öffentlichen Schulen schwindet?
Eine gute Ausbildung ist sicher auch eine Motivation - die bekomme ich in einer guten öffentlichen Schule zwar auch, aber bei uns ist die Garantie eine deutlich höhere. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Hinter vorgehaltener Hand reden Eltern, welches Gymnasium top ist und welches nur eine „bessere Mittelschule“. Bei katholischen Privatschulen gibt es die Erwartungshaltung, dass da eine gute/bessere Ausbildung angeboten wird. Bildung wird bei uns zudem oft umfassender verstanden als an manchen öffentlichen Schulen.
Was meinen Sie mit umfassender?
Kultur, Musik, Theaterspielen, Sport und – ganz wichtig – Zeit zum Philosophieren über Gott und die Welt. Das ist das, was uns als Menschen ausmacht und weiterbringt. Kinder sollen lernen, sich eine Meinung zu bilden und sie zu vertreten. Sie sollen über Werte diskutieren und diese entwickeln. Junge Menschen sollten sich nach dem Verlassen der Schule immer wieder auf diese Werte besinnen, vor allem wenn sie Verantwortungsträger werden. Das ist uns wichtig.
In diesen Tagen erfahren Eltern, ob ihr Kind in die Wunschschule darf. Gibt es mehr Anfragen bei Privaten, wenn es die Wunschschule nicht wird?
Ja. Doch viele Schulen in den Ballungszentren sind sehr überlaufen, sodass wir zwei bis drei Mal so viele Kinder aufnehmen könnten - wobei das Spiel auch in die andere Richtung läuft: Wenn Eltern den Wunschplatz in einer öffentlichen Schule bekommen, melden sie ihre Kinder bei uns ab. Das ist sicher auch ein wenig eine Folge der Inflation.
Die Schulkosten können inclusive Nachmittagsbetreuung 600 Euro pro Monat betragen. Das befeuert die Trennung der Schülerschaft auch in öffentlichen Schulen.
Das ist tatsächlich etwas, was mich sehr umtreibt. Wir wollen mit unseren Schulen im Bildungssystem nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein. Das heißt aber auch, nicht nur für die elitäre Klientel der oberen 10.000 da zu sein. Das ist auch nicht der Gründungsgedanke unserer Schulen – viele Ordensschulen wurden im 19. Jahrhundert etwa bewusst für Straßenkinder gegründet. Ohne Gebühren könnten wir die Schulen nicht erhalten, denn der Staat zahlt nur die Lehrkräfte; durch das Schulgeld besteht aber die Gefahr, dass die Schule nicht mehr sehr divers wird. Doch das ist wiederum auch vom Standort abhängig: Wir haben aber zum Beispiel zwei große Standorte im 15. Bezirk, die boomen (der Bezirk hat den größten Migrantenanteil in Wien, Anm.). Da haben wir 40 Sprachen und 25 Religionsbekenntnisse – und so sind die Herausforderungen schon recht ähnlich wie an manchen öffentlichen Schulen. Und wenn man das Schulgeld selbst von elitäreren katholischen Schulen, mit dem internationaler Privatschulen vergleicht, ist es immer noch moderat. Speziell am Land gibt es dann auch Stifte, die an ihren Schulen nur 50 bis 100 Euro Schulgeld verlangen, weil ihnen die Bildung ein so großes Anliegen ist und sie die Schulen mit ihren Wirtschaftsbetrieben stützen:. Die meisten unserer Schulvereine sind übrigens so strukturiert, dass sie immer auch Schülerinnen und Schüler aufnehmen können, die sich das Schulgeld nur zum Teil oder gar nicht leisten können.
Sie sagen, dass ihnen Wertschätzung wichtig ist. Sie können aber auch nur auf die Lehrkräfte zurückgreifen, die es am Arbeitsmarkt gibt.
Ja, wir können aber immer noch ein bisschen stärker aussuchen und versuchen viel mit interner Fortbildung zu bewirken.
Sie trennen sich aber auch leichter von Kindern und Jugendlichen, die Probleme machen. Machen Sie es sich da nicht zu einfach?
Es hängt auch von der Bildungsdirektion ab, wenn wir uns von Kindern trennen wollen – das wird uns nicht leicht gemacht. Ich höre tatsächlich eher selten von solchen „Problemfällen“. Ganz im Gegenteil: Ich habe selbst zehn Jahre in einer katholischen Sonderschule unterrichtet, wo wir Kinder aufgenommen haben, die keine Schule mehr haben wollte, die vorher schon an 3, 4, 5 Schulen waren. Das gibt es auch. Ein weiteres Beispiel ist die Mittelschule der Ursulinen in Graz – sie hat viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) und viele Kinder, die diesen SPF nicht bekommen, lernschwächer oder Asperger- Autisten sind und daher auch mehr Ressourcen benötigen. Eltern finden da einen Platz, wo ihr Kind angemessen betreut wird. Das klingt romantisch, ist aber Knochenarbeit. Wir würden in diesem Bereich gerne mehr tun, allerdings erhalten Privatschulen in der Regel die Ressourcen für Kinder mit SPF nicht – und ohne diese Mittel funktioniert Inklusion nicht. Das wird oft zu wenig gesehen.
Trotzdem haben Sie immer Kinder aus eher bildungsaffinen Häusern, die bereit sind für Bildung zu bezahlen.
Die Frage ist: Wie komme ich an bildungsferne Kinder? Wir haben sie zu einem Teil, weil wir immer die ersten sind, die bei Flüchtlingswellen die Türen öffnen. Allerdings muss ich auch sagen: Ich kann die Türen öffnen, aber wie bekomme ich die Kinder, wenn den Eltern Bildung nicht etwas wert ist?
Was ist Ihnen als pädagogischer Leiter der Ordensschulen ein persönliches Anliegen?
Wir reden oft über Wertebildung, doch bei dem Begriff werde ich zunehmend skeptisch. Ich zitiere einen Jesuiten: Wir müssen weg von diesem Wertekonzept, denn dies schafft Milieus, und Milieus bringen die Gesellschaft nicht weiter. Statt Werte sollten wir lieber Hoffnungsbilder und Hoffnungen stärken. Gerade in diesen Polykrisen, in denen wir leben und die Jugendliche psychisch belastet sind, muss uns das ein Anliegen sein.
Was meinen Sie mit Entstehung von Milieus?
Ich bin nicht sicher, ob es in Österreich so einen Wertekanon gibt - auch unter der autochthonen Bevölkerung: Es stellt sich die Frage, was die Menschen meinen, wenn sie von christlichen Werten sprechen: Das Aufstellen eines Christbaums oder Haltungen wie etwa Solidarität zu üben? Werteschulung sollte damit beginnen zu klären: Was sind unsere Werte? Oft geht es in den Diskussionen eigentlich um Traditionen, die keinen Hintergrund haben. In den Ordensschulen geht es uns darum, nicht nur christliche Feste zu feiern, sondern auch zu verstehen, worum es bei diesem Fest geht. Wenn Politiker sagen, das Weihnachtsfest muss erhalten bleiben und wir dürfen kein Zuckerfest feiern, dann schafft das ein Milieu derer, die Weihnachten gerne feiern – es sagt aber nichts darüber aus, was die Menschen mit diesem Fest verbinden.
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