So wird Lawinenschutz zum Solarkraftwerk
Auf dem Schindlergrat im Skigebiet von St. Christoph am Arlberg baumeln seit vergangenem November in etwa 2.300 Meter Höhe sieben Solarpaneele von einer Lawinenverbauung, wie es sie in ganz Österreich zu Tausenden gibt. Dass die Module vertikal und nicht geneigt ausgerichtet sind und frei schwingen können, ist gewünscht.
„Die Kräfte, die da oben wirken, sind enorm. Wir hatten letztes Jahr schon 170 km/h Wind“, erklärt Michael Gstrein von der auf Projekte im Hochgebirge spezialisierten und im Tiroler Pitztal ansässigen Baufirma HTB.
Da die PV-Paneele nicht starr montiert sind, schwingen sie bei Sturm einfach mit. Und sollte Schnee durch die Stahlträger rutschen, gibt es ebenfalls keinen Widerstand. In beiden Fällen richten sich die Module letztlich wieder in die Ursprungsposition aus.
Der Natur standhalten
Das war die Ursprungsidee hinter einer Erfindung des in mehreren Bundesländern aktiven Unternehmens, „die eigentlich banal ist“, wie Stefan Rainer, Leiter des Technischen Büros, meint. Und zwar eine Aufhängung für die Solarzellen, die eben das Pendeln ermöglicht und dabei auch den Naturkräften standhält – nicht zuletzt durch ein ebenfalls mitentwickeltes Dämpfsystem.
Das funktioniert bisher reibungslos. Die Teststation liefert aber vor allem höchst bemerkenswerte Strommengen. In den Wintermonaten, also genau da, wo sowohl die Produktion von Solarstrom aber auch der in Tirol wie Österreich wichtigen Energieerzeugung in Laufkraftwerken im Keller ist und gleichzeitig der meiste Strom gebraucht wird, liefern die Module so richtig ab. Im Vergleich zu einer klassischen Hausdach-PV-Anlage im Tal wurde am Schindlergrat von Ende Dezember bis Ende März etwa die dreifache Menge Strom erzeugt.
Und auch im Vergleich zu im Hochgebirge aufgeständerten Solarkraftwerken mit schräg geneigten Paneelen, wie sie zum Teil bereits gibt, liegt man mit über 30 Prozent im Plus. „Alle produzieren Solarstrom im Sommer und da vor allem zur Mittagszeit“, sagt Gstrein, der bei der HTB für den Bereich Energie und Nachhaltigkeit zuständig ist.
Kein Naturverbrauch
Das man sich in einer Baufirma überhaupt mit so einem Thema auseinandersetzt, erklärt er so: „Wir haben uns überlegt, wie man den PV-Ausbau vorantreiben könnte, ohne dass man Freiflächen nutzen und erneut in die Natur eingreifen muss. Und die Lawinenwerke sind ja schon da.“
Und das nicht zu knapp. Auf die für die Nutzung mit Solarpaneelen relevante Laufmeteranzahl an Verbauungen sind „rund 380 Kilometer zum Schutz gegen Lawinenanbrüche in Tirol installiert“, sagt Gebhard Walter, Leiter der Wildbach- und Lawinenverbauung im Bundesland.
„Österreichweit sind es 730 Kilometer“, weiß Gstrein, der schätzt, dass etwa 25 Prozent davon für die entwickelte Art der PV-Nutzung infrage kommen würden. Dazu muss einerseits die Ausrichtung passen. Hier ist es von Vorteil, dass alpine Ortschaften naturgemäß bevorzugt in den Sonnenlagen gebaut wurden und damit auch die Schutzbauten darüber Richtung Süden ausgerichtet sind.
Die vertikale Hängung der Solarmodule ist in den hohen Lagen ideal zur Nutzung der tief stehenden Wintersonne, zusätzlich kann das vom Schnee reflektierte Sonnenlicht genutzt werden, was die Effizienzwerte erklärt. Am meisten Strom wurde zwischen Winter- und Sommersonnwende mit 171 kWh/kWp produziert.
Was es andererseits noch für eine sinnvolle Nutzung der hochalpinen PV braucht, ist ein möglichst naher Stromverbraucher, damit nicht zu viel Energie auf langen Kabelwegen verloren geht und auch bei deren Verlegen nicht erst recht wieder große Eingriffe in die Natur notwendig sind. Als Abnehmer bieten sich vor allem Skigebiete an.
Weitere Testanlagen
Bei Betreibern ist das Interesse bereits geweckt. „Wir werden heuer noch gut fünf Testanlagen errichten“, sagt Gstrein. Dass die so entstehenden Solarkraftwerke ohne Verbauung unberührter Flächen installiert werden können, ist indes nicht nur eine Frage der Naturnutzung. Die Errichtung neuer Stahlkonstruktionen mit Betonfundamenten ist teuer. Die Aufhängung von Solarpaneelen mithilfe der Erfindung ist hingegen relativ kostengünstig umsetzbar.
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