Verbotener Wahlkampf auf österreichischem Boden
Am Hannovermarkt filetiert der gebürtige Türke Bayram Karatas gerade einen Fisch, bevor er ihn auf Eis legt. Schon kommt eine junge Frau und bestellt zwei Stück. Sie tauschen ein paar Floskeln aus, dann ist sie weg. Der Vorgang wiederholt sich mehrmals, unter den Kunden auch einige Türken. Gesprochen wird über Alltägliches. Ein Thema, das völlig ausgespart wird, ist die am 14. Mai anstehende türkische Präsidentschafts- und Parlamentswahl.
„Darüber rede ich nur mit meiner Familie. Meine Verwandten leben in Anatolien, einem Gebiet mit vielen Erdoğan-Wählern“, sagt der Fischverkäufer. Seit Jahren lebt er in Wien. Davon, dass der türkische Wahlkampf auf Wiener Boden überschwappt, will der 41-Jährige noch nichts mitbekommen haben.
Nach jahrelangen Verstimmungen näherten sich Österreich und die Türkei wieder an, das gilt auch für die Stadt Wien. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) stattete der Türkei in seiner Funktion als Städtebundpräsident zuletzt im Juni 2022 einen Besuch ab. Das Ziel: Die Kooperation und Zusammenarbeit mit Ankara und Istanbul auszubauen, wie es auf KURIER-Anfrage heißt.
Zur Aufregung um Erdoğans Telefon-Rede erklärt das Rathaus: „Der Bürgermeister mischt sich nicht in Wahlkämpfe anderer Länder ein.“ Deutlichere Worte kommen von Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos). Das Verhältnis mit der Community sei sehr gut. „Es muss aber klar sein: Wahlkampfauftritte von ausländischen Politikern sind in Wien fehl am Platz.“
Vergangene Woche lud Ludwig zum jährlichen Fastenbrechen ins Rathaus. Eingeladen war auch der Vorstand der UID (Union International Democrats). Sie gilt als verlängerter Arm der türkischen Regierungspartei AKP, sprich: von Präsident Erdoğan. Die grüne Gemeinderätin Berivan Aslan kritisiert die UID als „fragwürdige Lobbyorganisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.“ Das diese im Rathaus begrüßt wurde, „sei ein Schlag ins Gesicht aller Menschenrechtsaktivisten.“
Staatsbürgerschaft
Im Jahr 2021 vermutete die MA 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft) auf Grundlage einer offiziellen Wählerliste der Türkei Hunderte illegale Doppelstaatsbürgerschaften. In Summe wurden in 450 Fällen Feststellungsverfahren geführt, wie die Behörde auf Anfrage erklärt. Von den bisher abgeschlossenen Fällen verloren 114 Personen die österreichische Staatsbürgerschaft.
Anders als die rund 1.000 Türken, die am Freitag vor einer Woche am Fastenbrechen der AKP-nahen Union Internationaler Demokraten (UID) in Liesing teilgenommen haben. Ehrengast war der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Kaum auf der Bühne schaltete er den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan per Handy zu. Auch dieser fackelte nicht lange: „Ihr wisst, dass uns eine entscheidende Wahl bevorsteht. Aber ich bin mir sicher, dass die Türkei und auch unsere Geschwister im Ausland und Österreich uns zum Erfolg tragen werden.“
Zünglein an der Waage
Die Auslandstürken spielten bei der letzten Präsidentenwahl 2018 eine entscheidende Rolle für Erdoğan. In Österreich lag die Zustimmung für den Amtsinhaber bei 72 Prozent – und damit deutlich über dem durchschnittlichen Wahlergebnis der insgesamt gut drei Millionen im Ausland lebenden türkischen Staatsbürger. Das türkische Parlament ermöglichte die Stimmabgabe im Ausland 2008 durch eine Gesetzesänderung.
Stimmberechtigte in der Türkei
Rund 61 Millionen Bürger sind in der Türkei stimmberechtigt. Sie wählen am 14. Mai das Parlament und den Präsidenten. Amtsinhaber Tayyip Erdoğan hat vor allem einen Rivalen – Kemal Kiliçdaroğlu. Der Chef der größten Oppositionspartei CHP führt ein sehr heterogenes Sechsparteienbündnis an. In Umfragen liegt er vorne. Schafft keiner der Kandidaten 50 Prozent plus, kommt es am 28. Mai zur Stichwahl.
Auslandstürken
Gut drei Millionen Stimmberechtigte gibt es in Europa, sie können zwischen 27. April und 9. Mai in Botschaften und Konsulaten wählen. Allein in Deutschland gibt es 1,5 Millionen Stimmberechtigte, in Österreich sind es mehr als 100.000. Hier schaffte Erdoğans AKP 2018 eine Dreiviertelmehrheit
300.000 aus der Türkei stammende Menschen sind in Österreich gemeldet, mehr als 100.000 davon sind in der Türkei wahlberechtigt. Davon machten beim letzten Urnengang 2018 laut türkischer Botschaft in Wien 42 Prozent Gebrauch von ihrem Wahlrecht. Dieses Jahr könnten es internen Schätzungen zufolge sogar 50 Prozent sein.
„Es kann schon sein, dass die Auslandstürken das Zünglein an der Waage werden, wenn es um den Sieg Erdoğans geht. Er weiß jedenfalls, dass er die Türken in Österreich und Deutschland braucht, um erfolgreich zu sein“, sagt Hüseyin Çiçek, vom Institut für Islamisch-Theologische Studien an der Universität Wien.
Verbotener Wahlkampf
Um diese Zielgruppe zu mobilisieren, nutzte der türkische Ministerpräsident in der Vergangenheit umstrittene Auslandsbesuche. Eigentlich untersagt das türkische Gesetz den Wahlkampf im Ausland explizit.
In diesem Jahr erwartet Birol Kilic, Obmann der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich, eine weniger offensive Kampagne. „Die Strategie ist es, den Wahlkampf in Privatwohnungen zu verlagern. Allein in und um Wien mobilisieren 500 Wahlkämpfer für die Regierungspartei.“
Laut dem türkischen Botschafter in Wien, Ozan Ceyhun, spiele dabei auch das verheerende Erdbeben in der Stadt Adiyaman im Februar eine Rolle. Die Parteien hätten sich danach darauf verständigt, auf einen klassischen Wahlkampf zu verzichten.
Wahlpropaganda unter Austro-Türken erschwert deren Integration in Österreich.
Kilic sieht die „Wahlpropaganda“ unter Austro-Türken generell skeptisch. Diese erschwere die Integration der Menschen aus der Türkei – unabhängig davon, ob sie türkische oder österreichische Staatsbürger seien. „Man sollte sich lieber mit Problemen auseinandersetzen, die Österreich betreffen, dem Land, in dem wir leben.“
Das sehen bei Weitem nicht alle so – und zwar egal, welchem politischen Lager sie angehören. Fahrlehrer Ekrem lebt sein 25 Jahren in Österreich, vier Jahre länger als die AKP an der Macht ist. Die türkische Politik beschäftigt ihn dennoch: „Die Türkei ist meine Heimat und das Land, in dem ich am Ende leben werde“. Erdoğan sei für ihn alternativlos, weil er sich für die nationale Sicherheit und die Aufrüstung einsetzte.
Nicht nur Erdoğan-Fans
Gänzlich anderer Meinung ist Unternehmer Yavuz Kuscu. Der 72-Jährige hat mehr als die Hälfte seines Lebens in Wien gearbeitet, in der Türkei wählt er aber immer noch. Die kommende Abstimmung hält er für besonders wichtig: „Die Türkei braucht frisches Blut. Durch die momentane Regierung ist das Land niedergegangen. Wir sollten uns auf die Prinzipien Atatürks besinnen.“ Kuscu wählt den kemalistischen Sozialdemokraten Kemal Kiliçdaroğlu (CHP), der das Oppositionsbündnis anführt. Er glaubt, dass es nach mehr als zwei Jahrzehnten zu einem Machtwechsel kommen könnte. Denn die islamische Propaganda funktioniere nicht mehr wie früher.
Und dann gibt es noch jene Wahlberechtigte, die es für falsch halten, in Österreich zu wohnen, aber über das Leben von Menschen in der Türkei zu entscheiden. Darauf, dass sie deshalb auf ihr Wahlrecht verzichten, wollen sie sich trotzdem nicht festlegen. Kein Wunder also, dass der Wahlkampf auch in Österreich Fahrt aufnimmt.
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