Legendäre Saloniere Strauss: "Ich hasse Cocktailpartys mit Stehtischen"
„Ich bin die Sissy“, begrüßt uns Frau Strauss entspannt-amerikanisch in ihrer opulenten Jahrhundertwendewohnung in Wien. Der Tisch für die späteren Abend-Gäste ist bereits gedeckt. Dicht an dicht hängen Bilder – auch Porträts ihrer eigenen (teils jüdischen) Vorfahren. Am Ende des Gesprächs zündet sich die Opern-Enthusiastin eine Zigarette an. Ob Sie auch in Amerika geraucht habe? „Ich rauche überall“, lacht sie, zur Not natürlich draußen.
KURIER: Haben Sie seinerzeit Wien nach New York gebracht oder bringen Sie jetzt New York nach Wien?
Sissy Strauss: Wien nach New York gebracht zu haben, ist übertrieben, aber natürlich habe ich Wiener Küche gemacht mit Wiener Mehlspeisen und Gmundner Geschirr.
Ist ein Salon etwas Wienerisches?
Ich habe das nie so genannt, sondern nur gesagt: „Kommt zu einer Party“ oder „Kommt zum Dinner“. Bei Salon denke ich an die Berta Zuckerkandl. Natürlich kommen auch bei mir interessante Gespräche zustande. Es ist wichtig, Leute aus verschiedenen Gruppen zu mischen. Weil ich an der Met gearbeitet habe, waren viele Sänger da. Plus Ärzte, Anwälte, Maler, Diplomaten. Auch österreichische Politiker auf US-Besuch sind bei mir in New York vorbeigekommen.
In New York haben Sie den Gast-Opernsängern an der Met, die Sie auch beruflich betreut haben, eine Art „Hafen“ geboten.
Ich habe immer Gäste gehabt – schon in meiner ersten Ehe. Als ich an die Met gekommen bin, Anfang der Siebzigerjahre, fiel mir auf, dass die Leute nach den Proben einsam in ihr Hotel oder in eine schiache Mietwohnung gehen. Viele konnten damals kein Englisch. An der Met engagiert zu sein, bedeutete aber, vier bis acht Wochen nicht wegfahren zu dürfen. Ich war natürlich von meinem tollen Mann unterstützt. Mein zweiter ist der beste! Wir haben uns durch einen Dirigenten kennengelernt. Solche Einladungen sind ja nicht billig, und die Met zahlt das nicht.
Ihr Mann wollte große Partys?
Ja, mehr als ich.
Ist das nicht anstrengend?
Aber auch lustig! Wir hatten einen sehr lieben Freund in New York, der Musiker war und sich bei den Partys irgendwann immer ans Klavier setzte. Wer singen wollte, hat dann gesungen. Viele wollten, niemand musste. Aber so kamen tolle Momente zustande.
Gibt es Gegeneinladungen?
Viele! Da muss man aussieben.
Was vermissen Sie an New York?
Den Lärm, die Freiheit. Keinen schert es, was Sie tun. Aber wenn Sie plötzlich hinfallen, sind alle da. Hier in Wien weiß jeder alles von allen. New York ist halt größer. Wissen Sie, was einem am Ende aber wirklich fehlt? Die eigene Jugend, die Hetz, die man hatte, und mein Job.
Was lieben Sie an Wien und an New York?
Dass beides ein „Melting Pot“, ein Schmelztiegel ist.
Was ist bei den Einladungen in Wien anders als in New York?
Das Einkaufen! Ich muss hier in mehr Geschäfte gehen, um alles zu finden. Was ich hasse, sind diese Cocktailpartys mit Stehtischen. Man geht hin, kommt kaum ins Gespräch. Das ist viel zu oberflächlich.
Worüber redet man bei Ihren Einladungen denn?
Sehr viel über Politik und Kunst.
Ausführliches KURIER TV-Gespräch mit Sissy Strauss
Wo stehen Sie politisch?
Ich bin eine monarchistische Sozialistin.
Was kann man darunter verstehen?
Dass man sehr liberal auch in einer Monarchie sein kann. Natürlich braucht man einen guten und fairen Regenten!
Welche Oper ist derzeit besser: Wien oder die Met?
Es ist dasselbe Niveau. In puncto Produktionen war die Met immer ein wenig konservativer, das ändert sich aber gerade.
Was gab und gibt es bei Ihren großen Partys zu essen?
Einfaches! Am Beginn habe ich Gulasch gekocht. Als die Runden größer wurden, Pasta Bolognese.
Und Sie kochen wirklich selbst?
Ja, nur für das Servieren habe ich Helfer. Die Einzigen, die je bei mir gekocht haben, waren der Teddy Podgorski und der Luciano Pavarotti. Der kam mit einem industriellen Riesentopf für die Spaghetti, der nicht zu meinem Herd gepasst hat. Er hat das Essen dann auch verteilt, besonders großzügig für sich selbst, und nachher waren überall Nudeln an der Wand!
Gibts eine Sperrstunde bei Ihnen?
Nein nie.
Wann geht der letzte Gast?
Hie und da um drei Uhr früh.
Warfen Sie je wen raus?
Nur einen, ein schrecklicher Kerl, der bei einer Party ohne Einladung erschienen ist. Ich habe ihm die Tür gewiesen. Wobei natürlich viele Leute mitgebracht werden.
Legendär sind auch Ihre Weihnachtseinladungen.
Ich habe am 25. Dezember immer alle, die da und heimatlos waren, eingeladen. Das waren große Partys, und es wurde „Stille Nacht, Heilige Nacht“ in allen Sprachen gesungen, einmal waren es sogar 17.
Wurden auch Ehen in Ihrem Wohnzimmer gestiftet?
Ja einige, aber nicht absichtlich. Manche halten noch immer.
Am Beginn Ihrer Karriere haben Sie acht Jahre lang unbezahlt an der Met gearbeitet. Ihr erster Mann finanzierte Ihr Leben.
Ja. Ein geborener Brünner, der nach Amerika ausgewandert ist. Wir lebten in einem Vorort. Während mein kleiner Sohn im Kindergarten war, haben mich die Damen dort jeden Tag zu einem Bridgeturnier überredet. Irgendwann dachte ich mir, dass das so nicht weitergehe und ich verblöde. Durch Freunde habe ich einen Volontärsjob an der Met bekommen. 1980 hat mir dann die neue künstlerische Betriebsleiterin eine Anstellung angeboten.
Warum wollten Sie 1965 eigentlich nach Kanada? Sie konnten kaum Englisch, schlichteten im Kaufhaus zwei Monate lang BHs.
Weil mir bewusst geworden war, dass Englisch als Weltsprache wichtiger war, als Französisch, das meine erste Fremdsprache war. Erst in der siebten Klasse konnte man Englisch als Freifach nehmen. Aber ich habe mich immer schlecht benommen, daher hat mich die Lehrerin nach zwei Wochen rausgeschmissen. Später habe ich Jus begonnen, was mich auch nicht wirklich interessierte. Ich war immer in der Oper und im Theater. In Wien habe ich mich meistens auf den Stehplatz reingeschwindelt. Hie und da, wenn es sein musste, habe ich sogar gezahlt. Und in Salzburg hab’ ich vor den Vorstellungen geschnorrt und oft Karten bekommen, die die Leute nicht verwenden konnten. Einmal von einer Dame, deren Freundin kurz vor der Vorstellung kollabiert ist und von der Rettung abgeholt wurde. Ich bemerkte, dass sie Amerikaner sind und sagte nur: „Tickets please“. Meine Freundin und ich saßen dann in der vierten Reihe, sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Und warum kamen Sie nach Wien zurück?
Mein Mann Max wollte. Er war jedes Jahr mit mir da, auch am Irrsee bei Otti Schenk. Wien ist natürlich eine herrliche Stadt und wunderbar zu leben.
Leben
Sissy Strauss ging 1965 nach Kanada, um Englisch zu lernen. Dort traf sie ihren ersten Mann, übersiedelte nach New York, bekam einen Sohn. Sie begann, zunächst unbezahlt, später angestellt, an der Met zu arbeiten und lud privat nicht nur die Sänger ein. Das behielt sie auch mit ihrem zweiten Mann bei, dem deutschen Geschäftsmann Max Strauss. 2015 übersiedelte das Paar nach Wien. Damals entstand ein (preisgekrönter) Film über sie: „Der letzte Salon“
1.800 Gäste pro Jahr lud Strauss in ihre New Yorker Wohnung: die Summe aus sieben bis acht Partys jährlich und ein bis zwei Dinner-Einladungen pro Woche für je zwölf Personen. Die Opernstars Luciano Pavarotti, Placido Domingo und Anna Netrebko waren darunter
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