Rekordschmelze auf Österreichs Gletschern im Jahr 2022

Die Pasterze am Fuße des Großglockners gehört zu den großen Verliereren
Auf den Bergen war das Vorjahr das wärmste seit Beginn der Temperaturmessungen. Der Gletscherbericht des Alpenvereins fällt fatal aus.

Hitzewellen mit reihenweise neuen Temperaturrekorden prägten in Österreich - aber auch in weiten Teilen Europas - das Jahr 2022. Es reihte sich unter die drei wärmsten Jahre in der 256-jährigen Messgeschichte ein. In den heimischen Bergen war es gar das heißeste. Für die Gletscher kam es schlimmer als jemals zuvor.

"Es ist eine Rekordschmelze", erklärte Ingrid Hayek, Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins (OeAV), am Freitag bei der alljährlichen Präsentation des Gletscherberichts in Innsbruck.

"Dramatisch" war das Wort das bei dieser Pressekonferenz immer wieder fiel. Alle 89 in Österreich beobachteten Gletscher sind kleiner geworden, erklärte Gerhard Karl Lieb, der den Alpenvereins-Gletschermessdienst gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer leitet.

Der höchste Wert in 132 Jahren

Bei den tatsächlich vermessenen Gletschern - 78 an der Zahl - gab es eine Längenschwund von im Mittel 28,7 Metern. "Da ist der höchste Wert in der 132-jährigen Messreihe des Alpenvereins", so Lieb.

In all dieser Zeit gab es einen Rückzug um über 20 Meter erst in vier Jahren.

"28,7 Meter, das ist dramatisch", so Kellerer-Pirklbauer. In allen zehn untersuchten Gebirgsgruppen seien die Verluste höher als im Jahr zuvor gewesen.

Die "größten Verlierer" sind laut dem Forscher, der wie sein Kollege Lieb hauptberuflich am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz tätig ist, die Venediger Gruppe, die Ötztaler Alpen und die Glockner Gruppe.

Hier finden sich auch die Gletscher mit den größten Rückzugswerten. Am Tiroler Schlatenkees in der Venediger Gruppe waren es 89,5 Meter, auf der Pasterze - Österreichs größtem Gletscher am Fuße des Großglockner - 87,4 Meter und am Diem Ferner in den Ötztalter Alpen 84,3 Meter.

Rekordschmelze auf Österreichs Gletschern im Jahr 2022

Das Schlatenkees hatte die größte Negativbilanz

Was das für Massen an Eis sind, führte Kellerer-Pirklbauer am Beispiel der Pasterze vor Augen. Die Zunge habe 14,7 Millionen Kubikmeter verloren. Das wäre umgerechnet ein Eiswürfel mit einer Kantenlänge von 245 Metern.

Der Schmelzwassersee, der sich längst an den Ausläufern der Pasterze gebildet hat, ist inzwischen bis zu 48 Meter tief.

"Der Hut brennt"

"2075 könnte Österreich weitestgehend Gletscherfrei sein", so der Wissenschafter - wenn es in diesem Tempo weitergeht. Diese Daten "sollten aufrütteln", appelierte er: "Der Hut brennt."

Laut OeAV-Generealsekretärin Hayek ist es höchst an der Zeit, den Klimawandel zu bekämpfen - etwa durch Verzicht auf das Auto oder Flüge. Würde man mit der Diagnose Lungenkrebs weiter 60 Zigaretten rauchen und lieber auf den Fortschritt in der Medizin setzen, lautete ihre rhetorische Frage.

Die Umstände, die den Gletschern 2022 derart zugesetzt haben, sind ebenfalls in dramatischen Daten ablesbar. Im Winter 2021/22 waren die Temperaturen fast durchwegs zu hoch - im Durchschnitt zwischen Oktober und April um rund ein Grad. Gleichzeitig waren auch die Niederschlagsmengen um 16,5 Prozent unter dem Schnitt.

Ausapern im Mai

Dadurch waren die Gletscher nur von wenig Schnee bedeckt, der für sie im Sommer als Schutzdecke dient. Die hat gefehlt. "Das Ausapern der Gletscher hat schon im Mai begonnen. Das ist sehr früh", berichtete Kellerer-Pirklbauer.

Bereits im März legte sich Saharastaub auf die Berge, der Sonnenlicht absorbiert und so die Schmelze befeuert.

Auf die blanken Gletscher kam dann ein Sommer zu, der es in sich hatte. Der Niederschlag fiel bis in den Herbst um 6,3 Prozent niedriger aus. Gleichzeitig war es extrem heiß. Von Mai bis September lagen die Temperaturen im Schnitt um fast zwei Grad (1,95) zu hoch.

Und der heurige Winter verheißt für das kommende Jahr nichts Gutes. Man erinnere sich an die weißen Schneebänder in von braunen Hängen geprägten Skigebieten. Unter der Einschränkung, dass es noch einmal schneien könnte, meinte Kellerer-Pirklbauer mit Hinblick auf den niederschlagarmen Winter: "Wir starten in einen Sommer, der nicht so gut ausschaut."

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