Rekord bei Flugverspätungen: Wien wird zum Nadelöhr
2.751 Stunden. So viel Verspätung haben alle Flugzeuge, die am frühen Freitagnachmittag im europäischen Luftraum unterwegs waren. Der Luftraum mit den meisten Verspätungen war zu diesem Zeitpunkt Wien mit 716 Stunden. Die durchschnittliche Verspätung pro Flug liegt bei einer halben bis einer Dreiviertelstunde.
Die Bundeshauptstadt entwickelt sich zu einem Nadelöhr der internationalen Luftfahrt. „Im vergangenen Jahr waren es Karlsruhe und Straßburg, jetzt ist es auch in Wien“, sagt Peter Thier, Sprecher der Austrian Airlines. Die Fluglinie spricht von einer „Verdoppelung bis Vervierfachung“ der Verspätungen..
Flüge verspäten sich immer häufiger
2.900 Beschwerden
Die (staatliche) Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte APF hat heuer bereits um fast 40 Prozent mehr Beschwerden über verspätete Flüge von und nach Österreich registriert als im gleichen Vorjahreszeitraum (knapp 2900 statt 2050). Rasche Besserung ist keine in Sicht: „Es wird drei bis vier Jahre dauern, bis sich das alles wieder entspannt“, sagt Thier zum KURIER.
Die Ursachen für die zunehmenden Probleme sind vielschichtig. Eines davon ist vielleicht schon, dass jeder den jeweils anderen als Schuldigen der aktuellen Misere ausmacht. Die Fluglinien sehen die Flugsicherung in der Verantwortung – und die Fluglotsen wiederum die Airlines beziehungsweise andere Flugsicherungen.
Verschärft wird alles sicherlich dadurch, dass Wien ein Knotenpunkt für Billig-Fluglinien geworden ist. Gerade diese Airlines müssen ihre Maschinen ständig in der Luft haben, damit diese keine Kosten am Boden verursachen. Kommt es bei einem Flug zu Verspätungen, hat dies einen Dominoeffekt zur Folge. Auch die Austrian ist davor nicht gefeit. „Das Wichtigste ist sicherlich die Frühspitze. Gibt es da ein Problem, dann hängt das den ganzen Tag nach“, sagt ein Flughafen-Insider.
Dazu kommt, dass die Flugstraßen in Europa in den 50er- und 60er-Jahren entwickelt wurden und nicht besonders belastungsfähig sind. Fällt zum Beispiel die Flugsicherung in Marseille aus, dann führt die Ausweichstrecke über Afrika – das sind 500 Kilometer oder rund 37 Minuten zusätzlich.
Verschärft wird dies durch einen Mangel an Fluglotsen. Trotz enormer Einstiegsgehälter (von 5.000 Euro und mehr) findet sich in Europa nicht genügend Nachwuchs. In Deutschland wurden sogar 2.000 Euro Prämie für einzelne Dienste bezahlt. Aus Luftfahrt-Kreisen heißt es immer wieder, dass die Fluglotsensuche nicht immer so nachdrücklich betrieben wird, weil die Kosten für die Verspätungen die Fluglinien übernehmen müssen und nicht die Lotsen.
Die Austro Control wehrt sich dagegen, wie Sprecher Peter Schmidt sagt: „In Wien gab es im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr aus Sicht der Flugsicherung einen Verspätungszuwachs von nur drei Sekunden je Flieger.“ Daher konnte der Flughafen Wien trotz eines deutlichen Verkehrszuwachses von 14 Prozent de facto stabil abgewickelt werden, so Schmidt.
Die Ursachen für Verspätungen sieht die Austro-Control vor allem bei den Nachbarn: „Benachbarte Flugsicherungen, zum Beispiel in Deutschland, bieten einzelne Flugstrecken aufgrund von Personalmangel zum Teil gar nicht mehr an. Zuletzt sind dadurch zusätzliche zehn Prozent an Flugverkehr durch Österreich gelotst worden. Im Sinne der gesamteuropäischen Netzwerkverantwortung übernimmt Austro Control zusätzlichen Flugverkehr, Verspätungen können aber teilweise nicht vermieden werden.“
Laut Schmidt werden derzeit 40 Fluglotsen-Trainees pro Jahr aufgenommen. AUA-Sprecher Thier betont aber, dass es eben drei, vier Jahre benötige, bis ein Fluglotse voll einsatzbereit ist.
94 Cent pro Passagier
Ein offenes Geheimnis ist aber auch, dass die Fluglinien immer knapper kalkulieren müssen. Laut Berechnungen des deutschen Luftfahrtverbandes verdient eine Fluglinie durchschnittlich nur noch 94 Cent pro Passagier und Flug. Verspätungen ab sechs Stunden kosten aber eine Airline 600 Euro (siehe auch Zusatzbericht rechts).
In Wien-Schwechat haben Flughafen und AUA vor einigen Monaten das Projekt Chronos gestartet, um alle Abläufe (vom Check-in über die Sicherheitskontrolle bis zum Boarding) zu optimieren. Da die Austrian fast jeden zweiten Flug aus Wien abwickelt, ist diese auch der wichtigste Partner. „Wir sind da in einer Ehe“, meint Thier. „Es ist ein weiter Wege, aber es trägt schon erste Früchte.“
Es gibt in der Luftfahrt-Industrie aber auch Personen, die der Meinung sind, das Chaos rund um Wien käme manchen gar nicht so unrecht und würde den Druck erhöhen, die dritte Piste zu bauen. Das laut Insidern im Endausbau rund 2,9 Milliarden Euro teure Projekt dürfte vorerst auf die lange Bank geschoben sein – der Flughafen selbst rechnet nicht mehr vor 2030 mit einer Fertigstellung. Mehr Verspätungen würden sicherlich den Druck auf die Politik erhöhen. Offiziell wird dies natürlich bestritten.
Laut Statistiken (von Plattformen wie Airhelp und Flightstats) lag der Flughafen Schwechat schon im Vorjahr bei der Pünktlichkeit auf Platz 102 von 142 Flughäfen. Die AUA war im Juni die zwölftpünktlichste Fluglinie von 23 großen Airlines in Europa.
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