Antirassistische Proteste in Wien: Sie haben einen Traum
Was haben George Floyd und Marcus Omofuma gemeinsam? Beide lebten als Schwarze in einem mehrheitlich weißen Land, beide wurden durch überzogene Härte von Polizisten getötet. Omofuma 1999 während seiner Abschiebung aus Wien, Floyd knapp dreißig Jahre später in den USA, beide sind erstickt.
Am 4. Juni werden beide Namen erstmals von einer Menschenmenge in der Wiener Innenstadt skandiert. Die nach Floyds Tod in den USA (zum wiederholten Male) losgetretenen „Black Lives Matter“-Proteste sind an diesem Tag endgültig in Österreich angekommen. Veranstalter und Polizei hatten mit einer Versammlung von etwa dreitausend Personen gerechnet – etwa die Hälfte derer, die auf Facebook zugesagt hatte – weil es nach Regen aussah. Letztlich sind es laut offiziellen Zahlen etwa 50.000 geworden.
Die Idee zu einer solchen Demo hatte der erst 19-jährige Mugtaba Hamoudah wenige Wochen zuvor. Weil er sich nicht sicher war, wie er das alleine auf die Beine stellen sollte, wandte er sich an Mireille Ngosso, die noch-stellvertretende Bezirksvorsteherin des Ersten Bezirks – und einzige schwarze Frau in der österreichischen Politik.
„Ich habe sie einfach auf Instagram angeschrieben“, erklärt Hamoudah. „Dann haben wir Kontakt gehalten und das gemeinsam auf die Beine gestellt. Am Tag der Demo habe ich sie zum ersten Mal getroffen.“
Ngosso meldete die Demonstration an und kümmerte sich um den Umgang mit den Behörden, Hamoudah organisierte Sprecherinnen und Sprecher, darunter der Rapper T-Ser. Den Tag bezeichnet der 19-Jährige im Nachhinein als anstrengend und hochemotional: Vom Stress der Organisation über die Demonstration an sich bis hin zu anschließenden Medienterminen – Zeit im Bild-Interview inklusive. Öffentlich wurde im Nachhinein kritisiert, dass die Corona-Sicherheitsregeln vom Großteil der Protestierenden schon alleine aufgrund des enormen Andrangs nicht eingehalten wurden.
Direkt am nächsten Tag fanden dann die zweiten „Black Lives Matter“-Proteste statt. Hier tauchten zwischen 8.000 und 9.000 Personen auf, gemeinsam zogen sie zur US–Botschaft in der Wiener Boltzmanngasse. Die Organisatoren dieser Demonstration waren sehr darauf bedacht, keine Angriffsfläche zu bieten: Sie forderten die Teilnehmer auf, Masken zu tragen, den Sicherheitsabstand von einem Meter einzuhalten und verteilten in der Menge Desinfektionsmittel.
Jetzt wird es politisch
Die Organisationsteams der beiden Demonstrationen schlossen sich in den folgenden Wochen zusammen und treten nun als Kollektiv, als Black Lives Movement Austria auf. Sie erarbeiteten einen Forderungskatalog an die Politik, den sie unter anderem bei der dritten großen Demonstration am 2. Juli verkündeten.
- Eine Polizei-Beschwerdestelle
Diese soll kostenfrei in Anspruch genommen werden können, sowie unabhängig und außerhalb des Innenministeriums angesiedelt sein.
- Identifikation von Polizisten
Polizeibeamte sollen dazu verpflichtet werden, im Dienst sichtbare Dienstnummern sowie Bodycams an der Uniform zu tragen.
- Antirassismus-Schulungen
In die Polizei-Ausbildung sollen Antirassismus-Schulungen integriert und von Betroffenen geleitet werden.
- Psychosozialer Dienst für Schwarze
Für Menschen, die in ihrem Alltag von Rassismus betroffen sind, soll ein österreichweiter Dienst eingerichtet werden, der eine psychologische Betreuung ermöglicht.
Eine vom Innenministerium unabhängige, kostenlose Beschwerdestelle für polizeiliche Übergriffe bleibt das oberste Ziel. Eine solche steht zwar bereits im türkis-grünen Regierungsprogramm, soll aber im Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) angesiedelt werden – und damit weiterhin unter der Schirmherrschaft des BMI.
Die Bewegung fordert zudem die öffentliche Anerkennung eines Rassismusproblems in der Polizei. Dessen Existenz könne er „ausschließen“, sagte Innenminister Nehammer letzte Woche. Es wird wohl bald wieder protestiert werden.
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