Corona-Demonstranten: Was sie eint, ist nur der Widerstand
Es waren 40.000 Menschen aus allen Schichten, die am Samstag in Wien auf die Straße gingen. Ganz vorne bekennende Rechtsradikale, die mit Pyrotechnik die Luft vernebelten. Dahinter Familien, teils mit Kindern. Daneben Politiker. Andere trugen mahnend Holzkreuze vor sich her. Dazwischen tanzten einige zu „Macarena“ oder trommelten. „Demonstrieren wir, oder sollen wir tanzen“, brüllten Hooligans in Richtung der Tänzer.
Und doch: Eines einte die 40.000 Menschen. Gemeinsam skandieren sie: „Widerstand!“
Es war die größte Corona-Demo, die bisher in Österreich stattgefunden hat. Zwei Tage vor dem vierten Lockdown, nach Verkündung der Impfpflicht.
400 Anzeigen wurden an diesem Tag erstattet, sechs Personen festgenommen. Wegen der Weigerung, Maske zu tragen, wegen Verstößen nach dem Verbotsgesetz. Aber auch nach Angriffen auf die Polizei. Ein Pilot eines Polizeihubschraubers wurde mit einem Laserpointer geblendet. Ein Demonstrant versuchte, einem Beamten die Dienstwaffe aus dem Holster zu reißen.
Stimmung am Kippen
Es habe ein „hohes Maß an Aggression“ geherrscht, sagt der Wiener Landespolizeivizepräsident Franz Eigner einen Tag später. „Die Stimmung war relativ knapp am Kippen.“ Oder wie es Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ausdrückte: „Es gibt eine Gruppe, die versucht, Demonstrationen zu kapern.“ Er meint damit die Rechtsextremen.
Dass sie bei derartigen Demos dabei sind, ist nicht neu. Dass auch politisch Andersdenkende mit ihnen Seite an Seite marschieren, ist für Außenstehende allerdings schwer nachvollziehbar und erklärbar.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
„Es ist nicht die Demonstration. Es ist ein Sorgentopf für alle jene, die sich machtlos und eingeschränkt fühlen“, sagt John Haas. „Bei Demonstrationen kann man Sorgen und Vorbehalte aller Art ausleben.“ Der Psychologe hat sich auch in seinem Buch (Titel: Covid-19 und die Psychologie) mit dem Thema auseinandergesetzt.
Er sieht Demos als Ventil. „Emotionen spielen hier eine wichtigere Rolle als Rationalität.“ Und vielen sei gar nicht bewusst, mit wem sie den Weg gehen. „Sie sehen nur sich und ihre Sorgen.“
Zorn, Hilflosigkeit, mögliche Arbeitslosigkeit auf der einen Seite. Auf der anderen die Politik, die Versprechen gebrochen hat und ein Vertrauensproblem hat. Eine Grundlage, die sich von organisierten Gruppen sehr gut nutzen lässt. „Ein derartiges Gefüge eignet sich dazu, neue Anhänger zu gewinnen. Das ist nicht neu“, erklärt Haas.
"Wir erleben einen Wahrheitsverfall"
Soziale Medien erleichtern es, Botschaften in kürzester Zeit an unzählige Menschen zu bringen. Auch Botschaften, die für Außenstehende absurd wirken – etwa eine Impfung aus dem Hinterhalt durch den Kanaldeckel. „Wir erleben schon seit einigen Jahren einen Wahrheitsverfall und produzierte Desinformation. Das rüttelt tatsächlich an den Grundfesten der Demokratie. Die Leute wissen nicht mehr, was sie glauben sollen.“
Dennoch ist Haas davon überzeugt, dass eine Eskalation bei diesen Demos unwahrscheinlich ist. „Die österreichische Mentalität ist eine der langsamen Anpassung. Wir waren noch nie Revolutionäre.“
Und er sieht auch einen Weg, die Wogen zu glätten. Etwa durch eine Verringerung der Arbeitslosigkeit. „Unzufriedenheit ist kanalisierungsfähig.“
Extremismus-Experte Nicolas Stockhammer erkennt hingegen sehr wohl terroristische Tendenzen. „Wenn jemand einen Polizeiwagen anzündet, dann müssen schon die Alarmglocken schrillen“, sagt er.
Vom Altnazi bis zum Demotourist
Tatsächlich gab es am vergangenen Freitag in Linz einen derartigen Vorfall. Die mutmaßlichen Täter (die drei Verdächtigen sind zwischen 16 und 20 Jahre alt) waren nach einer Coronakontrolle derart in Rage, dass sie nicht nur den Streifenwagen, sondern auch die Polizisten anzünden wollten.
Wobei auch Stockhammer betont: Das Spektrum der Demonstranten ist groß. Der Großteil wolle zeigen, dass man mit den Maßnahmen unzufrieden sei. Ein Protest, der legitim ist.
„Aber dann haben wir hier auch Altnazis, Identitäre, Hooligans und zum Teil auch Impfgegner, die sich leicht radikalisieren lassen“, sagt Stockhammer. Zudem bekommen sie Unterstützung von Gleichdenkenden aus dem Ausland. „Demotouristen“, nennt sie der Extremismus-Experte.
Gewaltbereit sei unterm Strich nur eine kleine Minderheit. Doch die profitiert von einer großen Plattform. „Viele Demonstranten machen sich gar keine Gedanken darüber, mit wem sie da unterwegs sind. Sie nehmen das gar nicht bewusst wahr, hinterfragen es auch nicht“, meint Stockhammer. Anderen wieder sei es schlicht egal.
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