"Mein Chef hat mich psychisch gebrochen"
Marlene Payer (Anm.: Name von der Redaktion geändert) ist Mitte 20, arbeitet in der Medienbranche, ist engagiert und gut in ihrem Job. Sie arbeitet viel, kommt auf 50 Stunden die Woche und schleppt sich auch mit Mandelentzündung noch zur Arbeit. „Gedankt wurde einem für die viele Arbeit nie“, erzählt sie.
Ja, noch schlimmer: Ihr Chef sei ein Choleriker gewesen, aber sie wollte unbedingt durchhalten. Selbst als sie zu Hause Panikattacken bekommt, geht sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit und lässt sich nichts anmerken.
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Bis es irgendwann nicht mehr geht: Payer hat eine Panikattacke während der Dienstzeit. Nach einem Todesfall in der Familie spitzt sich ihre Situation dann endgültig zu. „Auf einmal hat man mir angemerkt, dass es mir nicht mehr gut ging“, sagt sie rückblickend.
Sie beschließt, ihr Problem nicht länger zu verheimlichen und spricht ihren Chef darauf an. Anstatt darauf einzugehen, wimmelt er sie ab und empfiehlt ihr, sich nicht so „anzustellen“. Im Büro wird getuschelt. Gerüchte werden verbreitet, Payer sei „psychisch gestört“.
Mein Chef hat mich psychisch gebrochen
Als die damals Mitte-20-Jährige im Meeting Kritik äußerte, nennt ihr Chef sie vor allen anderen „hysterisch“. Payer ist verzweifelt und weiß sich nicht mehr zu helfen. „Mein Chef hat mich psychisch gebrochen“, sagt sie heute über diese Zeit. Mit Unterstützung des Betriebsrats flüchtet sie in eine Bildungskarenz.
Als sie nach neun Monaten zurückkommt, sagt man ihr, sie müsse erst ihren „Psycho-Scheiß“ in den Griff bekommen, bevor sie wieder zu arbeiten anfangen kann. Für Payer ist klar, dass sie so nicht zurückkommen möchte. Sie kündigt ihren Job und fängt eine Therapie an. „Die ersten drei Jahre war es unglaublich schwer, darüber zu reden“, erinnert sie sich.
Mittlerweile sind zehn Jahre vergangen. Die Mittdreißigerin arbeitet wieder in der Medienbranche - aber in einem „verständnisvollen Umfeld“, wie sie selbst sagt.
Wie viele Menschen in Österreich von Diskriminierung aufgrund psychischer Erkrankungen betroffen sind, ist nicht bekannt. Auf Nachfrage konnten weder die Arbeiterkammer noch die Behindertenanwaltschaft oder das Sozialministerium Auskunft geben.
Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein
Fakt ist aber, dass zwischen 2018 und 2022 laut Österreichischer Gesundheitskasse 880.363 Menschen österreichweit in psychiatrischer Behandlung waren. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher sein, denn die Zahlen umfassen lediglich die ÖGK-versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitslosengeldbezieher.
Hinzu kommt, dass sich nicht jeder psychisch Erkrankte in Behandlung befindet. Aber: im Berufsleben stehen die meisten von ihnen trotzdem.
Trotz psychischer Erkrankung im Arbeitsleben
Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien, muss es wissen. Sein Institut hat vor einigen Jahren eine Bevölkerungsstudie durchgeführt. Ergebnis: „80 Prozent der Menschen mit einer psychischen Erkrankung stehen ganz normal im Arbeitsleben. Und meistens kriegt der Arbeitgeber gar nicht mit, wenn jemand eine derartige Erkrankung hat.“
Auch die Krankenstände seien bei psychisch Erkrankten nicht wesentlich höher, erklärt der Professor: „Psychisch Kranke sind zwar oft länger am Stück im Krankenstand – was die Gesamtzahl der Krankenstandstage angeht, ist der Unterschied zu gesunden Menschen aber gering.“
Und dennoch haben Arbeitgeber immer noch Berührungsängste mit dem Thema. Das zeigt auch der Fall von Brigitte A., über den der KURIER vor einigen Tagen berichtete. Die 56-Jährige bewarb sich bei den Wiener Linien um eine Stelle als Buslenkerin und/oder als Service-Mitarbeiterin. Die Wienerin war zuvor jahrelang bei der Rettung und lenkte dort Einsatzfahrzeuge. „Ich fahre gerne mit dem Auto – ich dachte mir, dass das gut passt“, erzählt sie im Gespräch.
56-Jährige musste Gesundheitsprotokoll ausfüllen
Sie wurde zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Im Vorfeld musste die 56-Jährige bereits ein ausführliches Gesundheitsprotokoll ausfüllen, das sie zum Gespräch mitnehmen sollte. Bei der Frage nach der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten gab sie offen an, dass sie seit fünf Jahren Antidepressiva nehme. „Das ist mit den Wiener Linien nicht vereinbar“, beschied man ihr daraufhin. Ein weiterführendes Gespräch gab es nicht. Die 56-Jährige bekam weder den Job als Buslenkerin noch den als Service-Mitarbeiterin.
Häufig gibt es zu wenig Wissen darüber, was psychische Erkrankungen überhaupt sind.
Mangelhafte Aufklärung
Professor Wancata von der Med Uni Wien erklärt sich die Ablehnung seitens vieler Firmen gegenüber psychisch kranken Menschen mit mangelnder Aufklärung: „Häufig gibt es zu wenig Wissen darüber, was psychische Erkrankungen überhaupt sind. Das Spektrum reicht von: 'Jeder ist ein bisschen psychisch krank' bis hin zu 'psychisch Kranke sind alle gefährlich und können nicht arbeiten'".
Arbeitnehmer muss meist keine Auskunft geben
Rechtlich gesehen muss man den Arbeitgeber über seinen Gesundheitszustand – und dazu zählt auch der psychische – in den allermeisten Fällen nicht informieren. Philipp Brokes, Arbeitsrechtsexperte bei der Arbeiterkammer Wien erklärt: „In der Regel darf der Arbeitgeber nicht nach dem psychischen Gesundheitszustand fragen, weil mein Interesse an der Wahrung meiner Gesundheitsdaten in der Regel überwiegen wird gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers, das einfach zu erfahren.“
Das Interesse des Arbeitgebers kann jedoch dort höher wiegen, wo eine verantwortungsvolle Tätigkeit das Wissen des Arbeitgebers um den Gesundheitszustand sehr wohl rechtfertigt. Als Beispiel nennt Arbeitsrechtler Brokes etwa „Pilotenjobs – und alles, was mit Massenbeförderung und einem hohen Sicherheitsrisiko einhergeht.“ Hier könne der Arbeitgeber argumentieren, dass er verpflichtet sei, seiner Schutzpflicht gegenüber anderen nachzukommen.
Beratung von außen holen
Der Psychiater Johannes Wancata empfiehlt Unternehmen, sich im Umgang mit psychisch kranken Arbeitnehmern Beratung von außen zu holen. „Von der Arbeits-Assistenz zum Beispiel, die gibt es in allen Bundesländern. Dort weiß man, wie man beispielsweise mit Angststörungen umgeht.“ Für Betroffene ein unschätzbarer Vorteil, denn informierte und verständnisvolle Vorgesetzte sind wesentlich, um sich trotz Handikap am Arbeitsplatz so sicher und wohl wie möglich zu fühlen. Und ganz „normal“ seine Arbeit zu machen.
Marlene Payer kann das an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen – und sogar ihrem Chef – kann sie offen über Stress und psychische Probleme sprechen. „Wir tragen sogar Therapiestunden in den gemeinsamen Office-Kalender ein“, erzählt sie.
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