Politologe Pelinka :„Frauenquote als Hilfsmittel ist sinnvoll“
„Der politische Aufstieg der Frauen“ heißt das neue Buch von Politikwissenschafter Anton Pelinka. Es handelt von Margaret Thatcher, Indira Gandhi, Eleanor Roosevelt – und ihren Wegen an die Macht. „Mutiger, klüger, verrückter“ ist der Titel des neuen Buchs von Journalist Gerhard Jelinek. Es sind Porträts über Frauen aus Kunst, Literatur, Politik, Wissenschaft.
KURIER: Sie haben jeweils ein Buch über mächtige Frauen geschrieben. Warum jetzt, warum über Frauen?
Anton Pelinka: Vor ziemlich genau 100 Jahren wurde in den meisten Demokratien, auch in Österreich, das aktive und passive Frauenwahlrecht eingeführt. Jahrzehntelang waren Frauen exotische Ausnahmen in den Parlamenten und Regierungen. Das hat sich gegen Ende des Jahres 2000 rasant geändert.
Gerhard Jelinek: In einer Ausstellung im Kunsthistorischen Museum hing ein Bild von Maria Magdalena. Ich wusste nicht rasend viel über sie und habe begonnen, zu recherchieren. In der Geschichte hat man aus Maria Magdalena eine Sünderin gemacht, dabei war sie einfach die Jüngerin von Jesus Christus. Sie war die einzige und erste, die am leeren Grab von Jesus Christus stand. Für mich ganz spannend, dass im Neuen Testament eigentlich eine Frau Zeugnis der zentralen Botschaft des Christentums ist. Das hat mich interessiert.
Herr Jelinek, gibt es Beispiele von Frauen, deren Geschichte falsch erzählt wird?
Jelinek: Kleopatra ist ein Musterbeispiel. In unserer Rezeption ist das eine Ägypterin, aber sie war eine griechisch-hellenistische Herrscherin. Sie war nicht einfach nur schön, sondern hat über drei Jahrzehnte hinweg ein wagemutiges, machtpolitisches Spiel mit dem Weltreich Rom gespielt.
Herr Pelinka, mit Kamala Harris haben die USA 2020 erstmals eine Vizepräsidentin. Ist das früh oder spät?
Pelinka: Schwer zu sagen. Es hätte ja, wenn es nach der Direktwahl der Stimmen gegangen wäre, vor vier Jahren schon eine Präsidentin gegeben. (Hillary Clinton, Anm.) Wegen des amerikanischen Wahlsystems ist das nicht passiert. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Österreich im Vorjahr zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin bekommen hat. Das heißt, es geht schrittweise von Land zu Land verschieden. Aber es ist insgesamt eine Verspätung, wenn man vom Ziel der Gleichheit von Frauen und Männern in den Verfassungen und vom gleichen Wahlrecht ausgeht.
KURIER Talk mit Anton Pelinka und Gerhard Jelinek
Eleanor Roosevelt, Indira Gandhi und Margaret Thatcher haben durch ihre politische Tätigkeit die gläserne Decke durchstoßen. Ist das bei Kamala Harris, einer „Person of Color“ also in doppeltem Ausmaß der Fall?
Pelinka: Ja, wobei wir nicht vergessen dürfen: 2008 wurde erstmals ein Afroamerikaner US-Präsident. Der Trend verläuft überall im Sinne des Abbaus von Grenzen. Mit Joe Biden wurde in den USA zum zweiten Mal ein Katholik Präsident. Das ist kaum diskutiert worden, 1960 bei Kennedy war das noch ein großes Thema. Die Grenzen verschwimmen langsam und daher auch die Grenzen zwischen Frauen und Männern in der Politik. Die Politik der Frauen zeichnet sich nicht durch spezifische Inhalte aus. Thatcher war auch in der militärischen Politik angriffslustig, Ghandi hat erfolgreich Kriege geführt. Es sind nicht die Inhalte, sondern es ist die Zugangsgerechtigkeit zwischen Frauen und Männern, die hinter diesen Frauen steht.
Sie schreiben, das Patriarchat ist weniger geworden, aber vom „Ende des kulturell vermittelten Vorrangs der Männer“ könne keine Rede sein. Was braucht es, damit das mit der Gleichstellung noch funktioniert?
Pelinka: Es ist kein Zufall, dass der Aufstieg der Frauen mit einer Bildungsexpansion zusammenhängt. Seit einigen Jahren ist die Mehrzahl der an österreichischen Universitäten Studierenden weiblichen Geschlechts. Vor 50 Jahren war eine Frau in einem Professorenkollegium eine exotische Ausnahme.
Der Frauenanteil im Nationalrat liegt derzeit bei 39,3 Prozent. Braucht es eine Frauenquote?
Pelinka: Als Hilfsmittel ist das sicherlich sinnvoll und vorstellbar. Aber ich glaube nicht, dass es als Endprodukt sinnvoll ist, in Parlamenten auf fifty-fifty zu drängen. Das wird sich von selbst einstellen. Ich halte auch nichts von einer Katholiken- oder Altersquote in den Parlamenten. Als Hilfsmittel zur Unterstützung des Aufstiegs kann eine Frauenquote als vorübergehendes Instrument aber hilfreich sein.
Sind Sie beide Feministen?
Pelinka: Das ist eine Definitionsfrage. Ich befürworte den Feminismus, weil er eine wesentliche Qualitätsverbesserung der Demokratie bedeutet. Das heißt, ich bin als Demokrat für die Steigerung der Rolle von Frauen in Politik und Gesellschaft. Ob ich damit Feminist bin, weiß ich nicht. Ich würde das jedenfalls für mich in diesem Sinn nicht in Anspruch nehmen.
Jelinek: Dass Frauen im Laufe der Geschichte unfassbar unrecht getan wurde, ist evident. Dinge wie Gleichberechtigung sind außerhalb jeder Diskussion.
Sie sind für Gleichstellung. Warum tun Sie sich mit dem Begriff Feminismus schwer?
Pelinka: Ich tu mir überhaupt nicht schwer. Aber es gibt die Abwehrmentalität derer, die glauben, dass sie an Privilegien verlieren, vermutlich auch zu Recht. An den Universitäten in Europa, glaube ich, traut sich niemand mehr, gegen den Feminismus aufzutreten. Das ist so selbstverständlich geworden, wie sich auch kaum jemand traut, gegen die Demokratie, gegen Menschenrechte zu sein.
Jelinek: Ich hab immer erlebt, dass es sehr viele starke, tüchtige Frauen gibt. Ohne mich wirklich mit der Theorie des Feminismus intensiv beschäftigt zu haben: Ich bin Feminist. Warum nicht?
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