Defekte Brustimplantate: Vier Jahre Haft für Firmengründer

Firmengründer Jean-Claude Mas rauschte nach dem Urteil schnell ab.
Gericht sah jahrelange Täuschung als erwiesen an. VKI begrüßt Entscheidung.

Im ersten Prozess zum Skandal um Billig-Brustimplantate der Firma PIP (Poly Implant Prothese) in Marseille sind heute, Dienstag, die Urteile gefallen. Der Gründer des französischen Herstellerunternehmens wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 74 Jahre alte Jean-Claude Mas seine Kunden jahrelang bewusst getäuscht hat. Der Strafverteidiger des 74-Jährigen kündigte umgehend an, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Mas bleibt damit vorläufig auf freiem Fuß.

Defekte Brustimplantate: Vier Jahre Haft für Firmengründer
ARCHIV - Brustimplantate aus Silikon der Firma PIP liegen am 03.01.2012 in einem Firmengebäude in La Seyne-sur-Mer bei Toulon, Frankreich. Foto: Guillaume Horcajuelo/epa (zu dpa vom 08.12.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Auch die vier mitangeklagten ehemaligen Mitarbeiter von Mas seien schuldig gesprochen worden, berichtet VKI-Jurist Peter Kolba. Der Wiener Verein für Konsumenteninformation (VKI), der 73 geschädigte Frauen aus Österreich beim Verfahren in Frankreich vertritt, begrüßte in einer ersten Reaktion die Urteile und wird – sobald diese rechtskräftig sind – Schadenersatzansprüche bei einem französischen Fonds für Verbrechensopfer anmelden. So kann zumindest bis zu einem Höchstbetrag von 3.000 Euro Entschädigung erlangt werden.

Die Zivilverfahren des VKI gegen den Haftpflichtversicherer der PIP, die Allianz Versicherung in Paris, sind dagegen weiterhin anhängig. Die Versicherung setzt nach wie vor darauf, Ansprüche von betroffenen Frauen der Verjährung auszusetzen.

Genugtuung

"Das aktuelle Urteil ist für die betroffenen Frauen zunächst einmal eine Genugtuung. Es zeigt, dass Praktiken wie bei PIP nicht ungestraft bleiben", sagte Juristin Ulrike Wolf, die mit der französischen Rechtsanwältin Sigrid Preissl-Semmer die Urteilsverkündung in Marseille für den VKI verfolgte.

Der VKI führt im Auftrag des Konsumentenschutzministeriums eine Sammelaktion für Österreicherinnen, die durch PIP-Brustimplantate geschädigt wurden. 73 Frauen schlossen sich dem Strafverfahren gegen den Gründer von PIP und vier leitende Angestellte an. Die Gruppe der Österreicherinnen ist damit die größte Gruppe ausländischer Betroffener in dem riesigen französischen Strafverfahren. In Summe geht es für die österreichischen Geschädigten um rund 580.000 Euro.

Sobald die Urteile rechtskräftig werden, ermöglichen sie den Geschädigten, bei SARVI (Service d’aide au recouvrement en faveur des victimes d’infractions) in Frankreich Anträge auf Entschädigung einzubringen. Da sich die Täter als vermögenslos deklariert hatten, bleibt nur dieser Weg, um zumindest einen Teil des Schadens ersetzt zu bekommen, erläuterte Wolf. "Der Fonds SARVI ersetzt Höchstbeträge bis zu 3.000. Bei Schadenssummen, die sich im Einzelfall zwischen 4.000 und 20.000 Euro bewegen, ist das nur ein Teil, aber jedenfalls mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte Wolf.

Die Anklage im aktuellen Verfahren lautete auf vorsätzliche Täuschung und Betrug. PIP hatte für seine Produkte offenbar billiges Industriesilikon verwendet. Die Folgen für tausende Frauen weltweit waren platzende Implantate und Entzündungen, die einen raschen Austausch erforderten. Manche Ärzte rieten auch ohne akute Beschwerden zum Austausch der Implantate, was für die Betroffenen erneute Operationen, Schmerzen und Angst vor Folgeschäden bedeutete. Die aus dem mangelhaften Produkt entstandenen Schäden können die Betroffenen gegen den Hersteller geltend machen. Doch PIP ist insolvent und – aus heutiger Sicht – ist damit für die Geschädigten dort nichts zu holen.

Hunderttausende Frauen betroffen

Weltweit implantierten Chirurgen Schätzungen zufolge Hunderttausenden Frauen die inkriminierten Silikonkissen. Mehr als 7.000 von ihnen traten im Strafprozess als Nebenkläger auf - wie auch der TÜV Rheinland. Der Prüfdienstleister war für die Zertifizierung der Implantate und des PIP-Qualitätssicherungssystems zuständig.

Die rund 20 Musterprozesse des VKI gegen den französischen Haftpflichtversicherer von PIP, die Allianz Versicherung mit Sitz in Paris, laufen unterdessen weiter. Die Allianz bestreitet die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages und die Zuständigkeit für Frauen außerhalb Frankreichs. Die Versicherung war bisher auch nicht bereit, auf die Verjährung von möglichen Forderungen zu verzichten und damit eine – für beide Seiten – kostengünstige Klärung der Rechtsfragen zu ermöglichen.

"Es überrascht uns sehr, dass eine Versicherung ganz offensichtlich darauf setzt, dass sich die Betroffenen eine Klage in Frankreich nicht leisten können und daher auf ihre möglichen Ansprüche verzichten", sagte dazu Peter Kolba, Leiter des Bereichs Recht im VKI. "Der Schadensfall PIP ist ein weit über die Grenzen von Frankreich hinausgehender Massenschaden und die Regeln der Europäischen Union stehen auf dem Prüfstand, ob Geschädigte ihre Ansprüche auch tatsächlich über alle Grenzen hinweg durchsetzen können."

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