Angeklagter erzürnt die Brust-Opfer

Jean-Claude Mas (C), founder of French company Poly Implant Prothese (PIP), is surrounded by journalists as he sits next to his lawyer Yves Haddad (R) at the courthouse before the start of the trial of PIP breast implant company in Marseille, April 17, 2013. With over 5,000 plaintiffs, 300 lawyers and five defendants, a high profile fraud case over substandard French breast implants that stoked a global health scare went to trial on Wednesday. More than 300,000 women around the world bought breast implants over a decade from French company PIP, whose founder has admitted filling them with a homemade recipe using industrial-grade silicone gel. REUTERS/Philippe Laurenson (FRANCE - Tags: CRIME LAW HEALTH MEDIA)
Emotionsgeladener Auftakt und Verzögerungstaktik im Prozess um defekte Implantate.

Connard!“ Das ist es, was der wegen vorsätzlicher Täuschung angeklagte Jean-Claude Mas am Mittwoch zum Prozessauftakt in der französischen Hafenstadt Marseille zu hören bekam. Sinngemäß übersetzt ist „connard“ eine Mischung aus „Vollidiot“ und „Arschloch“.

Die Zuschauer, darunter einige hundert geschädigte Frauen, machten sich mit dem Schimpfwort Luft. Der 73-jährige Jean-Claude Mas war Chef der Firma Poly Implant Prothese (PIP), die Brustimplantate mit billigem Industriesilikon gefüllt, damit Kontrolleure des deutschen TÜV getäuscht und weltweit rund 400.000 Frauen gesundheitlich geschädigt oder zumindest gefährdet hatte. Die Einlagen rissen auf, die Gesundheitsbehörden riefen wegen möglicher Krebsgefahr zum Austausch der Implantate auf.

Zwischenrufe

Als der schwitzende Hauptangeklagte – von Kamerateams umringt – die zum Gerichtssaal umfunktionierte Messehalle betrat, schlug ihm der Zorn der Opfer entgegen. Seine Angaben auf die erste Richterfrage nach dem Vermögen – nämlich „vermögenslos“ sowie 1000 Euro Einkommen im Monat – wurden mit Tränen und Buh-Rufen quittiert. Der Vorsitzende drohte, bei weiteren Zwischenrufen den Saal räumen zu lassen. Was die Opfer so erzürnt, ist die Tatsache, dass Mas bis zu seiner Verhaftung im März 2012 in einer Luxus-Villa bei Toulon gelebt hatte. Er ist nach Hinterlegung einer Kaution inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Angeklagter erzürnt die Brust-Opfer
ARCHIV - Mit einer optischen Sichtkontrolle nimmt ein Mitarbeiter der Firma Polytech Health and Aesthetics GmbH im hessischen Dieburg am 06.01.2012 ein Silikonimplantat für den Gluteus Maximus (Grosser Gesässmuskel) in Augenschein. Die Firma ist der einzige deutsche Hersteller von medizinischen Brustimplantaten und Spezialimplantaten. Foto: Boris Roessler dpa/lhe (zu dpa-Reportage "Ein halbes Jahr nach dem PIP-Skandal - Brustimplantate boomen" vom 05.07.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Die 73 vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) betreuten geschädigten Frauen aus Österreich, die sich dem Strafprozess angeschlossen haben, fordern 570.000 Euro Schadenersatz. Aber die PIP ist seit 2010 pleite. Und der Haftpflichtversicherer Allianz setzt laut Peter Kolba, Chefjurist des VKI, darauf, „dass sich die Frauen eine Klage in Frankreich nicht leisten können und daher auf Ansprüche verzichten“. Einen für die Opfer kostengünstigen Verjährungsverzicht lehnte die Versicherung ab.

„Die Regeln der EU stehen auf dem Prüfstand, ob Geschädigte ihre Ansprüche auch tatsächlich über alle Grenzen hinweg durchsetzen können“, sagt Kolba.

Der Strafprozess ist bis 17. Mai anberaumt und findet in einer Halle auf dem Messegelände von Marseille statt, über der man das Schild „Justizpalast“ angebracht hat. Die 700 Sitzplätze waren rasch mit rund 500 Geschädigten und 200 Anwälten gefüllt. In drei weiteren Räumen mit rund 800 Plätzen für Journalisten und weitere Zuhörer wird der Prozessverlauf live via Bildschirm übertragen.

Der erste Tag verging mit Formalakten. Die Verteidiger beschwerten sich wegen mangelnder Vorbereitungszeit und versuchten, den ganzen Prozess zum Platzen zu bringen oder zumindest zum Nachteil der Opfer zu verzögern. Sie lehnten den Gerichtssenat wegen Befangenheit ab und verlangten die Delegierung des Verfahrens an einen anderen Ort. Über die Anträge muss noch entschieden werden, es wird mit einer Abweisung gerechnet.

Die Opfer

Die Grazerin Marie-Claude Putier hatte sich 2009 nach einer Brustkrebsoperation ein Implantat machen und es 2010 austauschen lassen. Im KURIER-Interview sagte sie, wer solche Implantate mit dem gefährlichen Silikon produziere, gehöre ins Gefängnis. Mas und den mitangeklagten Mitarbeitern drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Bei der 47-jährigen Angela Mauro aus Metz, die zum Prozess nach Marseille reiste, waren die (wegen Gewichtsverlusts nach Magenproblemen eingesetzten) Einlagen zwei Mal gerissen: „Ich erwarte, dass wir als Opfer angesehen werden und nicht nur als Frauen, die sich Prothesen einsetzen lassen wollten“, sagte sie.

Strafprozess Seit Mittwoch sitzen der Gründer der Firma Poly Implant Prothese (PIP), Jean-Claude Mas, und vier Angestellte wegen vorsätzlicher Täuschung in Marseille auf der Anklagebank.

Zivilprozess Der VKI führt rund 20 Musterprozesse gegen den französischen Haftpflichtversicherer von PIP, die Allianz, mit Sitz in Paris.

73 Opfer aus Österreich haben sich dem Prozess mit einer Sammelklage angeschlossen.

Zahlen 5250 Klägerinnen sind bisher im Verfahren registriert.1500 Sitzplätze für Geschädigte, Anwälte und Journalisten sind in der zum Gerichtssaal umfunktionierten Messehalle vorhanden.

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