Omikron traf mich wie ein Keulenschlag
Das Virus wütet, die Mutation Omikron fegt durchs Land: mildere Verläufe, manchmal sogar nur ein Schnupfen, zumindest bei vollständig Immunisierten. Angst? Braucht man dann wohl nicht zu haben. Dachte ich. Und habe falsch gedacht.
Es ist der fünfte Tag meiner Infektion. Ich schildere hier den Verlauf, der entgegen vieler anderer deutlich intensiver ausfällt, aber natürlich individuell ist und nicht für die breite Masse gelten kann. Vielleicht sind diese Infos aber für andere Betroffene wertvoll und regen Ungeimpfte zum Nachdenken an. Denn wenn das, was ich habe, ein milder Verlauf ist, möchte ich mir nicht ausmalen, wie ein schwerer wäre. Ich bin Mitte 30, habe keine Vorerkrankungen und ein sehr fittes Immunsystem. An meine letzte richtige Erkältung oder Erkrankung kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ich bin dreifach geimpft, mein Booster liegt zwei Monate zurück. Als Autorin möchte ich an dieser Stelle anonym bleiben.
Tag 1, Stunde Null
Alles beginnt mit zartem Halskratzen. Nichts Schlimmes, könnte auch an der trockenen Heizungsluft liegen. Ein bisschen Husten, nicht auffällig. Doch das Jucken im Hals fühlt sich seltsam an, so ein Gefühl hatte ich noch nie. Als würde man mich mit einer kratzigen Feder im hinteren, unteren Rachen kitzeln. Also mache ich einen Antigen-Test, den ich zu Hause habe. Er ist negativ, ich bin beruhigt. Der jüngste negative PCR-Test ist erst zwei Tage alt. Ich beschließe, am nächsten Morgen einen neuen Gurgel-PCR-Test zu machen, sicher ist sicher. Abends beginnt es mich etwas zu frösteln, ich mache mir einen Tee, lege mich ins Bett.
Tag 2, der Keulenschlag
Bereits in den frühen Morgenstunden reißt es mich aus dem Schlaf: die Gliederschmerzen fühlen sich an, als läge ich auf einer Streckbank. Mir ist übel und eiskalt. Ich lasse eine heiße Badewanne ein, doch selbst das hilft nichts. Plötzlich wird mir schwindlig, sehr schwindlig. Ich denke an einen grippalen Infekt, nehme ein Medikament aus der Hausapotheke und mache den Gurgeltest, der später von einem Nachbarn im Supermarkt eingeworfen wird.
Von da an kommt mit jeder Stunde ein neues Symptom hinzu, und ich weiß: Grippaler Infekt ist das keiner. Fieber in extremen Schüben, innerhalb von nur einer Stunde klettert es auf 39,8 Grad und fällt wieder auf 36,5. Hitze, Schweißausbrüche. Dann wieder eisige Kälte und Gänsehaut. Jede zweite Stunde wiederholt sich das, es strengt meinen Körper extrem an. Hinzu kommen Krämpfe in den Oberschenkeln, ich krümme mich im Bett, spüre förmlich wie mein Immunsystem gegen die Viren kämpft. Aufzustehen ist unmöglich, nach jedem Schub bin ich vollkommen kraftlos und schlafe ein – bis mich der nächste Schub aus dem Schlaf reißt. An Essen nicht zu denken, auch Trinken geht nicht mehr – keine Flüssigkeiten bleiben im Magen, kein Tee, keine Suppe, nicht einmal Wasser. Der Körper lässt nichts mehr hinein, stößt alles ab. Als wolle er sich abschotten. Das macht es aber auch schwer, lindernde Medikamente zu nehmen.
In einer "Schubpause" kratze ich meine letzten Energien zusammen und mache erneut einen Antigen-Test. Zuerst kommt nur ein roter Strich, das bleibt für zehn Minuten so. Ich war schon dabei, den Test wegzuwerfen, da erkenne ich nach exakt 13 Minuten plötzlich eine schwache zweite rote Linie, die innerhalb der nächsten Minuten deutlich wird. Also doch: positiv. Der Schock. Wie kann das sein? Als dreifach Geimpfte hat man doch nur Schnupfen, vielleicht Husten und ein paar leichte Erkältungssymptome. Aber nicht solche Schmerzen.
Ich bekomme Respekt vor diesem Virus, das sich in meinem Körper ausbreitet. Was wird da noch kommen? Ich google und stelle fest, dass ich nahezu alle Symptome habe bis auf Schnupfen (der sollte zwei Tage später kommen, aber nur ganz leicht und gleich wieder verschwinden) und den Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn. Aber Appetit habe ich ohnehin keinen, das scheint – wie ich recherchiere – eines der wesentlichen neuen Erkennungsmerkmale von Omikron zu sein. Neben Übelkeit. Die, bemerke ich, kommt auch immer mehr.
Mein Arzt verschreibt mir per digitalem Rezept einige Medikamente, die mir vor die Tür gestellt werden. Darunter auch ein Schmerzmittel. Aber das hilft wenig, abends kommt noch ein zweites hinzu, das lindert ein bisschen. Weil ich Wasser aber nur noch in Mini-Schlucken trinken kann, ist es nicht einfach, die Tabletten zu nehmen. Ich bin extrem müde, meine Beine tragen mich kaum, ich sorge mich, zu dehydrieren. An sich bin ich keinesfalls wehleidig, aber in diesem Moment denke ich tatsächlich daran, die Rettung zu rufen. Ich frage bei befreundeten Ärzten nach, die mir alle sagen: Nur bei Atemnot, sonst solle ich durchhalten. Ich habe keine Atemnot, also halte ich durch.
Tag 3, der positive Test
Das Ergebnis des Gurgel-Tests ist noch nicht da, ich konnte in der Nacht zwar ein paar Stunden schlafen, bin von den Fieberkrämpfen aber vollkommen erledigt. Das Halskratzen ist weg, der Husten weniger geworden. Meine Stimme ist belegt und rau. Ich aktualisiere mein Profil bei "Alles Gurgelt" gefühlt 100 Mal, doch die Auswertung dauert. Früher kam das Ergebnis nach etwa 12 Stunden, nun sind es bereits 20 Stunden. Ich schreibe eine Mail an "Alles Gurgelt", denke mir aber, dass man dort angesichts der vielen Fälle wohl alle Hände voll zu tun hat.
Es lässt mir aber keine Ruhe, ich mache einen weiteren Antigen-Test, auch dieser fällt positiv aus. Nachdem ich mich aber seit Symptombeginn in Selbstisolation begab, bin ich beruhigt, niemanden unmittelbar mehr angesteckt zu haben. Offenbar war ich nicht infektiös, bis der erste Antigen-Test ausschlug. Alle, mit denen ich zuvor in Kontakt war, blieben negativ. Ich informiere mein enges Umfeld in der Arbeit und im Privatleben und freue mich über jede liebevolle Reaktion. Tut gut, in so einer Situation.
Es ist früher Nachmittag, als der PCR-Test bestätigt, was die Antigen-Tests vorhergesagt haben: das Virus wurde nachgewiesen, der CT-Wert liegt bei knapp 23, ich bin also hochinfektiös. Die Fieberkrämpfe sind noch da, kommen nun aber nur mehr jede vierte statt jede zweite Stunde. Darüber bin ich dankbar. Vom Husten, der noch das geringste Symptom von allen ist, schmerzt mein Brustkorb. Es kommt heftiges Niesen hinzu, was es nicht besser macht.
Tag 4, die leichte Entspannung
Ich schaffe es, eine halbe Schüssel Suppe zu löffeln und das Wassertrinken fällt mir wieder leichter. Dennoch habe ich viel zu wenig Flüssigkeit im Körper, weshalb mir enorm schwindlig wird. Die Waage zeigt, dass ich seit Beginn der Symptome drei Kilo verloren habe. Das Intervall der Fieberschübe wird länger, ich schöpfe Hoffnung, dass ich das Gröbste überstanden habe.
Für einen persönlichen Feldversuch mache ich einen weiteren Antigen-Test, dieser ist wieder positiv, dieses Mal ist die zweite rote Linie aber nicht zart sondern dick und fett. Ich fühle mich wie in Watte gewickelt, bekomme plötzlich Schnupfen, mein Kopf fühlt sich schwer an und zieht.
Das Telefon läutet, die Gesundheitsbehörde ist dran. "Wie geht es Ihnen", lautet die erste Frage der freundlichen Mitarbeiterin. Man muss an der Stelle lobend die Organisation in Wien festhalten: Sowohl die einfache Anwendung mit dem Einwerfen der Gurgeltests in den Supermärkten über die Professionalität des Contact Tracing Teams bis hin zu den nötigen Informationsblättern – alles funktioniert. Die Dame nimmt sich für unser Telefonat Zeit, hört aufmerksam zu, antwortet ruhig und sachlich. In einem Fragebogen der Stadt Wien habe ich sämtliche Daten wie Aufenthaltsorte, Impfdaten und Symptome vorab eingegeben um die Befragung der Behörde zu unterstützen und zu verkürzen. Wir sprechen über Kontaktpersonen der vergangenen zwei Tage, etwaige Ansteckungsorte, meine Wohnsituation und Versorgungsmöglichkeiten. Sie gibt mir ihre Telefon-Durchwahl für den Fall, dass ich noch Fragen hätte, wünscht mir baldige Besserung. Ob es Delta oder Omikron ist, wusste sie zu dem Zeitpunkt noch nicht, die Sequenzierung dauere rund vier Tage. Ich frage, ob auch andere dreifach Geimpfte so starke Symptome hätten. "Ja, kommt schon vor", sagt sie. Abschließend wünscht sie mir baldige Besserung, und schließt damit, dass ich froh sein könne, geimpft zu sein.
Kurz nach dem Telefonat, als hätte das Virus das gehört, packt mich der nächste Gliederkrampf und rafft mich wieder nieder.
Tag 5, es geht aufwärts – oder?
Wenn ich in den bisherigen Tagen etwas Eindeutiges über das Virus gelernt habe: Es ist unberechenbar, auch wenn es im Körper rotiert. Seine Angriffe kommen aus dem Nichts und äußern sich immer in einem anderen Symptom – manchmal reiht sich auch ein Symptom ans andere, zumindest ist es in meinem Fall so. Immerhin: Nach und nach geht es mir besser, die Fieberkrämpfe werden milder und weniger, die Übelkeit ist verschwunden. Doch der Kreislauf ist wegen der Unterversorgung mit Flüssigkeit im Eimer, da heißt es jetzt: Wasser, Wasser, Wasser. Dennoch, ich fühle mich besser, wenngleich auch sehr müde. Als wäre ich einen viertägigen Marathon gelaufen. Ich schlafe viel, der Körper beginnt endlich, sich zu erholen. In zwei Tagen kann ich versuchen, mich freizutesten – sofern ich symptomlos bin. Ein kurzer Anruf bei meiner "Betreuerin" des Contact Tracing Teams ergibt: Die Sequenzierung ist abgeschlossen, es ist Omikron.
Mein bisheriges Fazit
Die Dame hat Recht: Was wäre gewesen, wenn mich das Virus schutzlos getroffen hätte, ich wäre wohl im Krankenhaus gelandet, vielleicht sogar auf der Intensivstation. Als junger, vollkommen gesunder Mensch. Omikron ist nicht zu unterschätzen, auch wenn viele davon nur einen Schnupfen bekommen. Von Long Covid wissen wir dazu noch gar nichts, auch nicht bei milden Verläufen. Wenn ich in meinen Körper hineinhöre, spüre ich jedenfalls, wie wild dieses Virus ist. Meine innere Abwehr munitioniert sich mit allem auf, was es hat. Bei jedem Fieberkrampf denke ich mir: Das sind nochmal 1000 Antikörper. Positiv denken hilft.
Und weil manche meinen, das sei ähnlich einer Grippe: So ist es nicht. Die hatte ich auch einmal. Das hier, ist zigfach ärger.
Kommentare