Mehr als 1.000 Unfälle pro Jahr: Wie sicher ist die Bahn?
Die Eisenbahn gilt als das sicherste aller Verkehrsmittel. Doch während Autos und Flugzeuge immer sicherer werden, explodieren die Unfallzahlen auf der Schiene. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich die Zahl der gemeldeten Vorfälle in Österreich beinahe verdreifacht.
Mittlerweile werden bereits über 1.000 Unfälle, 800 Ereignisse und mehr als 2.300 Störungen jährlich registriert - dazu gehört etwa das Überfahren von Haltesignalen. Wurde bei den ÖBB im Jahr 2011 noch in einem internen Bericht Alarm geschlagen, weil die Zahl der missachteten Signale von elf auf 25 stieg, so waren es im gesamten Streckennetz zuletzt bereits über 300.
Eisenbahnbehörde sucht seit Jahren die Ursachen
Noch erschreckender sind die Hintergründe. Seit es 2017 und 2018 eine vom Verkehrsministerium als "signifikant" bezeichnete Unfallserie wegen Signalüberfahrungen mit einem Toten und 100 Verletzten gab, untersucht die Oberste Eisenbahnbehörde die Ursachen.
Sechs Jahre später weiß man noch immer nicht, warum so viele Signale überfahren werden, heißt es in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung der zuständigen Ministerin Leonore Gewessler an die SPÖ.
Inzwischen gab es weitere derartige schwere Unfälle wie etwa den Zusammenstoß zweier Gefahrengutzüge im Burgenland. Die Folge waren 20 Millionen Euro Sachschaden, ein Regionalzug passierte nur Sekunden vor den Zugsentgleisungen die Unfallstelle (mehr dazu hier).
Insgesamt werden jedenfalls 71 Bahnunternehmen und 30 Eisenbahnschulen mit etwa 60.000 Mitarbeitern von elf Beamten kontrolliert, wobei lediglich fünf davon Verfahren führen dürfen. 138 Verfahren und Beschwerden sind laut Gewessler aktuell unbearbeitet, darunter etwa jenes zu den missachteten Signalen.
Die Sicherheitsuntersuchungsstelle im Ministerium (SUB) hatte es da einfacher - sie hat im Vorjahr überhaupt nur bei einem der über tausend Bahnunfälle eine genauere Untersuchung eingeleitet. Die restlichen Vorfälle würden keine Erkenntnisse zur Verbesserung der Eisenbahn-Sicherheit bringen, meint die SUB.
Vida kritisiert die hohe Zahl an Überstunden
Bahngewerkschafter Gerhard Tauchner fordert jedenfalls mehr qualifiziertes Aufsichtspersonal, schnellere Verfahren, die Einbeziehung der Personalvertretung in die Aufsichtsverfahren sowie mehr Kontrollen: "Vielen der gemeldeten Verstöße wird nur mit Verzögerung nachgegangen, das ist unhaltbar und gefährdet die Sicherheit des Bahnsystems massiv."
"Die Gründe für Signalüberfahrungen lassen sich fest machen an der hohen Arbeitsbelastung, den explodierenden Überstunden, dem Personalmangel und auch an Mängeln bei der Aus- und Weiterbildung", meint der Vida-Mann. "Hätte die Eisenbahnbehörde mehr qualifiziertes Aufsichtspersonal, um allen Vorfällen wirklich im Detail nachzugehen, würde sie auch die Gründe finden."
ÖBB sehen eine Steigerung der Sicherheit
Ganz anders sehen es die ÖBB, die einen Anteil von 84 Prozent am gesamten Bahnverkehr haben. "Aus einem Anstieg der Meldungen an die SUB kann keine Verschlechterung der Sicherheitsleistung abgeleitet werden", sagt Sprecher Daniel Pinka.
"Eine höhere Anzahl von Meldungen ergibt sich aus mehreren Faktoren, welche unter anderem auch ein Zeichen für eine Weiterentwicklung des Systems Bahn darstellen. Neben dem Anstieg der geleisteten Zugkilometer, einem Anstieg der am Netz agierenden Bahnunternehmen, der technischen Entwicklung der Bahn hinsichtlich Zentralisierung, Fernsteuerung, Automatisierung und Digitalisierung, welche es nunmehr ermöglich, relevante Informationen und Meldungen engmaschiger zu erfassen, ist es aber auch ein Zeichen für eine steigende Sicherheitskultur, die eine bessere Meldemoral fördert."
Die ÖBB betonen, dass sie sich in Europa im vergangenen Jahrzehnt in zahlreichen Sicherheitsstatistiken verbessert habe, jene der SUB sei nicht aussagekräftig. Bei den Toten und Schwerverletzten pro Zugkilometer liege Österreich mittlerweile bereits an 7. Stelle von 26 Ländern.
Und Pinka weiter: "Der größte Stellhebel für wesentliche Verbesserungen liegt nicht nur für die Sicherheit, sondern auch bezüglich Qualität und Zuverlässigkeit des Bahnbetriebes im weiteren Fortschritt der Technologisierung, der Digitalisierung und der Automatisierung zur Unterstützung der Mitarbeiter.
Dazu gehören auch Maßnahmen wie der Ausbau des Zugsicherungssystems ETCS und die Optimierung des Zugsicherungssystems PZB durch die Verlegung von 500Hz-Magneten. Im Bereich Verschub wird an einem System gearbeitet, das Signalüberfahrungen verhindern soll. Dieses System befindet sich derzeit in der Pilotierungsphase."
Und Pinka betont: "Im Zeitraum von 2012 bis 2022 konnte bei einem Anstieg der erbrachten Kilometerleistung auf dem ÖBB-Schienennetz von 142 auf 164 Millionen Zugkilometer, die Anzahl der signifikanten Ereignisse von 80 auf 55 reduziert werden."
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