Oberster Polizist nach Nazi-Fällen: "Es gibt kein Abwägen, was böser ist"
Oberösterreich, jenes Bundesland mit den meisten Anzeigen wegen rechter Straftaten, kommt nicht zur Ruhe.
Zunächst Rocker-Nazis, die Waffen im Wert von 1,5 Millionen Euro horteten. Dann ein 32-Jähriger, der ungeniert seine Nazi-Tattoos im Schwimmbad in Braunau zur Schau stellt.
Dabei immer wieder: Alte bekannte Namen von Nazis, die die Polizei seit Jahren kennt. Auch aus der Zeit des Objekt 21, einer schwerkriminellen Nazi-Gruppe, die auf einem Bauernhof aktiv war und seit mehr als zehn Jahren verboten ist.
OÖ Landespolizeidirektor, Andreas Pilsl, erklärt im KURIER-Interview, warum es für ihn kein Abwägen gibt, was Böser ist, wie es um die Fehlerkultur der Polizei steht und woran die Resozialisierung von Nazis scheitert.
KURIER: Hat Oberösterreich ein Problem mit Rechtsextremen?
Pilsl: Oberösterreich hat traditionell sehr hohe Zahlen bei den Anzeigen rechtsextremer Taten. Sicher auch, weil die Polizei sich ihres geschichtlichen Auftrags und der Vorbelastung, die OÖ hat, sehr bewusst ist. Orte wie Braunau, Gusen oder Mauthausen spielen zusätzlich eine Rolle. Dort sind die Zahlen rechtsextremer Taten höher. Da entwickelt sich etwas, das zu einem Gesamtbild führt, das kein gutes ist.
Warum entsteht dennoch von Außen der Eindruck, dass die Polizei in OÖ sich schwer tut, genau das klar zu benennen?
Ich habe kein Problem das zu benennen. Man darf nur nicht Äpfel mit Birnen verwechseln, wie es im Fall der Rocker war. Es gibt durchaus Rocker, die nicht aus dem rechten Milieu stammen. Somit kann ich nicht alle in einen Topf werfen. Aber dass unter den Festgenommenen, auch einige mit Objekt-21-Vergangenheit waren, wurde gesagt. Dass die gefundenen Waffen selbst die Polizei zum Nachdenken bringen, ist logisch. Und dass dies eine potenzielle Gefahr darstellt, ist uns klar.
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Um es klar zu benennen: Rechtsextreme stellen eine Gefahr dar?
Ja. Aber es stellen auch Islamisten eine Gefahr dar. Es gibt kein Abwägen, was böser ist. Aber der Organisationsgrad, der im aktuellen Fall vorhanden war, gepaart mit den Waffen, ist eine Bedrohung.
Gerade im Fall der Nazi-Rocker, aber auch bei jenem Mann, der in einem Schwimmbad in Braunau seine Nazi-Tattoos zur Schau gestellt hat, handelt es sich um Personen, die der Polizei seit Jahren als Nazis bekannt sind. Wie kann es sein, dass ein Rechtsextremer, der mit 16 Jahren das erste Mal auffällt, mit 32 immer noch aktiv ist?
Eine Resozialisierung im Gefängnis ist oft schwierig und funktioniert nicht immer. Die zumeist männlichen Täter landen letztendlich wieder bei uns. Weil sich ihr Gedankengut nicht ändert. Das haben wir aber auch in anderen Deliktsbereichen. Aber ja, im rechten Bereich stellen wir das vermehrt fest.
Die Polizei weiß doch seit Jahren, dass sich gerade Rechte im Gefängnis noch stärker radikalisieren. Was würde also helfen, oder hat man aufgegeben?
Das Strafrecht endet irgendwann. Und irgendwann müssen Delikte gesühnt sein. Dann muss wieder ein normales Leben möglich sein. Aber ja, man müsste wohl, ähnlich wie bei Gefährdern ansetzen, dass es Auflagen und eine Handhabe gibt.
Konkrete Pläne dafür gibt es nicht?
Das ist kein polizeiliches Thema, sondern ein gesamtgesellschaftliches und eines der Politik. So wie auch mehr Befugnisse für die Polizei eines sind. Denn ein großer Teil der Kriminalität läuft an der Polizei vorbei, weil wir eben nicht die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für eine technisch veränderte Welt haben.
Es geht nicht nur um Befugnisse, sondern auch um Signale an die rechte Szene. Wie Experten immer wieder betonen. Welches Signal sendet der oberste Polizist OÖ an dieser Stelle?
Eine klare Kante, die wir seit Jahren zeigen. Etwa mit der Soko Eva, die ich geleitet habe.
Pilsl legt ein Schriftstück vor, das zeigt, dass er im Jahr 1999, damals noch als Hauptmann, eine rechtsextreme Gruppierung zerschlug und festnahm.
Das zeigt, dass es bei Rechtsextremismus kein Pardon gibt. Das ist die Linie der Landespolizeidirektion OÖ. Und bei der wird es bleiben.
Wenn Sie von keinem Pardon sprechen, wie kann es dann sein, dass Beamte im Schwimmbad in Braunau einen Mann mit Nazi-Tattoos nicht kontrollieren?
Das ist der Taktik vor Ort geschuldet. Ob diese klug war, wird aktuell vom BAK untersucht. Man muss sich aber ganz genau anschauen, wie dies abgelaufen ist. Es wurde nicht versucht, etwas unter den Teppich zu kehren. Der Einsatz ist auch elektronisch dokumentiert und nachvollziehbar. Es wurden auch Schriftstücke und Berichte angelegt.
Aber die Fehlerkultur, aus etwas zu lernen, wenn es schief läuft, die müssen wir haben. Ich habe auch angewiesen, dass in den stark betroffen Bereichen, wie im Innviertel, im Bezirk Perg, im Salzkammergut, die Kollegen nochmals sensibilisiert und auf aktuelle Phänomene im Bereich Rechtsextremismus geschult werden.
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Sie haben ein sehr schönes Wort gewählt: Fehlerkultur. Gibt es in der Polizei, deren Wesen es ist, jene zu bestrafen, die Fehler machen, diese Fehlerkultur?
Eine sehr gut ausgeprägte sogar. Mir ist wichtig, dass die Polizei offen und transparent agiert. Wir haben nichts zu verheimlichen. Dort wo Fehler passieren, ist es wichtig, zu lernen.
Was lernt man aus dem Fall Kellermayr?
Zum tragischen Fall möchte ich inhaltlich nichts sagen. Wir haben unser Möglichstes getan. Es gibt aber Probleme, die nicht ausschließlich polizeilich gelöst werden können.
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Rund um das Objekt 21 wurden einst massive Vorwürfe laut, dass die Polizei in OÖ selbst mit Rechtsextremen in den eigenen Reihen zu kämpfen hat. Können Sie heute ausschließen, dass es Ermittler gibt, die auch nur einen Hauch von braun sind?
Ich glaube, dass wir hier überhaupt kein Problem haben. Wir konditionieren unsere Leute darauf, niemals nonchalant über etwas hinwegzusehen.
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Seit 2006 sind sie Landespolizeikommandant, seit 2012 Landespolizeidirektor. Letzteres seit jener Zeit, in der das Objekt 21 zerschlagen wurden. Gehen Sie mit den "alten bekannten Nazis" aus dieser Zeit auch in Pension?
Es ist zu befürchten. Wenn die Resozialisierung nicht gelingt. Und bei manchen habe ich da schwere Bedenken.
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