Niemand soll das lichtdurchflutete türkisblaue Wasser des Attersees so gemalt haben wie Gustav Klimt. Der Künstler war hier oft auf Sommerfrische. In der Gemeinde Seewalchen (OÖ) ist man stolz darauf. Ein eigener Klimt-Themenweg erinnert daran. Man präsentiert die Geschichte gerne den Urlaubern, die Abkühlung im See suchen.
Nur die stark befahrene Attersee-Straße trennt den türkisen See von einem Ort, der ebenfalls Geschichte geschrieben hat. Allerdings eine Geschichte, die rein gar nichts mit dem Idyll zu tun hat. Hausärztin Lisa-Maria Kellermayr hatte hier ihre Praxis. Jene Ärztin, die sich am 29. Juli des Vorjahres das Leben nahm, weil sie den Hass, der auf sie einprasselte, nicht mehr ertragen konnte. Kellermayr hatte sich für Corona-Impfungen ausgesprochen – und wurde massiv bedroht (siehe Faksimile).
Kein Interesse
Ein Thema, das manche in Seewalchen lieber vergessen würden. „Ich habe mich damals nicht dazu geäußert und werde es auch diesmal nicht tun“, sagt Bürgermeister Gerald Egger. „Jede Zeile, die darüber geschrieben wird, schadet der Gemeinde. Niemand hat hier mehr Interesse daran.“
Tatsächlich stoßen Journalisten in Seewalchen nicht nur auf Wohlwollen. „Geht das schon wieder los“, erklärt eine Passantin genervt, fuchtelt mit den Armen und eilt die Promenade entlang. „Wir wollen nichts mehr dazu sagen“, heißt es in der Bank, die im selben Gebäude wie Kellermayrs Praxis untergebracht ist. Im Café darunter erntet man verdutzte Blicke: „Das war hier?“, ist ein Ehepaar aus der näheren Umgebung überrascht, um im nächsten Satz über die Sinnhaftigkeit der Corona-Impfung zu sinnieren. „Das ist gar kein Thema, niemand spricht hier darüber“, würgt eine Kellnerin das Gespräch ab.
Doch nicht alle denken so darüber. Vinzent Huemer-Meyer etwa war Patient von Kellermayr. „Ich habe mich damals gewundert, warum die Fenster in der Ordination versperrt waren. Dass es sogar einen eigenen Security gegeben hat, habe ich erst im Nachhinein erfahren. Ich dachte, das ist ein Hausarbeiter.“ Engagiert hätte er die Ärztin erlebt. „Dass es so weit kommt, das hätte ich mir nie gedacht. Solche Dinge passieren vielleicht in Deutschland. Aber in so einem kleinen Ort wie Seewalchen?“, sagt er. Der Tod der Ärztin sei gewissermaßen ein Tabuthema, bestätigt er.
„Wir haben das meiste ja gar nicht mitbekommen“, sagt Floristin Ingrid. Kellermayr, die nicht aus Seewalchen stammte, lebte zurückgezogen. „Aber man hätte ihr helfen müssen. Die Kollegen hätten sie auffangen sollen.“
Hilferufe der Ärztin gab es viele. Sie veröffentlichte die Drohungen im Internet. Sie sprach öffentlich darüber. Sie informierte auch den Bürgermeister. Schritte wurden keine eingeleitet. „Es handelt sich nicht um eine Gemeindeärztin, die Zuständigkeit liegt bei der Exekutive“, erklärte man in einer offiziellen Beantwortung.
Das Verhältnis zwischen Gemeindespitze und der Ärztin dürfte nicht das beste gewesen sein. Hört man sich im Ort um, gibt es auch Kritik in Richtung des Bürgermeisters. „Der war ja nicht einmal bei der Eröffnung der Ordination. Nur als der Bundespräsident nach Kellermayrs Tod Blumen abgelegt hat, ist er plötzlich da gestanden.“
Fort Knox
100.000 Euro nahm die Ärztin in die Hand, um ihre Ordination zu schützen. Auch hier gab es keine Hilfe der Gemeinde. „Es existiert keine gesetzliche Grundlage für finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Geldern“, erklärte die Gemeindespitze. Und: „Es wurde kein Ansuchen an den Gemeinderat herangetragen.“
Dass Kellermayr Angst hatte, daraus machte sie keinen Hehl. „Sie hat einen sehr gestressten Eindruck gemacht, sie hat erzählt, dass sie bedroht wird“, schildert eine ehemalige Patientin. Und sie sprach darüber, dass sie ihre Ordination zu einem Fort Knox ausbauen müsse.
Seit November 2021, heißt es aus dem Innenministerium, habe man die Ärztin „hochintensiv beraten“, Schutzmaßnahmen seien „stark erhöht“ worden, alle „zur Verfügung stehenden Befugnisse und Maßnahmen zur Gänze ausgeschöpft.“
Ärzte in der Deckung
Gleichzeitig erklärte ein Polizeisprecher öffentlich, dass die Ärztin mit ihren Aussagen für die Corona-Impfung ihr eigenes Fortkommen befördern wolle. „Das ist bei manchen in der Gemeinde auf Zustimmung gestoßen“, beschreibt Anna Tostmann die Reaktionen. Sie betreibt im Ort das bekannte Trachtengeschäft. Generell sei die Situation damals heikel für Ärzte gewesen: „Einige, die geimpft haben, wollten nirgendwo als Impfärzte aufscheinen. Die Situation war schon wild.“
Engeren Kontakt mit Kellermayr pflegte Claudia Hauschildt-Buschberger. Die grüne Bundesrätin ist auch in der Gemeindepolitik engagiert. Und sie war mit Kellermayr befreundet. „Die Praxis war ihr Traum. Sie wollte auf jeden Fall bleiben“, erzählt sie. Dennoch entschied sich die Ärztin im Juni, die Praxis zu schließen. Zu massiv waren die Drohungen gegen ihre Person und die Mitarbeiter. „Der psychische Druck war enorm. Aber auch die finanzielle Not. Sie hat so viel Geld investiert.“
Nach der Schließung und wenige Tage vor ihrem Tod schickte Kellermayr noch eine Sprachnachricht an ihre Vertraute: „Stimmt es, dass es einen Postwurf vom Bürgermeister gibt, in dem er schreibt, dass die ärztliche Versorgung eh sichergestellt ist?“
Bis vor Kurzem wurde übrigens händeringend nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin gesucht. Im Oktober wird die Praxis neu eröffnet.
Ein offizielles Gedenken zum Todestag vonseiten der Gemeinde ist nicht geplant.
Nach den Verfassern der Hassnachrichten wird noch immer gesucht.
(kurier.at, mr)
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Aktualisiert am 28.07.2023, 12:18
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