Als sich Wien und Niederösterreich trennten: Zeitzeugen erinnern sich
Niederösterreich und Wien. Die Wiener und die Niederösterreicher. Vor genau 100 Jahren gingen die Wege der beiden Bundesländer auseinander. Davon erzählen können aber nur mehr die wenigsten.
Der Kaumberger (Bezirk Lilienfeld) Josef Halbwax kann sich an diese Zeit noch erinnern. Er wurde nämlich am 1. März 1922 – genau zwei Monate nachdem die Trennung Niederösterreichs von Wien vonstatten gegangen war – geboren. Er ist einer der ersten echten Niederösterreicher also.
In der Stube jenes Hauses, das er Anfang der 1970er-Jahre ersteigert hatte, sitzt er heute auf seinem Rollator. Vor ihm auf dem Tisch liegen aktuelle Zeitungen. An den Wänden die Fotos von vergangenen Tagen.
Auf Sommerfrische
Als Sohn einer Bauernfamilie verbrachte Halbwax seine gesamte Kindheit in Niederösterreich. „Seit meiner Geburt war ich stolz, Niederösterreicher zu sein“, sagt er. Die Nähe zu Wien und den Wienern habe man dennoch gebraucht. Zwei Wohnungen für Sommergäste gab es im elterlichen Bauernhaus. „Wir waren zwar froh, dass wir von Wien los waren. Wir waren aber auch froh, dass die Wiener auf Sommerfrische kamen.“ Aus den langjährigen Bekannten wurden Freunde. Manchmal sogar Familie. Josef Halbwax’ Firmpate etwa war einer der Wiener Gäste. „Wir haben zusammengelebt und uns aneinander gewöhnt.“
Schwierig war hingegen das Verhältnis zur Stadt. Der Weg nach Wien war nämlich fast immer beschwerlich. „Sogar nach dem Krieg gab es in ganz Kaumberg nur ein Auto“, erinnert er sich. Dementsprechend selten habe man die Reise angetreten.
Mit 19 Jahren zog Josef Halbwax in den Krieg. Bis er 1943 in Stalingrad verwundet wurde. „Ein Scharfschütze hat aus einem Nachbarhaus und durch meinen Arm geschossen. Die Kugel hat meine Wange und mein Ohr gestreift.“ Danach ging es für ihn zurück in die Heimat – nach Niederösterreich.
Auf Umwegen
In diesem Bundesland ebenfalls ein Zuhause gefunden hat Josef Köber. Am 9. Februar 1922 in Neppendorf in Rumänien geboren, fand er über Umwege hierher. Von den Rumänen als Soldat an die Deutschen übergeben, musste er im II. Weltkrieg für die Wehrmacht kämpfen. Kurz vor Kriegsende geriet Köber 1945 bei Danzig, im heutigen Polen, in russische Kriegsgefangenschaft. „Danach musste ich mich entscheiden, ob ich nach Ostdeutschland oder nach Österreich gehe“, sagt er. „ Da war für mich die Entscheidung klar.“
Sein erster Weg führte ihn in den Bezirk Hollabrunn. „In Gefangenschaft habe ich einem Mann das Leben gerettet. Ich durfte bei seiner Familie in Haugsdorf unterkommen.“ In die Schwester des Mannes habe er sich dann verliebt. Sie sogar geheiratet.
Länger gehalten hat ihn Niederösterreich zu der Zeit aber noch nicht. Die Suche nach Arbeit trieb ihn nach Wien, wo er 52 Dienstjahre bei der Post versah. Erst in der Pension ist er nach Niederösterreich zurückgekehrt. „Das ist jetzt aber auch schon wieder 40 Jahre her“, sagt er.
Mit der Politik habe er es nie so gehabt. „Ob Wien oder Niederösterreich, ich habe mich immer dort zu Hause gefühlt, wo ich war.“ Nun sei er aber ein echter Niederösterreicher. Das liege auch daran, dass seine gesamte Familie im Bundesland lebt.
Während die Trennung für manche identitätsstiftend war, ging sie an anderen spurlos vorbei. Aber ob politisch interessiert oder nicht, schlussendlich war das die Geburtsstunde der Niederösterreicher.
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