Nazi-Vorwürfe gegen Gründer von Kurhaus am Semmering
Der Name Hermann Stühlinger ist aus dem heilklimatischen Höhenluftkurort Semmering nicht wegzudenken. Der 1996 verstorbene Arzt betrieb Jahrzehnte lang das „Kurhaus Dr. Stühlinger“. Tausende Patienten gingen am Semmering bei dem angesehenen Arzt ein und aus, sogar eine Straße wurde nach ihm benannt.
Dieses Ansehen hat dieser Tage gehörig Schaden erlitten. Bei der Recherchearbeit zu seinem Buch „Am Semmering“ ist der Autor und Künstler Richard Weihs auf angeblich dunkelbraune Flecken in der Vergangenheit des am Semmering hoch schätzten Arztes gestoßen. Demnach soll Stühlinger als NSDAP-Arzt Karriere gemachthaben. Durch sein nationalsozialistisches Engagement schaffte er es bis zum Sanitäts-Brigadeführer der Sturmabteilung (SA), geht aus einem Bericht des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes aus dem Jahr 1938 hervor.
Anklage wegen Arisierung
Auch als Ariseur war Stühlinger angeklagt. Er soll zusammen mit einem Freund der jüdischen Familie Goldstern die Wiener „Fango-Heilanstalt“ und das angeschlossene „Brünnlbad“ weit unter ihrem Wert abgenommen haben. Während sie 1947 am Volksgericht Wien der „missbräuchlichen Bereicherung“ freigesprochen wurden, setzte es für Stühlinger 18 Monate Kerker wegen Hochverrats. Er war Mitglied der Österreichischen Legion 18 – eine paramilitärische Einheit, die ab 1933 für einen deutschen Einmarsch in Österreich ausgebildet wurde.
Für Weihs sind die Ergebnisse von Stühlingers Vorleben jedenfalls „höchst skandalös und völlig untragbar“. Er hat das Ergebnis seiner Recherchen vor einigen Tagen dem Semmeringer Bürgermeister Hermann Doppelreiter (ÖVP) zukommen lassen. Dieser zeigt sich im Gespräch mit dem KURIER völlig überrascht. „Ich bin natürlich aus allen Wolken gefallen. Niemand von uns hatte Kenntnis über eine solche, mögliche Vergangenheit“, so Doppelreiter.
Er will aber nicht unnötig Staub aufwirbeln, sondern die Angelegenheit zunächst einmal von fundierten Historikern auf ihre inhaltliche Richtigkeit prüfen lassen. Er habe dazu bereits mit dem Land NÖ Rücksprache gehalten. Eine Überprüfung sei in die Wege geleitet. Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, werde man die „Dr. Hermann Stühlinger Straße“ im Ort freilich sofort umbenennen, so der Bürgermeister.
Kurhaus ist seit 2016 geschlossen
Die Zufahrt zum Kurhaus Dr. Stühlinger ist erst 2014 nach dem Arzt benannt worden. Damals wurden zahlreiche Wege und Straßen nach den dazu gehörigen Bauten und Örtlichkeiten umbenannt, erklärt Doppelreiter. Das 1912 erbaute Kurhaus war einst einer der Paradebetriebe am Hausberg der Wiener. Stühlinger war enger Begleiter von Franz Xaver Mayr, dem Erfinder der F.X.-Mayr-Fastenkur.
2013 wurden der Betrieb und die Liegenschaft von der ukrainisch geführten Panhans-Gruppe übernommen. Nur drei Jahre später folgte die Insolvenz, seither ist das Haus geschlossen.
Kommentare