Ganz die Mama: 10 Mutter(tags)mythen unter der Lupe
Lieb und verständnisvoll soll sie sein, die Mutti. Grenzenlos liebend, und zwar bedingungslos und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Vor allem aber soll sie selbstlos sein. Keine eigenen Bedürfnisse haben. Mehr Muttertier als Mensch.
Mütter müssen und sollen immer noch allerhand. Und immer noch halten sich hartnäckig Klischees von vorgestern. Immer wiedergekäut, und das nicht zuletzt von Müttern selbst.
Wir haben anlässlich des heutigen Muttertags zehn Mutter-Mythen zusammengetragen und einem Faktencheck unterzogen. Haben Expertinnen dazu befragt, aber auch das eine oder andere Augenzwinkern zugelassen.
Einen Mythos haben wir leider vergessen. Er lautet: Mütter freuen sich immer über Selbstgebasteltes und Gutscheine. Die unzerstörbare Kette aus Makkaroni etwa, dazu einmal Geschirrspüler einräumen oder das Mistsackerl runtertragen.
Unsere Expertinnen sagen: Danke, ganz lieb.
1. Ganz die Mama
Welches Kind kennt den Satz nicht. „Ganz die Mama“, hört es und fragt sich, älter geworden: Stimmt das?
Genetisch ist es so: 50 Prozent kommen von der Mutter, 50 vom Vater. Beim Aussehen lässt sich das leicht feststellen. Je jünger die Menschen, desto größer die Ähnlichkeiten. Gut zu beobachten ist das bei eineiigen Zwillingen, sagt Werner Emberger, Facharzt für medizinische Genetik von der Meduni Graz. Als Kleinkinder kaum zu unterscheiden, wirkt sich später etwa der Lebensstil auf das Aussehen aus.
Wie aber ist das bei Eigenschaften? Sind sie genetisch bedingt oder erlernt? Es gibt genetische Einflüsse. Allerdings sind Eigenschaften noch kein Verhalten. Wer Risikobereitschaft in den Genen hat, muss noch lange nicht risikobereit sein. Vieles ist erlernt. Und die Menschen können Entscheidungen treffen. Fest steht: „Alle können sich glücklich schätzen, die ihr Leben in einer liebevollen Umgebung beginnen“, sagt Emberger. Mutter – und Vater – sind zentrale Figuren, die Gene und Verhaltensmodelle mitgeben.
Manchmal gilt also doch – ganz die Mama.
2. Mütter sind immer für ihre Kinder da
„Eine Mutter ist nicht nur Mutter. Eine Mutter ist zuerst einmal Frau.“ Die französische Autorin Carole Fives beschreibt in ihrem Roman „Kleine Fluchten“ das Leben einer Alleinerzieherin, die sich mühsam Freiräume erkämpft.
Auf die Frage nach angeblichen Mutterpflichten sagt Fives im KURIER-Gespräch: „Abgesehen davon, dass heute auch die Väter in die Pflicht genommen werden, hat eine Mutter auch eine eigene Existenz als Mensch. Nur als Mutter wahrgenommen zu werden, bedingt auch oft sozialen Abstieg. Die Reduktion auf das Mutterdasein ist eine Entfremdung von sich selbst, das kann einen verrückt machen. Natürlich gibt es Frauen, die sich allein mit dieser Rolle wohlfühlen, das ist auch ok, aber ich halte das für eine Minderheit. Die Mutterrolle wird nach wie vor dermaßen idealisiert, dass sie zur Falle werden kann.“
Carole Fives: „Kleine Fluchten“. Zsolnay Verlag. 142 Seiten. 19,60 Euro.
3. Bei Mama schmeckt’s am besten
Die einen kochen vor Wut, bei anderen geht Liebe durch den Magen. Was aber außer Frage steht: Bei Mama schmeckt’s am besten.Warum das wirklich so ist, erklärt Christine Brombach, Ernährungsforscherin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: „Geschmack ist erlernt.“ Heißt, uns schmeckt, was wir von klein auf kennen. Die Geschmackserinnerungen sind dabei mit unseren Gefühlen verknüpft. „Der Kontext ist prägend. Wenn ich etwas Altbekanntes esse, kommen auch die Gefühle von damals“, sagt Brombach.
Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel, um bei abgedroschenen Redewendungen zu bleiben. Es gibt Vorlieben, die genetisch festgelegt sind. Etwa jene zu Koriander. Das entsprechende Gen entscheidet, ob man ihn liebt oder hasst.
4. Mütter lieben all ihre Kinder gleich
„Mütter lieben all ihre Kinder gleich – und der Vater will am meisten geliebt werden“, sagt dazu Bettina Zehetner von der Beratungsstelle Frauen* beraten Frauen*. Zehetner zitiert die Scheidungsanwältin Helene Klaar: „Der häufigste Scheidungsgrund in meiner Kanzlei ist das zweite Kind. So viel Vernachlässigung hält kein Mann aus.“
Diese Erfahrung deckt sich mit jener von Zehetner, die deshalb ihr jüngstes Buch „Reparaturprojekt Mann – Erholungsgebiet Frau“ genannt hat. Therapeutin Michaela Költringer hält es ohnehin für keine gute Idee, alle gleich lieben zu wollen. „Jedes Kind und jede Mutter ist ein Individuum mit unterschiedlichen Eigenschaften und Bedürfnissen. Mutter-Kind-Beziehungen dürfen vielfältig sein. Mütter dürfen alle ihre Kinder unterschiedlich lieben.“
5. Mütter sind immer an allem schuld
Trotzreaktion. „Wer viel macht, steht auch öfter in der Kritik! Und Mütter leisten sehr viel – um nicht zu sagen zu viel!“, sagt Therapeutin Michaela Költringer. Sie spricht an Mütter eine „herzliche Einladung, sich viel häufiger zurückzulehnen“ aus. „Und das nicht nur am Muttertag.“
Im Übrigen können Vorwürfe und Reibereien zwischen Mutter und Kind auch auf eine sehr tragfähige, stabile Beziehung hindeuten. Kinder spüren, dass die Beziehung zur Mutter diesen Streit oder Vorwurf aushält. Das ist die eine Seite, die andere: Schuldgefühle als ständiger Begleiter vieler Mütter. Mache ich alles richtig?
Die Behauptung, dass Mütter an allem schuld sein sollen, hält Bettina Zehetner, die seit 20 Jahren Frauen berät, „als kindliche Trotzreaktion verständlich, in höherem Alter nicht mehr“.
6. Mütter können nicht loslassen
Nicht so schlimm, findet die Therapeutin: „Das kann schon vorkommen. Na und? Alles hat eben seine Zeit“, sagt Michaela Költringer. „Vielleicht empfiehlt es sich für Mütter, früher mit familiären Auszeiten zu beginnen. Etwa mit dem Partner oder mit Freundinnen früher und öfter ein Wellnesswochenende oder eine Bergwanderung zu machen. Frauen sind nicht nur Mütter, sondern auch Partnerinnen, Freundinnen, Kolleginnen, Buchliebhaberinnen … Jede Rolle gehört gepflegt. Ich bin sicher, Mütter sind schnell vom Begriff und lernwillig.“
Frauenberaterin Zehetner weiß eine Kur gegen das Nicht-Loslassen-Können: „Bad Moms Teil 1 + 2 anschauen.“ Die Filme handeln von Müttern, die beschließen, alle Verantwortungen hinter sich zu lassen, um selbst Spaß zu haben.
7. Mama behandelt mich immer wie ein Kind
Ja, das kann vorkommen: Mütter, die ihren 28-Jährgen Töchtern immer noch die Hand geben, wenn sie gemeinsam die Straße überqueren. Grundsätzlich nicht so schlimm, außer, dass die Tochter womöglich genervt die Augen verdreht. Sollte es ausarten: Frauenberaterin Zehetner rät zu klaren Grenzen – diese bieten Halt und Orientierung. Tatsächlich kann die gefühlte mütterliche Bevormundung zum Problem werden. Therapeutin Költringer: „In meiner Praxis erzählen erwachsene Personen, dass sie sich, wenn sie zu den Eltern heimkommen, wie ein kleines Kind fühlen. Sowohl Eltern/Mütter und auch (erwachsene) Kinder nehmen alte Verhaltensmuster ein.“ Sie rät: „Wenn du dich als Kind altersadäquat verhältst, gelingt es auch der Mutter, dich nicht wie ein Kind zu behandeln.“
8. Mama ist immer peinlich
Schlimme Szenen ereignen sich täglich vor vielen Schulen: Mütter, die ihren 13-jährigen Kindern vor den Augen der Schulkollegen einen Schmatz auf die Wange drücken. Wie peinlich ist das denn? Peinlich kann auch die Kleidung der Mutter sein, die Art wie sie lacht, welche Musik sie hört, überhaupt alles, was sie tut.
Völlig okay, findet Therapeutin Michaela Költringer. „Peinliche Mütter? Hoffentlich! Vor allem wenn die Kids im Teenageralter sind. Kinder wollen sich von der Mutter abgrenzen, und Mütter dürfen eine eigene Meinung, eigenen Stil etc. haben.“
Das Wort peinlich stammt übrigens aus dem Lateinischen und leitet sich von „poena“ ab. Das bedeutet Sühne, Buße, Strafe und auch Qual. Und eine „peinliche Befragung“ nannte man die Folter, mit der ein Verdächtiger zum Geständnis gebracht werden sollte. Heute drücken damit die Kinder und Jugendlichem die seelischen Grausamkeiten aus, die ihnen Eltern antun – und sei es nur das falsche T-Shirt zu tragen, wenn sie sich vor der Schule von ihnen verabschieden.
Mit Bussi.
Wie peinlich.
9. Ich will (nie) so werden wie meine Mama
Wenn die Kinder jung sind, dann gibt’s oft nichts Größeres als die Mama. Sie wollen in ihre Fußstapfen treten. Aber später?
„Während kleine Kinder sich sehr viel von den Eltern abschauen und von ihnen übernehmen, findet im Jugendalter oft eine Abgrenzung von den Eltern statt“, sagt Stefanie Höhl, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Uni Wien.
Jugendliche orientierten sich dann eher nach Gleichaltrigen oder nur wenig Älteren. Die eigenen Wertvorstellungen würden entwickelt und durchaus auch die Werte und das Verhalten der Eltern hinterfragt, erklärt die Psychologin. „Dadurch sind Jugendliche und junge Erwachsene häufig Antreiber gesellschaftlicher Veränderungen, wie jüngst in der Fridays-for-Future-Bewegung.“
10. Die böse Schwiegermutter
Wir alle kennen sie, die meist halblustigen Witze über Schwiegermütter. Die Anführung eines Beispiels erspart Ihnen die Autorin dieser Zeilen. Dahinter liegt ein uraltes Klischee. Im Märchen, im Film, im Roman – immer ist sie die Böse und macht zumeist der Schwiegertochter das Leben schwer.
Doch Schwiegermütter sind besser als ihr Ruf. Zu diesem Schluss kommt die deutsche Psychologin Andrea Kettenbach in einer Interviewstudie. Das Klischee rühre aus Zeiten, in denen Frauen ins Haus des Mannes einzogen sind. Dort war die Schwiegermutter das Oberhaupt der Familie, es kam zum Konkurrenzdenken. Heute ist das nur selten der Fall. Und so hat auch die Mehrheit der Befragten angegeben, ein gutes Verhältnis zur Schwiegermutter zu haben.
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