Muslimische Feministin: "Warum zieht ihr Männer euch nicht an wie der Prophet?"
Fatma Akay-Türker kritisiert die Benachteiligung der Frauen im politischen Islam. Sie gründete einen Verein, um Frauen bei ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu unterstützen.
Fatma Akay-Türker war 18 Monate lang Frauensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft, der IGGÖ. Da sie ihre Anliegen nicht durchsetzen konnte, trat sie 2020 zurück. Sie kritisiert: "Frauen haben in der traditionellen Lehre des Islam weder Platz, noch eine Wertstellung, noch ein Mitspracherecht." Daher gründete sie am Frauentag, am 8. März 2023, den Verein "Muslimische Frauengesellschaft in Österreich" (mfgo.at), mit dem sie Frauen zu mehr Selbstbestimmung ermutigen möchte.
Akay-Türker stammt aus Mittelanatolien in der Türkei und wuchs in Österreich auf. Sie ist Doktorin der Geschichte und arbeitet an einer zweiten Dissertation in Theologie.
KURIER:Wie kamen Sie zu Ihrem großen Engagement für Frauen?
Fatma Akay-Türker: Mich hat das Unglück der Frauen geprägt. Ich habe keine glückliche Frau gesehen in meinem Umfeld. Ich bin mit 13 nach Österreich gekommen und war ein kluges Mädchen. Mein erster Eindruck in Österreich war: Das Patriarchat ist hier viel ausgeprägter als in der Türkei. Das war 1989. In der Türkei war das Kopftuch damals kein Thema. Mutter, Großmutter und alle Frauen im Dorf haben ein transparentes Tuch getragen, darunter haben sie ihr Haar bis zur Hüfte wachsen lassen. Keuschheit oder schlechte Musliminnen – das war alles kein Thema.
Wann hat sich das Frauenbild so radikal gewandelt?
Das kam erst mit dem Aufstieg des politischen Islam in den 1990er-Jahren. Da hieß es, wenn man eine Haarsträhne zeigt, brennt man 700 Jahre in der Hölle.
2018 wurden Sie IGGÖ-Frauensprecherin. Nach 18 Monaten sind sie gegangen. Warum?
Ich habe gewusst, dass die IGGÖ konservativ ist, aber ich habe es mir nicht so radikal vorgestellt. Ich wollte das System von Innen verändern. Eine Freundin hat gesagt: Sie werden dich nicht sprechen lassen. Aber ich war optimistisch, immerhin kenne ich mich mit dem Koran aus. Was ich erlebt habe, ist für das 21. Jahrhundert eigentlich unglaublich. Die Rollen sind klar definiert: Der Mann ist das Oberhaupt und die Frau hat zu gehorchen.
Häufig war das Kopftuch ein Thema?
Ich habe einmal zu den Männern gesagt: Warum zieht ihr euch nicht wie der Prophet an? Die Antwort war: Mohammed würde sich in Europa heutzutage so anziehen wie ich. Ja, das unterschreibe ich. Die Frage ist aber: Warum muss die Frau der alten Ordnung entsprechen?
Sie haben selbst lange Kopftuch getragen, es dann aber abgelegt?
Die Verse über das Kopftuch waren das erste, was ich im Koran gesucht habe, weil ich oft danach gefragt wurde. Ich habe von dem, was uns gepredigt wurde, nichts gefunden. Ich habe es nicht glauben können: Ist das ein falscher Koran? Ich habe verschiedene Übersetzungen studiert, es stand nichts drinnen. Da ist mir aufgefallen, wie manipuliert ich durch das Narrativ des politischen Islam war. Männer erhalten dieses System – und sie werden von Frauen unterstützt, weil meistens sie die Traditionen weitertragen. Ohne Frauen könnte das Patriarchat nicht aufrecht erhalten werden.
Wie möchten Sie Frauen nun unterstützen?
Ich möchte eine alternative Sichtweise anbieten. Es melden sich viele Frauen bei mir, aber sie möchten anonym bleiben. Sie sagen mir, sie wussten, dass etwas nicht stimmt. Bisher hatten sie aber keine Ansprechperson. Ich wünsche mir eine humanistischere Auslegung. Warum sollte ich hier Angst haben, das Kopftuch abzulegen?
Haben Sie Angst?
Seit drei Jahren werde ich angefeindet. Meine Mutter und Freunde flehen mich an, ich soll schweigen. Sie sagen, ich werde getötet. Aber ich sage: Ich sterbe sowieso. Ich setze mich für Frauen ein. Wir sind für unsere Zukunft verantwortlich.