Mit Delta-Alpha-Whiskey in der Hagelwolke
Dort, wo Passagierflugzeuge ein paar Kilometer höher einen Bogen herum machen, fliegen Hagelabwehrpiloten mit ihrer Cessna direkt darauf zu. Sie wollen so nahe wie möglich an die Gewitterwolke herankommen – nur um kurz vor dem Zentrum wieder Reißaus zu nehmen.
Sie versprühen ein chemisches Gemisch, das dafür sorgen soll, dass sich keine allzu großen Hagelkörner bilden. Damit der Schaden am Boden möglichst gering bleibt.
Der KURIER hat Wolfgang Hanfstingl, den Piloten des Kleinflugzeugs Delta-Alpha-Whiskey, am Dienstag bei seiner Jagd auf Gewitterwolken in der Steiermark begleitet.
Bevor er um Freigabe vom Tower des Grazer Flughafens ersucht, checkt Hanfstingl erst die Cessna aus den 80ern nach allen Regeln der Kunst durch. Das Innenleben des Flugzeuges wirkt ein bisschen wie ein Mix aus ostdeutschem Trabant und französischer Ente. Mit dem feinen Unterschied, dass am Rücksitz ein 65 Liter fassender Sicherheitstank mit einer hochexplosiven Mischung verbaut ist.
Der Inhalt: ein Silberjodid-Aceton-Cocktail. Dieser wird später in die Wolke geleitet und sorgt dafür, dass sich der vormals massive Eisniederschlag als kleinere Hagelkörner gleichmäßiger in der Wolke verteilt. Das soll Hagelschäden am Boden in Grenzen halten.
Delta-Alpha-Whiskey
Zum Einsatz kommen drei Flugzeuge der Type Cessna 182 mit einer Leistung von 235 PS und einer Flugdauer von rund 4 Stunden je Flugzeug.
Vor dem Abflug der Check
Das System zur Hagelabwehr wird vor dem Abflug per Hand gecheckt.
Gewitterwolke
Eine Gewitterwolke wird ab ungefähr 10 Kilometern Höhe zur Hagelwolke. Dort herrschen Temperaturen jenseits von Minus 50 Grad Celsius.
Der Pilot
Hagelabwehrpilot Wolfgang Hanfstingl ist seit zehn Jahren in der Luft. Bei seinem ersten Einsatz im Kampf gegen den Hagel musste auch er sich den Schweiß von der Stirn wischen.
Mindestgeschwindigkeit
Die Mindestgeschwindigkeit von ca.120 km/h lässt ein optimales Impfen unter der Wolkenbasis zu.
Höchstgeschwindigkeit
Die Höchstgeschwindigkeit von ca. 260 km/h garantiert wiederum einen schnellen Standortwechsel.
Temperatur
Die Außentemperatur beträgt zum Zeitpunkt des Fluges 17 Grad.
Cockpit
Angekommen in den Wolken: Sicht gleicht Null
Die Jagd
Man fliegt nicht direkt in die Gewitterwolke, sondern umkreist sie so gut es geht.
Das Unwetter hat sich verzogen
Am Rückflug lässt sich die Sonne blicken
Richtung Osten türmen sich bereits die Wolken, der Meteorologe in der Zentrale der Hagelabwehr drängt zum Start. Als Navigation in den steirischen Wolken dient dem Piloten ein Display, das mit einem schachbrettähnlichen Raster bestehend aus Nummern versehen ist. Wohin es geht, bestimmt der Meteorologe vom Boden aus.
Erstes Ziel im Grazer Himmel ist das Raster 25, tönt es aus dem Funkgerät. Über Weiz wird es dann ruppiger, die Gewitterwolken sind klar sichtbar. Eingetaucht in der Wolke verstummt alles, zu hören nur das Summen des Flugzeugs. Das Orientierungsgefühl verabschiedet sich. Das nächste Sichtfenster in dem mittlerweile vollständig weißen Horizont, ergibt sich kurz vor einem Wolkenturm. "Da ist Energie drinnen," sagt Hanfstingl.
Was dann folgt, ist wie Achterbahnfahren im Blindflug. Man weiß nicht mehr, ob es in dem Moment rauf oder runter geht. Der Blick aus dem Cockpit bietet dafür keine Anhaltspunkte. Einzig das Gefühl im Magen teilt einem die Richtungsänderungen mit.
Hanfstingl hat mehr als zehn Jahre Flugerfahrung. Nichtsdestotrotz war der erste Flug als Hageljäger für ihn Anspannung pur. "Ich war dermaßen in Schweiß gebadet, dass mir das Bedienen des Touchscreens schwerfiel." Das erklärt auch, warum er normalerweise nur Piloten als Beiflieger mitnimmt.
"Pan Pan"
Die Delta-Alpha-Whiskey ist bereits seit einer Stunde in der Luft, als durch den Funk folgender Funkspruch durchklingt: "Pan Pan" (ein Notruf in der Flug- und Schiffsprache, Anm.).
Der Pilot wird hellhörig, die Stimmung im Cockpit ist angespannt. Einer der anderen Hageljäger dreht ab. Im Gepäck ein Radio-Reporter. Ihm ist schlecht geworden. In einer kleinen Maschine wie der Cessna eine durchaus heikle Situation. Es ist nicht das erste Mal, dass es durchaus flugerprobte Journalisten mit der Angst zu tun bekommen. Einmal musste sogar der Notarzt zum Flughafen anrücken und einen Reporter versorgen.
Wieder meldet sich die mittlerweile vertraute Stimme aus dem Funk. Auf Englisch – der dazu gehörende Metereologe ist Inder – gibt sie zu verstehen, dass sich ein Wolkenturm auf die magische zehn Kilometer Grenze hochgeschraubt hat. Hanfstingl spricht sich per Funk mit den Kollegen ab und koordiniert die Flughöhe. Seine Maschine ist auf 6000 Fuß, ungefähr 1800 Meter über dem Boden. Der Regen peitscht mittlerweile unaufhörlich gegen die dünne Scheibe der Cessna. Ein letztes Mal Silberjodid fertig.
Nach ungefähr zwei Stunden wird die Rückkehr befohlen. Laut Wetterdienst Ubimet hat es im Einsatzgebiet der Hagelpiloten nur vereinzelt kleine Hagelkörner gegeben. Ob das am Flug der Hagelabwehr liegt, kann man jedoch nicht sagen, denn der Effekt der Hagelabwehr ist mangels Vergleichbarkeit nicht nachweisbar. Eine ZAMG-Langzeitstudie besagt aber zumindest statistisch, dass Hanfstingl heute nicht umsonst in der Luft war.
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