Das Leben in Österreich beginnt für den gebürtigen Afghanen wenig erfreulich: „Im Juli 2015 wurde ich im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen aufgenommen. Ich war damals 15, ich war vom ersten Tag an immer auf mich alleine gestellt.“
Obwohl minderjährig und unbegleitet, konnte er sich in den kommenden drei Jahren kein einziges Mal bei einem Erwachsenen aussprechen, geschweige denn ausweinen. Die Behörden ließen ihn eines: „Warten.“
Auch heute lässt man den inzwischen anerkannten Flüchtling warten: „Derzeit warte ich darauf, dass man mich einen Antrag auf Staatsbürgerschaft stellen lässt.“ Er lächelt, er weiß: Ein Luxusproblem im Vergleich zu den Anfangsjahren.
Ohne Hilfe einer Familie schaffte Lotfullah Yusufi in der VHS in Wien 15 den Pflichtabschluss, danach die ersten eineinhalb Jahre in der HTL Mödling. Dann musste er abbrechen, nicht aufgrund von Faulheit: „Ich habe mir das damals nicht sagen getraut, aber ich hatte als Kind Hunger.“
Von seiner Unterkunft in der Nähe von Mariazell fuhr er täglich mit dem ersten Zug in der Früh los, um gegen 8 Uhr in der Schule in Mödling zu sein. Zurück kam er erst gegen 20 Uhr. „Daher musste ich das Frühstück und das Mittagessen im Quartier auslassen. Und mit den 40 Euro, die ich jeden Monat bekommen habe, konnte ich mir nicht viel kaufen.“
Die „Drittel-Chance“
Heute spricht Yusufi von einer „Drittel-Chance“: Ein Drittel der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wird von österreichischen Familien aufgenommen und gut unterstützt. Von diesem Drittel schaffen es viele zu akademischen Abschlüssen. Ein Drittel hätte – so wie er – ebenso Potenzial für eine gute Ausbildung. Und ein weiteres Drittel sei gefährdet, auf die schiefe Bahn zu geraten.
Lotfullah Yusufi fühlt sich heute von seinem Chef und den Kollegen bestens aufgenommen. Seine tägliche Arbeit, das Kommissionieren und Disponieren von Büchern, beherrscht der Handelsangestellte bestens.
Und wenn er mit dem 36. Gehaltszettel bald auch die letzte Hürde für die neue Staatsbürgerschaft genommen haben wird, möchte er als Sportler für Österreich starten und spät eine akademische Ausbildung zum Gerichtsdolmetscher beginnen.
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