Abgeschobener Flüchtling: Tränen. Südlich von Strasshof

Waleed Alsaedi und Gerhard Wessely
Wie es jetzt einem Flüchtling geht, der von Österreich abgeschoben wurde.
Von Uwe Mauch

"Papa, du musst jetzt stark sein." Mit diesen Worten verabschiedet sich der junge Mann von dem alten Mann. Sie stehen am Hauptbahnhof der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Die Szene berührt, auch deshalb: Der leibliche Vater von Waleed Alsaedi wurde vor drei Jahren in Bagdad exekutiert. Weil sich der unbescholtene Spediteur geweigert hatte, den IS-Angreifern die Schlüssel seiner Lkw zu überlassen.

Waleeds "Papa" kommt jetzt aus Strasshof im Marchfeld. Im September 2015 haben Gerhard und Ingrid Wessely das leer stehende Untergeschoß ihres Hauses für den jungen Flüchtling geöffnet. Das pensionierte Lehrer-Ehepaar war damals einem Aufruf der Caritas gefolgt. Was sie nicht wissen konnten: Dass sie damit zu ihren drei erwachsenen Töchtern einen jüngeren Sohn bekamen.

"Du musst fortgehen"

Der junge Mann hatte in Bagdad ein englischsprachiges Gymnasium besucht, bevor dieses von einem Granatenangriff komplett zerstört wurde. Seine Mutter war schon schwer krank, als sie schweren Herzens zu ihm sagte: "Waleed, du musst mich jetzt verlassen. Du musst fortgehen, wenn du weiterleben möchtest." Vier Monate dauerte seine Flucht über die Balkanroute bis nach Traiskirchen. Beziehungsweise nach Strasshof.

Vom ersten Tag an lernen die Wesselys Deutsch mit ihm. Vom ersten Tag kann er sich in der Marktgemeinde nördlich von Wien gut integrieren: Die Gemeinde lässt ihn im erlaubten gesetzlichen Rahmen einen Tag pro Woche Grünflächen und Straßen reinigen und bei Veranstaltungen mithelfen. Für das Rote Kreuz betreut er ehrenamtlich Menschen im Rollstuhl. Im Musikverein lernt er Gitarre, in Wien spielt er auch Theater. Im Fußballverein von Strasshof wird er nach zehn Monaten links in der Offensive eine Lücke hinterlassen. Nicht nur eine sportliche.

Am 11. Juli 2016 klopfen zwei junge Polizisten bei den Wesselys an. Man kann ihnen ansehen, dass ihnen diese Amtshandlung nahe geht. Mit der Berufung auf die Dublin-III-Verordnung erklärt sich die Republik Österreich für den Flüchtling nicht zuständig. Denn er hat die Europäische Union via Kroatien betreten.

"Der Fußballtrainer, der Musiklehrer, der Bürgermeister, der katholische Pfarrer und seine Kollegen vom Roten Kreuz erkundigen sich regelmäßig bei uns, wie es dem Waleed geht", erzählt Gerhard Wessely auf der Heimreise. Er kann ihnen auch von seiner sechsten privaten Zagreb-Fahrt nur wenig Positives berichten.

Einfach verschoben

Waleed Alsaedi sitzt weiterhin, nun schon seit 15. Juli 2016, in einem ehemaligen Hotel im Süden von Zagreb fest. Er teilt ein Zimmer mit drei anderen jungen Männern. In dem abgewohnten Gebäudekomplex sind derzeit rund 300 Flüchtlinge einquartiert, die meisten auch aus Österreich abgeschoben.

Es gibt den ganzen Tag nichts zu tun. Keinen Sprachkurs, kein Internet, nicht einmal einen Fernseher, von traumatherapeutischer Hilfe ganz zu schweigen. Das Hotel "Porin" in der entlegenen Sarajevska Straße, nahe des Verschiebebahnhofs, ist ein versteckter Warteraum für verzweifelte junge Menschen, die von der Europäischen Union de facto zum Nichtstun verurteilt wurden. Es ist eine halbe Ewigkeit vom Stadtzentrum entfernt.

Der inzwischen 21-jährige Mann hat hier den ganzen Tag Heimweh: "Ich denke oft an meine Mutter im Irak und an meine Familie in Strasshof." Und er hat Angst. Als er am Silvestertag mit dem Bus in Richtung Innenstadt fahren möchte, um Essen zu kaufen, wird er von drei maskierten Männern attackiert. Mit Baseballschlägern schlagen sie ihn auf den Hinterkopf, der später mit elf Stichen genäht werden muss. Und brechen ihm den rechten Arm.

Die Zivilcourage des Busfahrers und der Mitfahrenden sowie die Hilfe der Zagreber Polizei dürfte sich laut gleich lautender kroatischer Medien-Berichte in Grenzen gehalten haben. Waleed sagt: "Ich habe in Zagreb schon selbst mehrere Übergriffe miterlebt. Es gibt daher Mitbewohner, die trauen sich nicht mehr aus dem Haus."

"Und was dann?"

Immerhin, Waleed hat noch seine Familie und Freunde in Österreich. Alle drei bis vier Wochen bekommt er Besuch aus Strasshof. Herr Wessely hilft, wo er kann. Doch er sagt auch: "Die Chancen, dass sein Asylantrag in Kroatien abgelehnt wird, stehen 50 zu 50. Und was dann?"

Waleed hofft indes noch immer auf eine Rückkehr nach Österreich. Mit Gottes Segen? Auch Kardinal Schönborn wurde mit seinem Fall vertraut gemacht.

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