Millionen-Betrug: Wie alte Menschen abgezockt werden

Noch nie im Leben hatte Frau Ernestine ernsthaft mit der Polizei zu tun. Dementsprechend nervös war die gebrechliche Seniorin, als sie in Baden bei Wien versuchte, ihr gesamtes Erspartes bei ihrer Hausbank abzuheben. Eine kriminelle Organisation hatte sich als Kripo ausgegeben und sie mittels einer gewieften Betrugsmasche am Telefon dazu bewegt, Schmuck, Gold und Bargeld in eine Tasche zu packen und einem – natürlich falschen – Polizisten zu übergeben.
In diesem Fall hatten die Kriminellen die Rechnung ohne die aufmerksamen Bankangestellten gemacht, die stutzig wurden und die Polizei verständigten. Damit diese Art der Sensibilisierung österreichweit im Bankwesen Schule macht, haben Innenministerium und Bundeskriminalamt diese Woche zu einem Gesprächsgipfel samt Videokonferenz mit führenden Vertretern des Bankensektors, dem Seniorenrat, Gemeindevertretern und Spezialisten des nö. Landeskriminalamts geladen.
Neben dem klassischen Anlagebetrug, beispielsweise mit Kryptowährungen, sind die sogenannten Neffen-, Kautions- und Polizeitricks die derzeit gängigsten Betrugsformen in Österreich. Zuletzt gab es wöchentlich mehrere Dutzend Anzeigen österreichweit. Fast 60 vollendete Taten waren es im Jahr 2021 alleine in Niederösterreich, dazu kommen mehrere hundert Versuche. Die Opfer sind allesamt betagte Personen, deren Unsicherheit aufgrund des fortgeschrittenen Alters schamlos ausgenutzt wird.
Der Modus Operandi ist laut den führenden Betrugsermittlern des nö. Landeskriminalamts, Alfred Kainz und Hannes Zöchbauer, immer ähnlich. Aus dem Telefonbuch werden Personen mit Festnetzanschlüssen und altmodisch klingenden Vornamen gesucht und kontaktiert. Die Anrufer geben sich in akzentfreiem Deutsch meist sehr eloquent als Polizisten aus. Entweder geben die Anrufer vor, dass ein Angehöriger einen Unfall verursacht habe und nun eine Kaution zu bezahlen sei. Oder es wird wegen angeblicher Einbrüche in der Nachbarschaft nach Geld, Schmuck und Wertgegenständen gefragt und deren sichere Verwahrung angeboten.
Spiel mit der Angst
Gespielt wird ganz bewusst mit den Ängsten der alten Menschen. „Die Anrufer suggerieren den Pensionisten, dass sie die nächsten Einbruchsopfer sein werden. Sie bieten höflich, aber bestimmt an, vorbeizukommen und die Wertsachen vorübergehend in Sicherheit zu bringen“, erklären die Ermittler.
Es sind Fälle bekannt, bei denen die Opfer Gold und Bares im Wert von 250.000 Euro und mehr in eine Tasche packten und an einem vereinbarten Abholungsort deponierten.
Dass Bankenvertreter und Seniorenverbände über die Aktion „Gemeinsam sicher in den besten Jahren“ in die Kampagne eingebunden wurden, hat einen guten Grund. Immer häufiger werden die Opfer auch genötigt, ihr Erspartes von der Bank abzuheben. Es sind auch Fälle bekannt, bei denen wohlhabende Pensionisten von Chauffeuren zu Hause abgeholt und zum Geldinstitut gebracht wurden. Um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen, wurden die Opfer angehalten nicht mehr als 10.000 Euro pro Bankstelle abzuheben.

Das Bundeskriminalamt lud zum Gipfel mit allen Beteiligten
Polizeitrick
Anrufer geben sich als Polizisten aus und suggerieren den Opfern, dass ein Einbruch bevorsteht. Die Opfer werden dazu gedrängt, zur Sicherheit Bargeld und Wertgegenstände auszuhändigen
Neffen- oder Enkeltrick
Anrufer gibt sich als Enkel oder Neffe des Opfers aus und täuscht eine Notlage vor, für die kurzfristig Geld benötigt wird. Die Kriminellen wollen damit eine Geldübergabe erreichen
Kautionstrick
Kriminelle geben sich als Kripo-Beamte aus und teilen mit, dass ein Angehöriger einen Unfall verursacht habe. Um ihn vor einer Haft zu bewahren, sei eine Kaution in fünfstelliger Höhe zu zahlen
Microsoft-Trick
Angebliche Microsoft-Mitarbeiter melden sich via Telefon und behaupten, dass der PC von Viren befallen ist. Sie erschleichen sich Passwörter und können auf das Online-Banking zugreifen
Ermittler des Bundeskriminalamts haben einen Leitfaden für Geldinstitute erarbeitet. Dabei geht es darum, derartige Betrugsversuche möglichst frühzeitig am Kassenschalter zu erkennen und sofort Alarm zu schlagen.
Callcenter in der Türkei
Wie das Bundeskriminalamt mittlerweile weiß, agieren die kriminellen Banden von professionellen Callcentern in der Türkei und aus dem arabischen Raum aus. Die Geldabholer oder Chauffeure in Österreich sind Laufburschen, die für die Jobs rekrutiert werden. An die dicken Fische kommt die heimische Polizei nicht heran, weil die türkischen Behörden kein Interesse an der Strafverfolgung zeigen, heißt es dazu aus dem Innenministerium. Die Polizei insistiert eindringlich, verdächtige Anrufe zu melden.
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