Finanzen, Lebensqualität: Wie die untere Mittelschicht verliert

Die Heizkosten sind für viele Menschen mit niedrigem Einkommen zum Problem geworden.
Eine neue Studie der Armutskonferenz zeigt, wie Armutsgefährdete und Menschen der unteren Mittelschicht die aktuellen Krisen finanziell zu spüren bekommen.

Menschen, die arm sind, leiden vor allem unter den stark gestiegenen Wohnkosten. Ebenfalls problematisch sind die Ausgaben für Energie, die Kosten für Lebensmittel folgen an dritter Stelle. Das sind – grob zusammenfasst – einige der zentralen Ergebnisse einer Studie der Armutskonferenz, die im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführt wurde. Montagfrüh wurden die Ergebnisse veröffentlicht.

„Die Teuerung und das untere Einkommensdrittel: Wirkung und Strategien. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus der Sicht von Betroffenen“ lautet der Titel der Studie. Mit 41 Armutsbetroffenen sowie mit 17 Menschen aus der unteren Mittelschicht (siehe Infobox unten) wurden im März und April 2023 qualitative Interviews geführt. 

Grundsätzlich seien mit Corona und der Teuerung einfach „zu viele Krisen zusammengekommen“, sagt Sozialexperte Martin Schenk von der Armutskonferenz. Hier die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Detail:

Ohnmacht und Ärger

Die untere Mittelschicht hat viel an Sicherheit verloren: Die Menschen hatten aufgrund der hohen Preise bedeutende finanzielle Verluste. Infolge nahm die Lebensqualität ab, Zukunftspläne brachen weg. Bei den Menschen, die zumeist an ökonomische Sicherheit gewohnt waren, führte das zu dem Gefühl von Ohnmacht, aber auch von Ärger, erklären die Studienautoren. Und diesem Ärger machten sie übrigens teilweise lauter Luft als Armutsbetroffene, die oft schon lange Zeit gewohnt sind, ihre Armut vor anderen Menschen zu verbergen.

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Verlust an Lebensqualität

Armutsbetroffene erzählten in ihren Interviews, dass sie im Supermarkt meist nur noch abgelaufene Ware kaufen; sonst sei nur noch der Sozialmarkt leistbar. Die untere Mittelschicht wiederum schränkte Freizeitaktivitäten und soziale Kontakte massiv ein. So sagte etwa ein Betroffener:

„Früher bin ich jedes Wochenende in irgendein Lokal, zwei, drei Bier und so weiter und so fort. Das mach ich nicht mehr, das kann ich mir nicht mehr leisten.“

von Studienteilnehmer aus der unteren Mittelschicht

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Scham

Scham ist eine Begleiterin der Armut. „Das betrifft viele Armutsbetroffene schon lange, die untere Mittelschicht bekommt das jetzt auch zu spüren“, sagt Schenk. So sagte etwa ein betroffener Studienteilnehmer:

„Bei Freunden, die wohlhabend sind, da rede ich nicht über meine Probleme, weil ich möchte mich nicht klein fühlen, sagen wir so.“

von Studienteilnehmer aus der unteren Mittelschicht

Strategien gegen die Teuerung

Die meisten der Befragten haben mehr gearbeitet, ihre Ersparnisse aufgebraucht, Schulden gemacht, oder auch auf die Hilfe der Familie gebaut. „Es gab zum Beispiel Familien, wo die Eltern den bereits erwachsenen Kindern mit Geld aushelfen mussten. Oder umgekehrt: Wo die Kinder die Eltern plötzlich unterstützen mussten“, beschreibt Schenk. 

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Pensionistinnen berichteten etwa , sich geringfügige Beschäftigungen gesucht zu haben, eine Alleinerzieherin nahm zum Vollzeitjob noch einen Zusatzstelle am Wochenende an. Armutsbetroffene haben aber oft wenig Spielraum:

„Ich habe mich halt wirklich reduziert. Viel weiter geht‘s nicht. Das nächste ist dann (…) Plasma spenden, dass halt auch von der Seite ein bisschen was reinkommt. Oder halt Medikamentenstudien.“

von Ein armutsbetroffener Studienteilnehmer

Für die Studie wurden qualitative Interviews geführt, und zwar in Form von moderierten Gruppendiskussionen. Die Gespräche fanden im März und April 2023 statt.

Zu Wort kamen 41 Armutsbetroffene sowie 17 Menschen der unteren Mittelschicht. Als armutsbetroffen gelten Menschen mit weniger als 1.300 Euro pro Monat, zur unteren Mittelschicht zählten bei der Erhebung jene, denen weniger als 1.800 Euro zur Verfügung stehen. 

Betroffenen eine Stimme geben

Zudem gibt die Studie Menschen, die sonst kaum gehört werden, eine Stimme. Der Verzicht, den sie täglich üben, lässt sich mit Zahlen in Statistiken nicht gut abbilden – doch die Schilderungen der Betroffenen zeigen, wie wenig Spielraum Armutsbetroffene haben. „Wer bereits vor der Teuerung am Limit oder darunter lebte, den bringen kleinste finanzielle Mehrbelastungen aus dem Gleichgewicht“, sagt Studienautorin Evelyn Dawid.

So sagte etwa eine armutsbetroffene Frau, dass sie stets den billigsten öffentlichen Kaffeeautomaten suche. Ein paar Cent machen einen Unterschied:

„Einen Kaffee trinken ist Luxus geworden. Sie fangen beim Automatenkaffee in der Klinik an, der kostet jetzt 1,10 oder 1,20 Euro. Sie fangen an zu sparen, Sie suchen sich einen Automaten, wo Sie ihn noch billiger finden. Sie setzen sich an die Universität, Sie setzen sich da hin, weil Sie wissen, da sind noch Automaten, da kriegn S‘ um 50 Cent noch einen Kaffee, da können Sie sich zwei gönnen, Da können Sie sich zwei Luxuskaffee gönnen.“

von Eine armutsbetroffene Studienteilnehmerin über das Sparen

Doch was könnte man unternehmen, um zu helfen?

Durch Zahlungen der Regierung sei die Teuerung bis 2022 ganz gut ausgeglichen worden, sagt Schenk. „2023 dürfte sich das aber nicht mehr so gut ausgehen.“

Der größte Brocken sei das Wohnen: „Alles, was man hier an Kosten reduzieren könnte, hilft den Betroffenen im untersten Einkommensdrittel“, betont Schenk. Das Problem seien vor allem die hohen Kreditzinsen: „Es geht da nicht darum, dass Menschen zu viel Geld für Urlaube oder für sonst etwas ausgeben, sondern um Kredite für Häuser oder Wohnungen“, so der Sozialexperte. Eine Möglichkeit wäre, für mehr sozialen Wohnbau zu sorgen. „Vor allem im Westen, und hier in Innsbruck und Salzburg, ist das teure Wohnen ein Problem.“

Energiekosten als zweiter großer Brocken

Der zweite große Brocken seien die Energiekosten: Schenk schlägt vor, etwa die Strompreisbremse (sie gilt vorerst bis Jahresende) zu verlängern, oder auch ein Modell der Energie-Grundsicherung zu schaffen. 

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Etwas weniger ins Gewicht fielen laut Studie die Lebensmittelpreise: „Essen ist ein Thema, das emotionalisiert, siehe auch die Burger-Debatte“, sagt Schenk. Wichtig wäre aber vor allem, bei Wohnen und Energie anzusetzen.

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