Kinderwunsch-Klinik: Tödlicher Keim statt Schwangerschaft
Eine 32-jährige Patientin ist tot, zwei andere liegen im Wiener AKH sowie im Landesklinikum Baden (NÖ) in künstlichem Tiefschlaf. Zwar scheint bei den beiden Frauen die akute Lebensgefahr gebannt, ihr Zustand ist dennoch besorgniserregend.
Nach dem tragischen Zwischenfall im renommierten Wunschbaby-Institut Feichtinger in Baden hat die Abteilung für Sanitäts- und Krankenanstaltenrecht in Niederösterreich sämtliche Eingriffe in dem Ambulatorium per Bescheid untersagt, bestätigt die Leiterin der Behörde, Elisabeth Kapral. Wie vom KURIER berichtet, war bei drei Frauen am vergangenen Mittwoch in dem Institut eine Follikel-Punktion vorgenommen worden. Dabei werden in einem etwa fünfzehnminütigen Eingriff unter Narkose Eizellen aus den gereiften Eibläschen entnommen.
Nachdem alle drei Frauen etwa zwei Stunden nach der Punktion das Ambulatorium bei normaler Gesundheit verlassen konnten, traten Stunden später schwerste Komplikationen auf. Alle wurden in Krankenhäuser eingeliefert und mussten sofort auf die Intensivstation. Eine 32-jährige Niederösterreicherin hatte eine Sepsis erlitten und musste vom AKH ins Krankenhaus Hietzing verlegt werden, wo sie am Freitag an Multiorganversagen starb. Offenbar wurden die Opfer bei den Eingriffen mit einem Keim infiziert.
Propofol wird durch eine Alkalysierung von Phenol mit Propen hergestellt und intravenöses als Anästhetikum verabreicht. Propofol dockt an Rezeptoren im Zentralnervensystem an, was die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn verändert – es tritt ein Narkosezustand ein.
Unter sämtlichen Injektionsanästhetika gilt Propofol als eines der sichersten und ist weltweit täglich millionenfach im Einsatz. Ein großer Vorteil des Mittels ist, dass es schnell wirkt und auch schnell vom Körper abgebaut wird. Somit ist es besonders für Kurznarkosen gut geeignet. Patienten erleben den durch Propofol-Narkosen eingeleiteten Schlaf meist als angenehm und berichten selten von Übelkeit.
Wie bei anderen Narkotika resultiert die größte Gefahr aus dem eigentlichen Dareichungsgrund, dem herbeigeführten Bewusstseinsverlust. Während eines Eingriffs müssen daher die Atem- und Kreislauffunktionen sichergestellt und überwacht werden. Insbesondere eine Überdosierung kann ohne entsprechenden lebenserhaltenden Maßnahmen zu Bewusstlosigkeit und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Dies ist spätestens seit dem Tod von Michael Jackson weltweit bekannt. Allerdings wurde Propofol hier als Schlafmittel zweckentfremdet. Wird Propofol zu schnell verabreicht, kann es auch zu gefährlichen Blutdruckabfällen kommen.
Propofol kann, wie andere Medikamente, allergische Reaktionen hervorrufen. Wie bei jedem anderen Medikament kann es bei Verunreinigungen zu einer Blutvergiftung führen. In der Vergangenheit wurde dies öfter im Zusammenhang mit Sojaöl als Trägerlösung des Narkosemittels diskutiert, weil dieser für Kontaminationen anfälliger ist. Mittlerweile wird es von vielen Herstellern durch Fettemulsionen ersetzt.
Verunreinigung
Mittlerweile konzentrieren sich die Ermittlungen des nö. Landeskriminalamts, der Gerichtsmediziner sowie Gutachter auf zwei mögliche Ursachen. Zum einen könnte die Verunreinigung von dem eingesetzten Narkosemittel Propofol stammen. Und zum anderen kommt eine Einschleppung des Keims durch unsaubere gynäkologische Instrumente oder dem Vaginal-Ultraschallgerät in Frage.
"Der Ultraschall ist das einzige Gerät, das bei allen drei Patientinnen an dem Tag verwendet wurde. Der Anästhesist hat das Propofol aus verschiedenen Fläschen entnommen", schildert sein Anwalt, Paul Kessler. Bei dem über 60-jährigen Narkosearzt handelt es sich laut dem Juristen um einen "extrem erfahrenen Mediziner mit mehr als dreißigjähriger Berufserfahrung".
Wie das Wunschbaby-Institut am Montag in einer schriftlichen Stellungnahme betonte, werden alle Medikamente, die im direkten Zusammenhang mit der Anästhesie stehen, nicht von der Klinik bereitgestellt, sondern vom externen Narkotiseur mitgenommen. Dem widerspricht Kessler: "Es sind auch gewisse Medikamente in der Klinik vorhanden. Es macht wenig Sinn, sich jetzt schon den Schwarzen Peter zuzuschieben."
Narkose
Das Herz-Kreislauf-System wird unter Narkose belastet. Eine Überdosierung von Injektionsanästhetika kann zu Bewusstlosigkeit, im schlimmsten Fall zum Tod führen. Während eines Eingriffs müssen Atem- und Kreislauffunktionen überwacht werden. Anästhesie-Wirkstoffe können nach OPs Übelkeit auslösen, die meist von selbst verschwindet
Blutungen
Kleinere Blutungen versiegen meist von selbst, größere müssen chirurgisch verschlossen werden, um etwa Blutverlust zu verhindern
Keime
Trotz höchster Hygienestandards in Spitälern ist es unmöglich, Wunden gänzlich von Keimen freizuhalten. Bei den OP-begleitenden Ultraschalluntersuchungen innerhalb einer Körperhöhle (z. B. Gebärmutter) besteht das Risiko, dass die Sonde, wenn sie bei mehreren Patienten zum Einsatz kommt, bei mangelnder Hygiene Infektionserreger überträgt
Laut der Anwältin des Wunschbaby-Instituts, Ingeborg Guhswald, bedauere man zutiefst, was passiert ist. "Die Klinik setzt alles daran, den Fall aufzuklären. Die Eingriffe sind natürlich bis auf Weiteres gestoppt, wir warten jetzt die Untersuchungsergebnisse ab."
Am Montag wurde mit den Einvernahmen der Beteiligten begonnen. Silke Pernsteiner von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erwartet sich zur Wochenmitte erste Ergebnisse nach der Obduktion des 32-jährigen Todesopfers. Die toxikologischen Untersuchungen betreffend der Substanzen im Blut werden länger dauern, ebenso das chemische Gutachten zu den bei den Behandlungen verwendeten Medikamenten.
Zwischen zehn und fünfzehn Prozent aller Paare bleiben ungewollt kinderlos. Der unerfüllte Babywunsch führt Betroffene oft in eine Kinderwunsch-Klinik. Dort erfolgt die Beratung, Diagnose und entsprechende Behandlung bei ausbleibender Schwangerschaft. Solche Institute unterliegen strengsten Sicherheitsvorschriften.
"Nachdem jede Kinderwunsch-Klinik eine Krankenanstalt ist, muss sie die dafür vorgesehenen Auflagen erfüllen. Diese sind je nach Bundesland unterschiedlich", erklärt Andreas Obruca, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien und Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft. Weitere Auflagen ergeben sich durch die Koppelung der Kliniken an den IVF-Fonds, der kinderlose Paare finanziell unterstützt. "Die dritte Stufe der Sicherheitsvorkehrungen beruht darauf, dass Kinderwunsch-Kliniken auch Gewebeentnahmeeinrichtungen und Gewebebanken sind, weil dort etwa Eizellen entnommen und gelagert werden." Ob die Auflagen eingehalten werden, kontrolliert die Gesundheitsagentur AGES.
Manche Follikel-Punktionen finden statt, während die Patientin im Dämmerschlaf ist. Ein Teil erfolgt ohne Schmerzausschaltung, ein anderer Teil unter Kurznarkose, für die Propofol verabreicht wird. „In einigen Klinken sind die Anästhesisten angestellt, in anderen werden sie nach Bedarf angefordert“, sagt Obruca. Manche Kinderwunschklinken seien zudem mit eigenen Anstaltsapotheken ausgestattet, andere werden laufend mit Medikation von Vertragsapotheken beliefert.
Routine-Eingriff
"Viele Frauen und Paare, die im Zuge ihrer Fruchtbarkeitsbehandlung an einer Kinderwunsch-Klinik kurz vor der Eizellen-Entnahme stehen, sind wegen der tragischen Vorfälle verunsichert", berichtet Obruca. Das sei verständlich, auch deshalb, weil es auch durch die Follikel-Punktion an sich zu Komplikationen kommen kann. "Auch wenn das in den konkreten Fällen unwahrscheinlich erschient."
Rund 15.000 Mal wird der Eingriff hierzulande jährlich problemlos durchgeführt. Bei der Mini-OP werden die Eizellen aus den Eibläschen (Follikel), unterstützt durch modernste Ultraschalltechnik, durch die Scheide entnommen. "Das Eibläschen wird mit einer dünnen Nadel angestochen und die darin befindliche Flüssigkeit mitsamt der Eizelle abgesaugt. Dann wird die entnommene Flüssigkeit unterm Mikroskop untersucht, ob auch wirklich Eizellen darin enthalten sind. Sollte dies der Fall sein, werden sie in ein Kulturschälchen überstellt und bis zur Befruchtung gelagert." Dabei könne es zu Blutungen oder kleineren Verletzungen kommen. "Die Blutung kann durch einen Tampon gestillt werden." Denkbar sind auch Verletzungen der Gefäße oder des Darmes. Allerdings sind solche Komplikationen sehr selten (1 aus ca. 5.000 Patientinnen), "weil man am Ultraschall genau sieht, wo man sich mit der Nadel befindet".
Möglich ist auch, dass nach einer Überstimulation des Eierstockes (statt 10 bis 20 Eibläschen bilden sich bis zu 50) die Eierstöcke nach der Entnahme anschwellen und Beschwerden verursachen. "Hier versucht man heutzutage durch eine individualisierte Hormonbehandlung gegenzusteuern."
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