Kinder als Einbrecher: Ein lukratives Geschäft
Andreas Lang, Ermittler am Landeskriminalamt in Wien, kennt das Katz-und-Maus-Spiel. Das stundenlange Observieren, die Täuschungsmanöver der Kinder. Die blitzschnellen Haken in ein öffentliches Verkehrsmittel oder in einen Hauseingang, um zu flüchten.
Das Phänomen der Kinder als Einbrecher beschäftigt die Ermittler seit einigen Jahren, auch im Bundeskriminalamt. Sie zu erwischen, gelingt selten. Noch seltener können die Hintermänner ausgeforscht werden. Denn die Kinder (die Jüngsten sind 10) handeln nicht aus eigenem Antrieb. Sie werden gezielt für diese Form der Kriminalität ausgebildet. Und selbst wenn sie erwischt werden, müssen sie keine Konsequenzen befürchten. Sie sind strafunmündig.
Hinter ihnen stehen kriminelle, mobile Clans, die in ganz Europa aktiv sind. Die Kinder selbst sind in Kroatien, Serbien oder Frankreich geboren. Und auch, wenn es niemand laut aussprechen mag – auf Nachfrage wird sehr wohl bestätigt, dass es sich dabei um Roma-Clans handelt.
Unverdächtig
„Es handelt sich um Burschen und Mädchen, sie passen sich dem Straßenbild an. Wenn sie in ein Wohnhaus gehen, fallen sie als Kinder nicht auf“, schildert Hans-Peter Seidl vom Bundeskriminalamt. Sie haben neuwertiges Werkzeug bei sich, suchen Türen, die leicht zu knacken sind. Eingepackt wird alles. Geld, Schmuck, Kleidung oder Parfüms, das danach sofort an Komplizen weitergereicht wird.
Quantität und günstige Gelegenheiten sind die beiden Faktoren, die bei den kindlichen Einbrechern eine Rolle spielen. Wo sie im Einsatz sind, da schnellt auch die Zahl der Einbruchsmeldungen nach oben. 18 Einbrüche in drei Tagen sind keine Seltenheit. Der durchschnittliche Schaden beträgt 8.000 Euro.
Von einem Land ins nächste
Werden sie gefasst, werden sie in Einrichtungen wie die „Drehscheibe“ in Wien gebracht. Allzu lang bleiben sie dort aber häufig nicht. „Ein paar Stunden später sind sie weg“, sagt Seidl. „Sie fühlen sich nicht als Opfer. Die Familie ist ihr einziger Zufluchtsort“, erklärt Ermittler Lang von der LKA-Außenstelle Ost, der auf international agierende mobile Tätergruppen spezialisiert ist. Wird das Pflaster in Österreich zu heiß, weichen sie ins nächste Land aus. Entsprechend wird auch international ermittelt.
In der Drehscheibe selbst wurden im aktuellen Jahr noch keine Einbrecher-Kinder aufgenommen. Sehr wohl allerdings Kinder, die auf Taschendiebstähle spezialisiert waren. Es handelte sich um drei Mädchen und zwei Burschen. Bei der Betreuung spiele der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle. „In einigen Fällen gelingt es. In anderen sind Druck und Auftrag der Herkunftsfamilie, die Einrichtung auf dem schnellsten Weg zu verlassen, zu hoch“, heißt es aus der „Drehscheibe“.
Straftaten
Von 2020 bis 2021 nahm die Zahl der Straftaten, in die Kinder in Österreich unter zehn Jahren involviert waren, von 668 auf 829 zu.
Hotspot Wien
Besonders häufig kriminell dürften in den vergangenen zwei Jahren Kinder unter 14 in Wien gewesen sein: Die Zahl der Straftaten stieg in dieser Altersgruppe innerhalb eines Jahres um 26,5 Prozent an.
Verurteilungen
Im Jahr 2021 wurden insgesamt 1.304 Personen zwischen 14 und 17 Jahren verurteilt, davon waren 1.129 Burschen und 175 Mädchen.
Wenn Kriminalität vererbt wird
Für Aufsehen sorgte zuletzt ein großer Kriminalfall, den das Wiener Landeskriminalamt aufgeklärt hat: Ein Zwölfjähriger wurde als „Sekretärin“ eingesetzt, um Informationen über mögliche Betrugsopfer zu sammeln. Der Bub gehörte zu einem serbokroatischen „Rip-Deal“-Clan, der mit seinen kriminellen Machenschaften vier Opfer in Deutschland um 1,5 Millionen Euro prellte. Bei Rip-Deals werden die Opfer in der Regel um große Summen Bargeld gebracht, indem lukrative Geldwechselgeschäfte vorgetäuscht werden. Dass Minderjährige von ihren Verwandten für deren kriminelle Zwecke eingespannt werden, ist kein Einzelfall, sondern hat System.
„Rip-Deal-Familienangehörige ,vererben‘ ihre Fähigkeiten an ihre Kinder, sie werden extra dazu ausgebildet“, erklärt Valentin Szaga-Doktor vom Landeskriminalamt. Die unterste Stufe in der Hierarchie können zum Beispiel Telefondienste sein. „Werden die Kinder älter, bekommen sie andere Aufgaben“, sagt der Ermittler.
Clan-Familien sind grundsätzlich polykriminell – das heißt, dass jedes Familienmitglied sein eigenes Spezialgebiet hat. „Einer ist zum Beispiel für die Beschaffung von Rufnummern zuständig, der andere für das Erstellen von Webseiten“, erklärt der Ermittler. Derzeit sind 87 sogenannte Rip-Deal-Fälle offen.
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