Ja oder im Kindergarten. Es gibt aber auch Menschen, die lesen konnten, es aber verlernt haben.
Da gibt es noch einiges an Verbesserungsbedarf in den Bildungseinrichtungen. Beim AMS haben Sie es geschafft, mit Hilfe der Balanced Scorecard BSC, die Qualität der Regionalgeschäftsstellen zu erhöhen. Was versteht man unter BSC?
Das ist unsere Methode, das AMS zu steuern. Wir beschäftigen uns viel mit Unternehmensqualität, das hat zum Beispiel dazu geführt, dass das AMS Kärnten gerade mit dem Staatspreis zum besten Unternehmen Österreichs gekürt wurde – wir spielen da in einer Liga mit Firmen wie Infineon. Bei der BSC geht es darum, unsere rund 100 Geschäftsstellen anhand von mehr als 30 Indikatoren wie Kundenzufriedenheit oder Zielerreichung untereinander zu beurteilen – mit dem Zweck, von den Besten zu lernen. Die Schwächeren fahren zu den Guten und schauen sich an, wie sie sich verbessern können. Das hat auch dazu geführt, dass sich unsere besten Geschäftsstellen verbessert haben, vor allem aber dazu, dass unsere schlechtesten Geschäftsstellen ihren Abstand zu den besten deutlich verringert haben und damit das ganze AMS viel besser geworden ist.
Könnte man damit auch die Schulen verbessern?
Ich habe mich vor zehn Jahren mit dem damaligen Generaldirektor der Statistik Austria Konrad Pesendorfer zusammengesetzt. Wir haben die Bildungsdaten der Statistik Austria in anonymisierter Form mit den AMS Daten verknüpft. Diese Verknüpfung ist ein Quell der Erkenntnis für Berufsinformation. So können wir etwa die Frage beantworten, was Absolventen konkreter Ausbildungen beim Berufseinstieg im Durchschnitt verdienen, oder wie lange sie Job suchen. Das Spannende dabei: Aus diesen Daten ließe sich mit ein bisschen Arbeit auch jede individuelle Schule beurteilen: etwa wie viel Prozent ihrer Abgänger brechen ein Studium ab, wie viele sind nachher arbeitslos, wie viele machen erfolgreich eine Lehre etc.
Haben Sie diese Idee schon dem Bildungsministerium präsentiert?
Ich freue mich, dass wir hier seit Kurzem in einem Austausch mit dem Bildungsministerium sind, das sich auch intensiv damit beschäftigt, wie man über Erfolgsmessung Qualität verbreiten kann. Die haben selbst tolle Daten wie Pisa- oder Maturaergebnisse. Wir tauschen uns da aus.
Geht es nur um PISA-Ergebnisse?
Die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt ist ja nur ein Ziel der Schule, Bildung ist auch ein Wert. Deshalb erschiene es mir am sinnvollsten für eine zukünftige Erfolgsmessung von Schulen, mehrere Variablen zu nutzen: Zum einen die Arbeitsmarktdaten, zum anderen Bildungsdaten wie IKMplus oder Maturaergebnisse, und drittens Ergebnisse aus regelmäßigen repräsentativen Umfragen, die die Zufriedenheit von Lehrern, Eltern und Schülern abfragen.
Aber kann man mit den Daten wirklich alle Standorte vergleichen?
Das Ganze ist im Bildungssystem sicher noch schwieriger umzusetzen. Ich kann beim AMS den dynamischen Raum Linz-Wels aber auch nicht unkorrigiert mit dem Südburgenland vergleichen. Deshalb berücksichtigen wir Dutzende Indikatoren, um die BSC vergleichbar zu machen. Am Ende geht es aber auch um Mut: Du musst jemandem sagen, dass er hinten ist.
Lässt sich so etwas politisch umsetzen? Die Lehrergewerkschaft wird sicher aufschreien, wenn man Standorte vergleichen will.
In einigen Ländern werden die Leistungsdaten der Schulen veröffentlicht. Bei uns gäbe es da irrsinnige Aufregung, weshalb ich eine Veröffentlichung nicht gut finde. Die gesamte Energie der Institutionen würde sich darauf richten zu argumentieren, warum die Zahlen nicht vergleichbar sind. Deshalb würde ich nur die Besten vor den Vorhang holen, dann fließt die Energie in den Wunsch, zu den Besten gehören zu wollen.
Gibt es im europäischen Konzert eine Vergleichbarkeit der Arbeitsmarktverwaltungen?
Ab dem Jahr 2010 haben wir begonnen, die europäischen Arbeitsmarktverwaltungen miteinander zu vergleichen. Angefangen haben wir mit sechs Ländern. Wir haben ein Indikatorenset entwickelt, zu dem etwa Kundenzufriedenheit, oder Schulungseffektivität zählen. Wir haben damals ausgemacht, dass die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden. Heute machen alle EU-Staaten mit. Der nächste Schritt waren gemischte Assessments: Ausgebildete Assessoren aus fünf EU-Ländern plus Vertreter der Wissenschaft plus EU-Kommission fahren z. B. nach Österreich und schauen sich alles an, was sie wollen. Sie schreiben einen wertvollen Feedback-Report mit konkreten Empfehlungen: Bei diesem Thema erfährst du mehr in Frankreich, bei dem in Estland und bei dem bist du Vorbild für Spanien: Eine Methode, mit deren Hilfe alle besser werden.
Zurück zum Kindergarten: Sie meinten, wenn Kinder nicht lesen können, liegt es auch an hier.
Wir wissen, dass es am besten, günstigsten, sinnvollsten und erfolgversprechendsten ist, Defizite möglichst früh zu bekämpfen. Und unser System ist ungerecht. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass eines meiner Kinder nur Pflichtschulniveau erreicht, liegt bei 5 Prozent. Hätte ich nur Pflichtschule, wäre die Wahrscheinlichkeit 23 Prozent, hätte ich nur Pflichtschule und Migrationshintergrund 50 Prozent. Das liegt nicht an meinen Genen, sondern an den Möglichkeiten, die meine Frau und ich unseren Kindern geben können. Wir lesen fast jeden Abend vor, haben einen ruhigen Platz zum Lernen, können Nachhilfe zahlen, etc. Wenn das andere Eltern nicht leisten können: Wer soll es sonst tun außer dem Staat? Deshalb halte ich zum Beispiel ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für absolut notwendig.
Viele der Kinder, die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen, waren zwei Jahre im Kindergarten.
Das hat auch etwas mit Ressourcen zu tun. Wir müssen verstehen, dass dort, wo mehr Kinder aus bildungsfernen Schichten kommen, oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist, mehr Ressourcen nötig sind. Ich sage manchmal: Nehmt mir 100 Millionen Euro weg (obwohl ich natürlich nicht will, dass man es dem AMS wegnimmt) und steckt das Geld in den Kindergarten, dort ist es noch besser ausgegeben.
Warum lernen viele Kinder später in der Schule lesen, verlernen es aber später?
Die Freude am Lesen wird oft nicht weitergegeben. Das ist ja auch das Schwierigste: Wie unterrichte ich kreative Neugier? Lösbar ist das, wenn ich mich damit beschäftige, wo gerade die Interessen- und Traumwelt eines Kindes liegen. Hat ein Kind an etwas Interesse, verschlingt es dicke Bücher. Das Lesen ist so wichtig, weil es ungemein viel öffnet – es ist eine Tür, durch die man geht und eine neue Welt entdeckt.
Apropos Interessen: Kommt das Handwerkliche in der Schule nicht zu kurz? Das interessiert manche mehr als Bücher.
Unser Schulsystem hat sich nicht verschlechtert, ist aber veränderungsresistent. Das macht aber Gott sei Dank gar nicht so viel, das Entscheidende ist, Lernen zu lernen. Da ist es erfreulicherweise zweitrangig, was die Kinder lernen. Ich sage ehrlich, es weiß eh niemand, was der Arbeitsmarkt in 20 Jahren verlangt. Die Fähigkeit, lernen zu können und lernbegierig zu sein, ist deshalb das Wichtigste. Das ist auch der Grund, warum selbst jemand, der Altgriechisch studiert hat, sehr gute Arbeitsmarktchancen hat.
Aber nicht unbedingt im Handwerk.
Ich bin dafür die Lehre nach der Matura zu forcieren, weil so zuerst die Fähigkeit und Bereitschaft zu lernen durch eine gute Allgemeinbildung fundiert wird. Danach ist eine fachliche, handwerklich-technische Spezialisierung eine optimale Ausbildung für Handwerk und Industrie.
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