Interview: Vom Straßenkampf gegen Drogen

Interview: Vom Straßenkampf gegen Drogen
Streetwork-Chef Ernst Nagelschmied über den Alltag eines Streetworkers und Schicksale im Milieu

Streetworker erreichen Menschen auf der Straße, mit denen sich andere Einrichtungen nicht mehr beschäftigen wollen und können. Der KURIER hat den Verein besucht und sich mit dem Suchtbeauftragten der Stadt Klagenfurt Ernst Nagelschmied, über den Alltag seiner Mitarbeiter, die Schicksale der Klienten und über aktuelle Problematiken im Sucht-Milieu unterhalten.

Kurier: Kärnten war in den vergangenen Jahren nach Wien Spitzenreiter bei Drogentoten – gibt es dafür Gründe?

Ernst Nagelschmied: 2019 waren es laut Erhebungen des Landes doch deutlich weniger(Anm 15 Drogentote). Grundsätzlich ist aber zu sagen: Die Todesfälle sind in erster Linie betreuungsferne Personen, die wir nicht erreicht haben. Keiner dieser Todesfälle war bei uns in Betreuung.

Es gab diese Woche auch den Fall, dass ein Wiener Suchtberater laut Polizei selbst zum Drogenkurier wurde. Wie schafft man es, eine Barriere zwischen sich und den Klienten zu bauen um nicht selbst in ein gewisses Milieu reinzurutschen?

Ernst Nagelschmied: Da gehört schon einiges an Professionalität dazu. Deswegen ist ein Studium in diesem Bereich wichtig. Wir helfen uns auch untereinander. Es gibt das Arbeitsleben und das Private – das muss man trennen können, sonst kommt man nicht zur Ruhe. Man muss dem Klienten von Anfang an klar machen, dass man kein Freund ist. Man weiß ja im Grunde alles von ihm – er aber relativ wenig von einem selbst. Das kann man auch ganz offen kommunizieren. Und die Menschen, die bei uns sind, verstehen das auch – es ist eine Arbeitsbeziehung und das akzeptieren und respektieren sie auch.

Ihr begleitet die Leute auch bei Behördenwegen. Der raue Ton dürfte da dazugehören. Wie begleitet man einen Heroinabhängigen bei Amtswegen?

Ernst Nagelschmied: Wir versuchen, Menschen die Annahme von Hilfe so leicht wie möglich zu machen. Sprich, die Schwelle, um Hilfe anzunehmen, muss niedrig sein. Die Leute können in verschiedensten Zuständen zu uns kommen – sie müssen nicht nüchtern sein. Viele von ihnen kommen mit einem Rucksack an Problemen. Dadurch fehlt dann auch oft das Verständnis dafür, wenn man sie nicht so behandelt, wie sie sich es erhoffen würden. Da kommt es schnell zu Aggressionen. Natürlich treffen Abhängige auch bei Behörden auf Ablehnung, aber auch auf Verständnis. Wir versuchen vor allem bei Amtswegen eine diplomatische Vermittlerrolle einzunehmen. Am Gericht ist man zum Beispiel froh, wenn wir dabei sind – dadurch werden Konflikte vermieden und Termine eingehalten.

Ihr bekommt sicher auch mit, wie schwer es ist vom „Gift“ wegzukommen. Wie läuft so ein kalter Entzug ab?

Ernst Nagelschmied: Wir hatten einen Klienten, der zum dritten Mal einen kalten Entzug angestrebt hat. Einer unsere Streetworker war mit ihm auf der psychiatrischen Ambulanz. Dort hat er dann dementsprechend Medikamente bekommen, hat sich zu Hause verbarrikadiert und ihn alleine durchgezogen. Er hat sich davor schon von seiner alten Gruppe abgegrenzt und daraufhin sogar eine Lehre begonnen. Es gibt auch zwei Entzugsbetten im LKH Klagenfurt.

Da gibt es aber mitunter recht lange Wartezeiten?

Ernst Nagelschmied: Das stimmt schon – wenn es einer alleine nicht schafft und sich einen kalten Entzug vornimmt, aber drei Monate warten muss bis ein Bett frei wird, ändert sich natürlich bis dahin seine Meinung. Der Neubau der Psychiatrie (voraussichtliche Fertigstellung 2022) wird aber mehr Betten mit sich bringen. Das ist richtig und aus unserer Sicht absolut notwendig. Wichtig ist das vor allem, weil Suchtkranke gerne unter ihresgleichen bleiben wollen

Inwiefern?

Ernst Nagelschmied: Ein Heroinabhängiger möchte zum Beispiel nicht mit einem Alkoholabhängigen das Zimmer teilen. Der Entzug ist ein anderer und deswegen gehört natürlich auch eine eigene Station her.

Wie schafft man eine Vertrauensbasis zum Süchtigen und erkennt man durch den engen Kontakt auf der Straße Fehlentwicklungen früher?

Ernst Nagelschmied: Der Zugang ergibt sich vor allem außerhalb vom Büro auf verschiedene Weise. Einmal kennt einer aus einer Gruppe dich und winkt dich her. Dann wird man vorgestellt. Oder man geht auf eine Gruppe zu und fragt: „Braucht ihr etwas und kann man euch irgendwie helfen?“ Interessant ist, dass man gesellschaftliche Probleme wirklich früh mitbekommt. Sind jetzt mehr Skinheads unterwegs, welche Drogen sind gerade im Umlauf? Du bist immer am Puls der Zeit.

Interview: Vom Straßenkampf gegen Drogen

Im Streetwork-Lokal (Villacher Ring 47) hat man immer ein offenes Ohr für Probleme aller Art.

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