In Österreichs zweitgrößter Stadt ist jetzt alles anders

Siegfried Nagl geht, ein Frauenduo - Elke Kahr und Judith Schwentner - könnte folgen
Langzeit-Stadtchef Siegfried Nagl wurde abgewählt und trat zurück. Die KPÖ erobert den Platz Eins, erstmals überhaupt wird eine Frau Bürgermeisterin.

Siegfried Nagl klang schon in der Früh nicht euphorisch. „Wir werden sehen, ob die Grazer und Grazerinnen den Weg weiter mit mir gehen wollen“, sagt der ÖVP-Chef  in die Kameras.

Am Abend dieses Wahlsonntages wurde eines deutlich: Sie wollten es nicht.

An diesem Sonntag stieß nämlich die KPÖ die in Graz so erfolgsgewohnten Schwarzen der seit 2003 amtierende Nagl färbte die Stadtpartei nie auf das Bundestürkis um - vom Podest. In einer ersten Reaktion bat Nagl noch um Geduld, was seine persönlichen Konsequenzen betreffe.Immerhin seien rund 25.000 Briefwahlstimmen unterwegs, die erst am Montag ausgezählt werden.

„Lassen Sie mir ein bisschen Zeit, das Ergebnis zu verdauen“, bat er Journalisten. Kurz darauf gab er seinen Abschied aus der Politik bekannt: „Jetzt habe ich mehr Zeit für die Familie.“ Sein präsumtiver Nachfolger ist Sport- und Integrationsstadtrat Kurt Hohensinner.

Alles andere als ein Rücktritt wäre nicht denkbar gewesen. Die Kommunisten um Frontfrau Elke Kahr überholten die ÖVP laut vorläufigem Ergebnis (ohne Briefwahl) mit 29,1 Prozent, das ist ein Plus von 8,8 Prozentpunkten. Die  Bürgermeisterpartei ÖVP dagegen sackte um 12,1 Prozentpunkte ab und landete mit 25,7 Prozent nur noch auf dem zweiten Platz.

Historischer Erfolg auch für Grüne

Der Wahlerfolg der zweiten Frau an der Spitze ging indem Machtwechsel von Schwarz auf Tiefrot beinahe unter: Judith Schwentner von den Grünen erreichte 16,7 Prozent - ein Plus von 6,2 Prozentpunkten. Gemeinsam mit der KPÖ und SPÖ geht sich nun tatsächlich erstmals eine links-linke Mehrheit im Gemeinderat aus.

In Österreichs zweitgrößter Stadt ist jetzt alles anders

Judith Schwentner von den Grünen erreichte 16,7 Prozent

Nach vorläufigem Ergebnis hält die KPÖ jetzt 15 Mandate im Gemeinderat, die Grünen kommen auf acht. Die SPÖ kam auf 9,7 Prozent der Wählerstimmen (minus 0,4 Prozentpunkte) und bleibt bei fünf Mandaten: Mit 28 von 48 Stimmen im Gemeinderat wäre die rot-grün-rote Mehrheit größer als jene der zuletzt regierenden schwarz-blauen Koalition.

FPÖ verliert, Neos gewinnt dazu

Die FPÖ unter Mario Eustacchio verlor 4,6 Prozentpunkte und kam auf 11,3 Prozent der Stimmen, das wären fünf  Mandate im Gemeinderat. Die Neos mit Spitzenkandidat Philipp Pointner legten zu und erreichten 5,2 Prozent der Stimmen, ein Plus von 1,2 Prozentpunkten. SPÖ-Stadtparteiobmann Michael Ehmann kann vermutlich wieder in die Regierung einziehen, er verlor den Sitz 2017. Nun dürfte die Verteilung im Stadtsenat so aussehen: ÖVP zwei (statt  drei) Sitze, die KPÖ  bleibt weiterhin bei zwei Sitzen, Grüne, FPÖ und SPÖ jeweils ein Regierungssitz. 

KPÖ, Grüne und SPÖ haben nun genügend Mandate im Gemeinderat, um eine Bürgermeisterin zu küren. Das wäre nicht nur ob der Partei eine Premiere, sondern überhaupt: Noch nie in der Stadtgeschichte gab es eine Frau in dem Amt. Doch wie geht sich das aus? Als Zweierkoalition würde nur KPÖ-ÖVP klappen, alle anderen Varianten sind mangels Mehrheit im Gemeinderat unmöglich. Doch sowohl Nagl als auch Kahr haben eine Partnerschaft ausgeschlossen. Das dürfte der künftige Grazer ÖVP-Chef Kurt Hohensinner wohl genauso halten.

Konstituierende Gemeinderatssitzung am 17. November

Der KPÖ steht als stimmenstärkster Fraktion das Vorschlagsrecht für das Amt zu, die konstituierende Sitzung des Gemeinderats ist bereits für 17. November fixiert. Elke Kahr wirkte am Sonntag angesichts des Ergebnisses selbst ziemlich perplex. „Man kann den Wählern, die uns das Vertrauen geschenkt haben, gar nicht genug danken, betonte die knapp 60-Jährige. „Das ist sensationell, mit dem habe ich niemals gerechnet.“

Den Erfolg führe sie auf „Verlass, Freundlichkeit und Dasein für die Menschen“ zurück und auf „unsere Beharrlichkeit bei sozialen Fragen. Da hat es eine Schieflage gegeben.“  Sie stehe nun als Bürgermeisterin zur Verfügung. „Wenn wir stimmenstärkste Partei sind, dann ist das unsere Aufgabe.“

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