Horror-Kindheit im Hause L. : Hoffen auf finanzielle Gerechtigkeit
Er beschimpfte seine Tochter als hässlich und fett. Er rammte sich einen Schraubenzieher in den Bauch, ein Kind musste ihn herausziehen. Er gab seinen Kindern Alkohol, filmte mit und lachte. Er machte sie drogenabhängig. Und er ließ sich Substanzen von seinen eigenen Kindern spritzen. Er drohte ständig damit, sich umzubringen. „Als ich älter geworden bin, hab ich nur noch gehofft, dass er es wirklich tut. Ich wollt’ einfach, dass er weg ist. Er hätt’ sich erlösen können und uns auch“, sagte eine Tochter 2019 als Zeugin im Strafprozess gegen ihren Vater aus.
Vater oder Papa nennt ihn keines seiner vier Kinder. Sie nennen ihn beim Vornamen. So auch jetzt, wieder einmal vor Gericht.
Es geht um den ehemaligen steirischen Landarzt Dr. L. Er wurde bereits in einem Strafverfahren wegen Quälens seiner Kinder verurteilt. Allerdings milde: Das Urteil lautete vier Monate bedingte Haft und 7.200 Euro Geldstrafe. Der KURIER berichtete.
Vier Verfahren anhängig
Die Kinder von damals sind erwachsen geworden. Doch sie leiden noch immer. Aktuell sind vier Verfahren im Landesgericht für Zivilrechtssachen in Graz anhängig. Dort nahm der psychiatrische Sachverständige Siegfried Kasper das lange Leiden der Kinder noch einmal genau unter die Lupe. Und er kam in seinen Gutachten zu Schmerzengeld-Ansprüchen in der Höhe von 280.000 bis 420.000 Euro.
Der Anfang
2016 kommt der Fall rund um Landarzt Dr. L. an die Öffentlichkeit. Die Ex-Frau sowie die vier Kinder hatten sich an den KURIER gewandt und ihre Geschichte erzählt. Wenig später verhängt die Ärztekammer ein Berufsverbot gegen den Mediziner. Weitere mutmaßliche Geschädigte melden sich
Erster Prozess
Bei einem ersten Verfahren in Graz wird Dr. L. freigesprochen. Das Oberlandesgericht hebt den Freispruch allerdings auf. Der Prozess muss wiederholt werden. Im Jahr 2019 wird Dr. L. wegen Quälens seiner Kinder verurteilt. Das Oberlandesgericht bestätigt vier Monate bedingte Freiheitsstrafe, erhöht die Geldstrafe allerdings von ursprünglich 1.920 Euro auf 7.200 Euro
Medienklage
Dr. L. klagt im Jahr 2018 auch den KURIER, der den Beschuldigten beim Namen nannte. Der Oberste Gerichtshof entscheidet zugunsten des KURIER – da die Vorwürfe auch mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhingen. Der KURIER verzichtet nun dennoch auf Namensnennung – zugunsten der Opfer
In den Diagnosen heißt es unter anderem: „Der nun 23-jährige Herr L. (...) wurde von seinem Vater vom ersten bis zumindest dem 14. Lebensjahr sowohl seelisch als auch körperlich misshandelt. (...) Weiterhin ist erhebbar, dass er seinem Vater Suchtmittel intravenös spritzen musste.“ Noch immer sei eine posttraumatische Belastungsstörung deutlich ausgeprägt, die auch weiterhin bestehen bleiben wird.
Im Fall einer Tochter kommt der Sachverständige zum Schluss: „Prinzipiell führen Beleidigungen, Demütigungen und liebloses Verhalten nicht zu diesen Diagnosen und den daraus abzuleitenden Verlauf, jedoch im Gesamtkontext – wie auch mit der Medikamentengabe bzw. der Morphium-Injektionen ab dem Jahr 2007, der Alkoholverabreichung und Zigarettengabe im Kindesalter - vervollständigen sie das Bild der emotionalen Misshandlung.“
"Auf der Strecke geblieben"
Ausgewertet wurden auch Tagebuch-Einträge der Kinder. Eine Tochter schildert darin ihren ersten Suizidversuch im Alter von 15 Jahren. Oder dass ihr der Vater Medikamente wie Rohypnol verabreicht habe – und zwar bis zu fünf Tabletten vor dem Schlafengehen.
„Im Fokus der Kinder stehen keine finanziellen Interessen, aber es geht ihnen um eine gewisse Gerechtigkeit. Die ist beim abgeschlossenen Strafprozess auf der Strecke geblieben“, sagt Rechtsanwalt Dino Mulalic, der gemeinsam mit seinem Berufskollegen Hans-Jörg Vogl die Kinder vertritt.
Damals sprach das Gericht einen symbolischen Betrag von 1.000 Euro pro Kind aus. „Dr. L. hat in zwei der laufenden Zivilverfahren auch einen Betrag von weiteren 2.000 Euro überwiesen“, sagt Mulalic. Doch damit sind die Forderungen bei Weitem nicht abgedeckt. „Einen Fall in einer solchen Dimension habe ich in meiner bisherigen Karriere noch nicht gehabt. Die psychischen Misshandlungen und die Trauma-Folgestörungen kann man nicht vergleichen.“
Diese Folgestörungen greift auch der Sachverständige in seinen Gutachten auf. Er geht „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ von Spät- und Dauerfolgen aus.
Entsprechend hoffen auch die Anwälte, dass das Grazer Gericht die Bemessung der Schmerzengeld-Ansprüche „ausreichend würdigt“. Sie sprechen von „psychischer Folter“. „Ihre schwerbeschädigte Kindheit und die lebenslangen Folgeleiden können ohnehin nicht mehr behoben werden.“ Mit Entscheidungen ist frühestens Ende des Jahres zu rechnen.
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