Hochbegabte Kinder als Außenseiter: „Viele fühlen sich wie Aliens“

Eva Gallacher ist selbst hochbegabt. Die Psychotherapeutin hat erhoben, wie es Menschen wie ihr in der Schule geht
Für Kinder, die sich mit dem Lernen sehr schwertun, gibt es in Österreich eine spezielle Förderung. Ganz anders ist die Situation für jene, die hochbegabt sind. Die werden nur in Ausnahmefällen besonders gefördert. Die Folge: Menschen mit einem IQ von 130 und darüber haben meist keine gute Erinnerung an die Schulzeit.
Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die Eva Gallacher und Nael Radwan unter Mitgliedern des Hochbegabten-Netzwerks Mensa gemacht haben. Gallacher, von Beruf Psychotherapeutin, hat berührt, „wie viele lange emotionale Antworten wir erhalten haben. Die Menschen waren froh, endlich einmal darüber sprechen zu dürfen.“
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Auffällig: Jeder und jede Dritte fühlte sich in der Schule als Außenseiter, immerhin 13 Prozent wurden Klassen- oder Schulsprecher. Und rund 30 Prozent waren „Underachiever“ – sie mussten trotz hohen IQs die Klasse wiederholen, die Schule wechseln oder gar abbrechen.
"Halten sich für dumm"
Gallacher kennt den Grund: „Viele fühlen sich wie Aliens, empfinden Ablehnung und halten sich für dumm, weil sie nicht wissen, dass sie hochbegabt sind.“
Verlorenes Potenzial
Gallacher fordert deshalb, dass sich Schule und Gesellschaft um diese Kinder und Jugendlichen kümmern müssen. „Derzeit geht viel Potenzial für die Betroffenen selbst und für die Gesellschaft verloren“, warnt die Psychologin.
Was wäre also zu tun? „Ein erster Schritt wäre, dass Pädagoginnen und Pädagogen mehr über Hochbegabung wissen und sich manche auf das Thema spezialisieren, wobei Mensa unterstützen könnte. Und Lehrkräfte sollten sich von diesen Kindern nicht bedroht fühlen.“
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Geschulte Lehrpersonen könnten dem Wunsch hochbegabter Kinder folgen, bestimmte Themen zu vertiefen und ausreichend gefordert zu werden, wobei Gallacher schon klar ist, dass es schwierig ist, dem immer nachzukommen, weil die Kinder in den Klassen sehr unterschiedlich sind. Fest steht jedenfalls: „Die Jugendlichen haben einen fast unstillbaren Hunger, sie wollen immer mehr wissen.“ In der Schule werde das nur in Ausnahmefällen berücksichtigt.

An Grenzen stoßen
Hochbegabte würden deshalb selten erleben, dass sie intellektuell irgendwann an ihre Grenzen stoßen – und diese auch verschieben können, indem sie sich anstrengen und aktiv üben, wie zum Beispiel Vokabeln lernen. Diese Erfahrung sei aber für den Aufbau eines gesunden Selbstwerts wichtig.
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Nicht nur die Schule ist gefordert: „Hochbegabte benötigen Mentoren, die so alt sind wie sie oder etwas älter – auch um dem Gefühl der Einsamkeit etwas entgegenzusetzen und sich auszutauschen. Das geht entweder über Schulen, die sich auf Hochbegabung spezialisiert haben oder über Mensa, wobei das in Städten einfacher ist als auf dem Land.“
Schulpsychologen helfen
Helfen würden auch Schulpsychologen, die dem Kind erklären, warum es so ist, wie es ist und was in seinem Kopf passiert, aber ihm selbst nicht auffällt.
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Beispiel: „Es spricht mit anderen über ein Thema, springt dabei schnell von Gedanken zu Gedanken, sodass Zuhörer ihm irgendwann nicht mehr folgen können und abschalten, was Hochbegabte irrtümlicherweise als Desinteresse interpretieren.“ Uneins sind sich Fachleute darüber, ob man Kinder schon möglichst früh austesten lassen soll. „Viele haben Sorge, als arrogant eingeschätzt zu werden, sobald man als hochbegabt gilt, obwohl sie das nur in Ausnahmefällen sind. Da spielt sicher der Neid mit, der sehr unangenehm sein kann. Auch weil wir da eine andere Kultur als zum Beispiel in den USA haben.“
Eine frühe Testung hätte einen großen Vorteil: „Oft erhalten diese Kinder Fehldiagnosen. Weil ihnen zum Beispiel schnell langweilig wird, erhalten sie zu Unrecht die Diagnose ADHS.“ Das ließe sich so vermeiden.

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