Analyse: Gibt es tatsächlich mehr Morde an Frauen in Österreich?
Die Zahl der Frauenmorde hat sich von 2014 auf 2018 mehr als verdoppelt. Heuer werden bisher offiziell neun gezählt. In manchen Medien wird dies beinahe wie bei Sportstatistiken berichtet, als ginge es um Tabellen. Der KURIER hat im Detail recherchiert, ob sich die Lage tatsächlich derart verschlechtert hat. Dabei stellt sich heraus: Die Statistik nicht so eindeutig wie oft dargestellt.
Ein Beispiel: Im Moment laufen gerade Mord-Ermittlungen, weil die Polizeieinheit WEGA bei einem Einsatz eine mit einem Messer bewaffnete Pensionistin angeschossen und getötet hat. Streng gesehen gilt das als Frauenmord. Auch die Tötung eines (weiblichen) Babys, ein besonders trauriger Fall, wird da eingerechnet. Aber sind das wirklich immer Frauenmorde?
Unterschiedliche Zahlen
Immer wieder aufbereitet wird ein Artikel, erschienen in einem Polizei-Fachmagazin im Jahr 2018, über eine Eurostat-Statistik. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2015 (und sind mittlerweile wegen des veralteten Zahlenmaterials im Internet gelöscht) worden. Laut dieser Bilanz hatte Österreich in diesem speziellen Jahr die höchste Zahl an weiblichen Mordopfern in Europa aufzuweisen. Dazu muss man aber wissen, dass teilweise innerhalb von Europa vollkommen unterschiedlich gezählt wird, was als ein Mord ist. In England etwa ist jeder Mord automatisch mit lebenslanger Haft zu bestrafen, deshalb wird oft ein anderes Delikt angeklagt, um dem Richter Spielraum zu geben.
Dazu kommt, dass die Zahl der Morde enormen Schwankungen unterliegt (siehe auch Statistik rechts). In Österreich etwa steigen und fallen sie von einem Jahr auf das andere um bis zu 33 Prozent. Das Problem ist, dass hier das statistische „Gesetz der kleinen Zahlen“ zu tragen kommt: Die Zahlen sind teilweise zu klein, als dass ein kurzfristiger Vergleich seriös wäre.
Halbierte Verdoppelung
Zur Verdeutlichung: Von 2014 auf 2018 stieg die Zahl der Morde von 38 auf 73. Man könnte also fast von einer Verdopplung sprechen. Seriös wäre es aber zu sagen, dass es beispielsweise im Jahr 2012 auch 70 solche Bluttaten gegeben hat. Solche Schwankungen waren auch keine Seltenheit in der Vergangenheit.
Ein Faktum ist jedenfalls, dass die Zahl der Bluttaten in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg zumindest leicht zurückgeht. Doch viele Insider sind der Meinung, dass auch hier der Schein trügt.
Der Großteil des Rückganges passierte in den 90er-Jahren. Just in dieser Zeit wurde auch die Zahl der Obduktionen massiv reduziert. Bei diesen Untersuchungen durch Gerichtsmediziner wurden zahlreiche Morde erst im Nachhinein entdeckt. Oft handelt es sich dabei um Giftmorde, die eher von Frauen an Männern verübt werden.
Zuvor gab es jedenfalls einen Überhang bei den männlichen Opfern, seit der Kürzung bei den Obduktionen sind die Frauenmorde in der Überzahl. Unklar ist deshalb: Werden Frauen tatsächlich häufiger Opfer? Oder werden nur einfach manche (Gift-)Morde an Männern nicht erkannt?
Aufmerksamkeit bekam das Thema, als sich die Zahl der Frauenmorde von 2014 auf 2018 mehr als verdoppelte. Dass Männermorde im gleichen Zeitraum ebenfalls eine enorme Steigerung hatten, wurde oft vergessen.
54 Mordopfer
Ob es also tatsächlich mehr Morde an Frauen als früher gibt, lässt sich seriös nicht beantworten. Unbestreitbar ist: Die Polizei hat vergangenes Jahr 54 Ermordete entdeckt, darunter 31 Frauen und 23 Männer. Und es wurden insgesamt 6 Millionen Euro aus der Kasse des Innenministeriums für Projekte zum Schutz der Frauen vor Gewalt ausgegeben. Auch wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass es hier tatsächlich mehr Morde gibt, sind derartige Programme auch bei anderen Gewalt-Deliktsformen natürlich sehr sinnvoll.
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