Forschung in Niederösterreich: Was man vom Wolf lernen kann
Die Aufregung ist groß, wenn der Wolf wo auftaucht. Ob lebend gesehen, wie erst kürzlich in Pürbach im Waldviertel, oder erschossen entdeckt, wie vor zwei Wochen am Donauufer in Tulln. Nur im Weinviertler Ort Dörfles, da nimmt man eine Begegnung mit dem Beutegreifer mit aller Gelassenheit hin: Dort forscht man im Wildpark Ernstbrunn seit 2008 an Wölfen und Hunden – und daran, was die Artverwandten trennt und verbindet.
Derzeit leben elf Wölfe und elf Hunde aus unterschiedlichen Zoos und Wildparks aus der ganzen Welt im Wolf Science Center (WSC). Seit einigen Jahren gehört es zur Veterinärmedizischen Universität in Wien. Marianne Heberlein, wissenschaftliche Leiterin des Wolfsforschungszentrum und Trainerin, arbeitet seit 2009 beim WSC. Sie ist vor allem von dem Vertrauen beeindruckt, das ihr die Wölfe entgegenbringen. Etwa, wenn sie sich behandeln lassen, obwohl sie Schmerzen haben.
Um dieses Vertrauen zu verdienen und zu erreichen, dass die Wölfe keine Scheu vor dem Menschen zeigen, gäbe es aber nur einen Weg, erklärt Heberlein im Gespräch mit dem KURIER. Und zwar ist das die Handaufzucht. „Um es über ihre genetische Hürde zu schaffen, muss man Welpen zu sich nehmen, wenn sie noch die Augen geschlossen haben. Dann sind sie in menschlicher Obhut, natürlich aber für die Sozialisierung gemeinsam mit anderen Welpen“, sagt Heberlein. Fünf Monate lang, sieben Tage die Woche werden die Wölfe dann vom Menschen aufgezogen. Erst dann ist der Wolf so vertraut, dass er spazieren gehen kann und wir im Gehege sein können und dass er Neues kennenlernen kann, ohne in Panik zu geraten, schildert die Wissenschafterin.
Familiensache
All das passiert, um etwas über den Wolf und den Hund zu lernen. Weltweit ist das WSC der einzige Ort, wo eine derartige Forschung stattfindet. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich unverbindlich melden, um mögliche Projekte anzudenken. Hier gebe es keine Grenze von wissenschaftlichen Fragestellungen, sagt Heberlein.
„Alles, was den Tieren keinen Schaden zufügt, kann man hier erforschen“, so Heberlein. Man wolle herausfinden, was in jenen 36.000 Jahren passiert ist, in denen sich der Hund entwickelte. Denn Wolf und Hund haben sich an verschiedene Ökosysteme angepasst und dementsprechend unterschiedliche Bedürfnisse entwickelt. Der Hund sei mehr ein Sammler, brauche daher öfter Futter. Der Wolf komme länger ohne Nahrung aus und verträgt besser Minusgrade.
Beim Wolf sei es interessant, sagt Heberlein, dass er dem Menschen eigentlich sehr ähnlich ist – gerade was die Sozialstruktur innerhalb des Rudels angeht. „Ein Wolf lebt im Familienverband. Nachkommen bleiben zwei oder drei Jahre beim elterlichen Rudel, jagen gemeinsam, ziehen Jungtiere gemeinsam auf und kooperieren sehr stark.“ Das sei ähnlich der Familienstruktur der Menschen in der Steinzeit, sagt Heberlein.
Auch wir Menschen würden enorm kooperieren, um ein Ziel zu erreichen. Hier gäbe es klare Parallelen zum Tierreich „Woher kommt diese Kooperation? Der Wolf eignet sich sehr gut dafür, solche Aspekte zu erforschen“, erklärt die Wissenschafterin.
➤ Wolf spazierte durch Ortschaft im Waldviertel: Abschuss wird geprüft
In Tirol ist nun ein zweiter Wolf gemäß Verordnung erlegt worden, diesmal im Mittelgebirge (Bezirk Innsbruck-Land). Landesjägermeister Anton Larcher bestätigte den Abschuss gegenüber der APA. Der Wolf wurde demnach am Freitag erlegt.
Die betreffende Verordnung war laut Land nach Sichtungen in Völs sowie in Natters seit 12. Juli in Kraft gewesen. Das Tier war bereits in Siedlungsnähe und daher zum Abschuss freigegeben.
In diesem Jahr wurde gleich in mehreren Bundesländern der Abschuss von Wölfen vereinfacht. Laut neuer Verordnung darf etwa jeder in Kärnten die Tiere vergrämen, also etwa mit Schreckschüssen verscheuchen. Zudem kann ein Wolf nun sofort nach „auffälligen Rissen“, wie es vom Land heißt, als Risikotier eingestuft und zum Abschuss freigegeben werden.
Wenig später hat Niederösterreich nachgezogen. Dort ist es lokalen Jagdausübungsberechtigten erlaubt, Wölfe nach einem genauen Kriteriumskatalog zuerst vertreiben, vergrämen und letztendlich abschießen zu dürfen.
Anzeigen
Wie schon in Kärnten, Tirol und Niederösterreich dürfen seit 1. Juli auch in Oberösterreich per Verordnung Wölfe abgeschossen werden, die zum Beispiel für Risse von Nutztieren verantwortlich gemacht werden. Auch in Salzburg gibt es solche Pläne.
Der Umgang mit dem Thema Wolf beschäftigt die Politik bereits seit geraumer Zeit. Beim Verein gegen Tierfabriken hat man gerade strafrechtliche Anzeigen gegen jene Landesräte aus Kärnten, Tirol und Salzburg angekündigt, die Wolfsverordnungen zum Abschuss der Tiere erlassen haben. Die Tierschützer warfen den Zuständigen etwa Amtsmissbrauch vor. Der Europarechtler Walter Obwexer gab indes den Anzeigen keine große Chance auf Erfolg. Er sah den Tatbestand des Amtsmissbrauchs nicht gegeben.
Verhaltensstudien
Der Wolf ist enorm anpassungsfähig und findet sich in verschiedenen Lebenswelten zurecht. Außerdem lernt er sehr schnell , mit anderen Arten zu kommunizieren. Daher würden sich Verhaltensstudien bei den Tieren anbieten. im WSC werde erforscht, ob der Wolf menschliche Gesten lesen kann – also Zeigegesten oder die Blickfolge. Oder zeigt er gar den Menschen etwas?
Um eine Forschung zu ermöglichen, lernen die Wölfe in Ernstbrunn, auf Grundkommandos zu regieren. Sie sind außerdem an die Leine gewöhnt, haben Erfahrungen mit wissenschaftlichen Apparaturen und können sogar Touchscreens bedienen. So werde der Wissenschaft der Weg geebnet; man sei, sagt Heberlein, immer daran interessiert, Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsfeldern ins Weinviertel zu bringen.
➤ Plötzlich steht der Wolf da: So verhalten Sie sich bei einer Begegnung richtig
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