Forscher fordert Freigabe von Covid-Abwasserdaten
Am kommenden Montag will die Bundesregierung die Infektionslage erneut bewerten. Und entscheiden, ob Lockerungen möglich oder gar Verschärfungen notwendig sind. Entsprechend gebannt blickt ganz Österreich auf Dashboards mit Zahlen und Kurven zu Neuinfektionen oder Hospitalisierungen.
Ein Puzzlestück im großen Epidemiebild bleibt dabei jedoch für die breite Bevölkerung völlig ausgeblendet: die Corona-Konzentration im Abwasser, die inzwischen in jedem Bundesland – wenn auch in unterschiedlicher Frequenz und Abdeckung – untersucht wird.
„Ich bin dafür, dass die Öffentlichkeit diese Daten sehen kann. Die hat ja jeder mit seinem Steuergeld bezahlt“, sagt Heribert Insam vom Institut für Mikrobiologie der Universität Innsbruck.
Mit Steuergeld finanziert
Er ist Teil des österreichischen Forschungskonsortiums „Coron-A“, das die Grundlagen für ein Covid-Monitoring der Kläranlagen liefern soll. Die öffentliche Hand – allen voran das Landwirtschafts- und das Wissenschaftsministerium – fördern das Projekt mit 500.000 Euro.
Die Methodik ist bereits so gut entwickelt, dass in den gezogenen Abwasserproben selbst ein Infizierter unter 10.000 Menschen im Einzugsgebiet einer Kläranlage ein Warnsignal erzeugt.
Vor allem lässt sich ablesen, ob die Virenkonzentration zunimmt und somit ein Anstieg der Fallzahlen zu erwarten ist. Und zwar bevor die Infizierten überhaupt Symptome entwickeln.
„Man könnte also der betroffenen Bevölkerung sagen, wir haben ein Problem“, erklärt Insam, warum er für ein öffentliches Abwasser-Dashboard ist. Derzeit stehen die Daten exklusiv einigen Wissenschaftern und diversen Krisenstäben zur Verfügung.
Intern haben die „Coron-A“-Forscher bereits eine „Heatmap“ für österreichweit 26 Kläranlagen erstellt. Diese „Hitzekarte“ leuchtet bei den beprobten Standorten je nach Infektionsgeschehen in den untersuchten Kalenderwochen von Grün bis Rot auf.
Insam speist hier die Daten für die von ihm untersuchten Bundesländer Vorarlberg, Kärnten und Salzburg ein. „Ich sehe hier kein Ansteigen. Wir bewegen uns dort, wo wir im vergangenen Sommer waren. Rein von den Abwasserdaten könnten wir uns entspannt zurücklegen“, sagt der Mikrobiologe.
Die Covid-Proben aus den Kläranlagen, die auf über den Darm ausgeschiedenes Virenmaterial untersucht werden, liefern freilich nur einen Teil für das große Corona-Lagebild. Aber angesichts der Debatte um das aktuelle Ansteigen der Fallzahlen und die Frage, wie sehr die durch die große Anzahl der Tests beeinflusst werden, ist der Befund von Insam bemerkenswert.
Niemand kommt aus
Der große Vorteil der Methode im Vergleich zu den PCR- und Antigentestungen: „Im Abwasser erfassen wir alle. Da kommt niemand aus“, sagt der Tiroler Forscher. Oder vereinfacht gesagt: Jeder muss irgendwann aufs Klo. Und Corona-Fäkalien lügen nicht.
Wobei, ganz so einfach ist es auch nicht. Niederschläge können etwa die Virenkonzentration in den Abwässern verdünnen und die Daten verfälschen. Zudem ist Stuhlgang – etwa bei Pendlern – nicht auf den Wohnort beschränkt.
Darum gibt es auch Gegenstimmen zur Veröffentlichung solcher Daten. Schlecht aufbereitet können sie Verwirrung stiften. Experten sehen zudem auch Potenzial für Stigmatisierungen. In Wien wurde etwa im Jänner die Debatte über den kolportierten Verdacht auf den Fund der britischen Virusvariante im Abwasser zum Politikum.
Insam wiederum ärgert sich, dass „Tirol seine Daten geheim hält“ bzw. nicht teilt. Das Land steht einer Veröffentlichung kritisch gegenüber. „Diese Daten müssen ob ihrer Komplexität von Experten ausgewertet und analysiert werden“, heißt es auf Anfrage.
Gleichzeitig ist Tirol Musterschüler im Monitoring. In 43 Kläranlagen (mehr als in allen anderen Bundesländern zusammen) werden mindestens zwei Mal pro Woche – in Innsbruck sogar täglich – Proben gezogen.
Kommentare