Frühwarnsystem: Abwasser soll zu Tiroler Covid-Herden führen
Es sind nur Milliliter an Klärwasser, das Wissenschafter benötigen, um daraus erstaunliche Erkenntnisse zu gewinnen. Und die können in Corona-Zeiten Gold wert sein, wenn es gilt, Infektionsherde schnellstmöglich zu entdecken und einzudämmen.
Im April hatte ein Team von Forschern aus Innsbruck und Wien berichtet, Bruchstücke von SARS-CoV-2 im Zuwasser von Kläranlagen mittels PCR-Methode nachgewiesen zu haben. Und dass damit ein Monitoring-System entwickelt werden könnte. Denn ein Anstieg des Virenmaterials im Abwasser wäre ein Signal für einen Anstieg der Infiziertenzahl.
In Tirol steht so ein Frühwarnsystem schon in den Startlöchern. „Ziel ist es, ein flächendeckendes Monitoring aufzubauen“, erklärte Landeshauptmann Günter Platter bei einer Pressekonferenz.
43 Kläranlagen
25.000 Euro hat das Land bereits in die Pilotstudie gesteckt. Jetzt werden für die Anschaffung von notwendiger Ausrüstung und Labortechnik weitere 40.000 Euro investiert. Ende August sollen erstmals alle Tiroler Kläranlagen mit einem Einzugsgebiet von mehr als 5.000 Einwohnern beprobt werden. Das sind 43 Standorte.
„Wir haben Mitte April mit dem Projekt gestartet“, sagte Herbert Oberacher vom Institut für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Die bei den bisherigen Testläufen entwickelte Methode bietet laut ihm die Chance, mehrere Tage vor Auftreten von Symptomen bei Infizierten „ein Warnsignal zu haben“.
Die Wissenschafter machen sich zunutze, dass bei jedem zweiten Corona-Fall auch Virusmaterial über den Darm ausgeschieden wird und so ins Abwasser gelangt. Die Forscher können es dann in bei Kläranlagen gezogenen Proben herausfiltern und mit PCR-Tests nachweisen.
„Das Abwasser hat dann auch einen positiven oder negativen PCR-Test“, sagt Oberacher in Anlehnung an die üblichen Rachenabstriche bei Corona-Verdachtsfällen. Die Methode sei derart zuverlässig, dass man feststellen kann, ob unter 10.000 bis 40.000 Personen eine infizierte ist.
Unschärfen der Methode
Und die scheidet eben bereits Virenteile über den Stuhlgang aus, egal ob sie bereits Symptome hat oder diese – wie in vielen Fällen – erst gar nicht entwickelt. Was derzeit noch nicht geht: Aus den Abwasserproben hochrechnen, wie viele Covid-19-Fälle es in einer Gemeinde gibt.
Denn die Virenlast und damit die Zahl der ausgeschiedenen SARS-CoV-2 Bruchstücke ist nicht bei allen Corona-Fällen gleich hoch. Unschärfen bekommt das System auch durch die Mobilität der Menschen. Denn Pendler gehen eben auch an ihrem Arbeitsplatz auf die Toilette, so wie Touristen in Hotels oder Restaurants.
Ein Warnsignal
Wenn es jedoch in einer Kläranlage einen Ausschlag gibt, ist das laut Platter aber für den Krisenstab ein Warnsignal, so wie es umgekehrt Entwarnung sein kann, wenn im Abwasser einer Gemeinde keine Corona-Ausscheidungen zu finden sind.
„Es ist ein weiterer Mosaikstein“, sagt Elmar Rizzoli, der den Einsatzstab des Landes leitet. Mit mobilen Testeinheiten könne man sich zudem im Alarmfall über Knotenpunkte im Kanalnetz zum Infektionsherd vortasten.
Bei ausreichender Engmaschigkeit könnten dann auch „Testungen in einem größeren Gebiet“ als Maßnahme beschlossen werden. Erprobt wurde das System unter anderem in Ischgl, das besonders durchseucht war.
Das späte Erkennen des Ausbruchsherdes hatte im März fatale Folgen. Das Frühwarnsystem soll in der kommenden Wintersaison rechtzeitig Informationen über Regionen liefern, in denen es brenzlig zu werden droht. Beim Testlauf haben sich Anstiege von Infektionen – etwa in Innsbruck – schon vorab im Abwasser ablesen lassen.
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