Erdställe: Ungelöste Rätsel unter der Erde
Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich bei Erdställen nicht um unterirdische Ställe, sondern um Hohlräume aus längst vergangener Zeit. Im Schnitt sind sie 1,20 bis 1,60 Meter hoch, 50 bis 60 Zentimeter breit, zwischen zehn und 100 Meter, einige wenige sogar bis zu einem Kilometer, lang. Manche Stellen („Schlupfe“) können nur kriechend erreicht werden – als Viehställe haben sie wohl kaum gedient.
„Es ist ein Erlebnis, wenn man in so etwas drinnen ist. Man kann sich nicht vorstellen, wofür das gut sein soll“, sagt Höhlenarchäologin Ingrid Kusch.
Wofür diese künstlich vom Menschen aus dem anstehenden Gestein, Löß oder verfestigtem Erdreich geschlagenen Anlagen, von denen es in Österreich – vor allem in NÖ, OÖ, Teilen der Steiermark und dem Burgenland – und in Europa Tausende gibt, tatsächlich einmal gut waren, weiß man schlicht und ergreifend selbst nach jahrzehntelanger internationaler Forschung nicht.
Als Lagerstätten sind sie kaum geeignet, als Verstecke ebenfalls nicht, da es meistens nur einen Eingang gibt. „Man hat keine Möglichkeit zu fliehen, der Feind braucht nur vor dem Eingang ein Feuer machen und man würde sofort darin ersticken“, erklärt Kusch. Die ursprüngliche Funktion der Anlagen gibt also Rätsel auf – und Raum für Mythen, Sagen und die wildesten, kaum vorstellbaren Erklärungsansätze.
„Es ist mit Sicherheit so, dass die Hohlräume immer wieder genutzt wurden. Das macht es so schwierig, die ursprüngliche Verwendung zu ergründen“, sagt der Prähistorische Archäologe und Höhlenforscher Heinrich Kusch, der gemeinsam mit seiner Frau 800 unterirdische Anlagen in der Oststeiermark wiederentdeckt hat.
Als Entstehungszeitraum der Erdställe wird bis jetzt das Früh- bzw. das Hochmittelalter angegeben. Doch die Anlagen könnten viel älter sein und einige seien es nachweislich auch. „Wenn in einem Erdstall etwas gefunden wurde, dann belegt es nicht zwingend den Entstehungszeitraum, sondern kann auch später dort hinein gelangt sein“, erklärt der Forscher. Die ältesten in der Steiermark, die von ihnen datiert werden konnten, sind 10.000 bis 24.000 Jahre alt, aber „auch da könnte es sein, dass sie noch älter sind.“ Es sei durchaus möglich, dass es sowohl sehr alte Objekte, als auch wesentlich jüngere Kopien der Bauwerke gibt.
Tore zur Unterwelt
Und so eine Kopie entsteht gerade im Waldviertel in Niederösterreich. Die Gemeinde Thaya richtet gemeinsam mit Gastern (beide im Bezirk Waidhofen/Thaya) ein Erdstall-Zentrum ein. Dort wird es ab Herbst möglich sein, in einen nachgebauten Erdstall zu kriechen – dieser wird fünf Meter lang sein und kommt aus dem 3D-Drucker. „Wir haben in der Gegend viele Erdställe, aber die sind privat oder aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich“, erklärt Thayas Bürgermeister Eduard Köck, der sagt, dass Thayas Erdställe gut erforscht seien, aber dennoch Mysterien offen blieben.
In der Region gibt es für die Forscher einiges zu tun. Alleine in dem 45 Häuser zählenden Dorf Ulrichschlag, wenige Kilometer von Thaya entfernt, sind es sieben, die als Tor in die Unterwelt zugänglich sind – einer davon direkt durch den Küchenboden eines alten Bauernhauses.
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