Die Gründe dafür muss man in der Vergangenheit suchen, sagt Fake-News-Experte Andre Wolf vom Recherche-Netzwerk Mimikama. „Putin bedient schon seit Jahren die Extreme in Europa. Die Linksextreme von Natur aus, die Rechtsextreme sowie Rechtspopulisten aktiv – inhaltlich und monetär.“ So gab es immer wieder Hinweise darauf, dass die AfD in Deutschland von Russland finanziert worden sein könnte. Und die FPÖ macht aus ihren Verstrickungen mit der Kreml-Partei „Einiges Russland“ schon lange kein Geheimnis mehr.
Hinzu kommt eine starke Politisierung der sozialen Medien seit der Krim-Krise 2014. Schon damals versammelten sich Verschwörungsanhänger zu sogenannten Montagsmahnwachen, um für Russland und gegen den Westen Stimmung zu machen. „Zu dieser Zeit kam der Begriff ‚Lügenpresse‘ auf. Es ging um die bewusste Demontage der Medien und die Etablierung sogenannter alternativer Mediennetzwerke“, erklärt Wolf.
Und diese seien seit jeher rechtspopulistisch und Putin-freundlich. Er meint damit parteinahe Blogs, Webseiten und Russlands staatliche Nachrichtenseiten, die tendenziös und mehr meinungs- als informationsbasiert berichten. Verbreitet werden die Inhalte über Messengerdienste wie Telegram.
Als dann die Corona-Demonstrationen aufkamen, wurden diese bewusst von Rechtspopulisten und Rechtsextremen genutzt. Herbert Kickl hielt leidenschaftliche Reden, die Identitäre Bewegung verteilte jede Woche Flyer. Andre Wolf: „Das Putin-freundliche Gedankengut war von Anfang an dabei und ist tief verwurzelt in der Szene.“ Für ihn ist der Schwenk vom Corona-Verschwörungsanhänger zum Putin-Verehrer also nicht verwunderlich.
Interessant zu beobachten sei allerdings, dass die Szene derzeit noch gespalten sei. Nicht alle würden Putins Krieg befürworten, manche stünden auf der Seite ukrainischer Nationalisten. Das sieht man auch auf Telegram. Zwischen russlandfreundlichen Kommentaren mischen sich Beiträge, die Moskau völkerrechtswidriges Vorgehen vorwerfen. „Die Marschrichtung ist im Moment noch nicht vorgegeben“, meint Wolf.
Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen sieht einen weiteren Grund für den Themenschwenk der Verschwörungsanhänger von Corona zum Ukraine-Krieg: Ihnen gehe das Protestpotenzial aus. Die Beschränkungen wurden aufgehoben, nun sogar die Impfpflicht ausgesetzt. Es scheint, als würde es neue Munition brauchen.
Aber die selbst ernannten Querdenker gehen noch weiter und stellen auf Telegram einen Zusammenhang zwischen dem Krieg und der Pandemie her. So spricht der ehemalige Kärntner Landtagsabgeordnete und nunmehrige Demo-Organisator Martin Rutter in einem Audio-Beitrag davon, der Krieg sei jetzt die Ablenkung von einer „herbeigetesteten Plandemie“, um dessen Folgen einer anderen Ursache zuzuschreiben. Dies alles würde einem Drehbuch folgen. Aber von wem?
Hier gelangt man schnell bei altbekannten antisemitischen, antiamerikanischen Verschwörungsmythen und Feindbildern an, wie dem Investor George Soros. Das Ziel all dessen sei der Great Reset, also der große Neustart. Damit gemeint sind die angeblichen Weltherrschaftspläne einer finanziellen und politischen Elite.
„Wir sprechen dabei von einem Erzähluniversum, in dem sich alle Verschwörungstheorien aufeinander beziehen. Es werden Zusammenhänge gesehen, die gar nicht da sind. Und dahinter stünde ein großer Plan“, erklärt Experte Andre Wolf. „Die Verschwörungsszene greift immer alles auf, was gerade passiert“, sagt auch Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. Und glaubt man erstmal eine Verschwörungserzählung, ist es relativ wahrscheinlich, auch weitere zu glauben – wie zuerst jene von der gesteuerten Pandemie und jetzt Putins vermeintlich gerechtfertigte Verteidigung gegen die Ukraine oder die NATO. Laut einer Market-Umfrage tendiert rund ein Drittel der Österreicher dazu, Verschwörungstheorien zu glauben. Bei Männern ist der Anteil etwas höher als bei Frauen.
Daher sei es wichtig, Verschwörungsmythen zu kennen, um sie abwehren zu können, meint Andre Wolf. Er ist sich sicher, dass sich die Szene auch der nächsten großen Themen unserer Zeit annehmen werde – wie Klimaschutz und Energie. Den Weg dafür würden rechte Parteien bereits jetzt ebnen, indem sie den menschengemachten Klimawandel leugnen und den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen infrage stellen.
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