Wie zwei Verschwörungsanhänger den Ausstieg schafften
Wenn er von seinem früheren Weltbild erzählt, wirkt er beinahe entsetzt. Es geht darin um Ufos, die auf der Erde landen. Um Donald Trump als Retter der Welt. Und um die Corona-Impfung, geschickt vom Teufel, um uns alle zu vernichten. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Zu groß sind die Befürchtungen, seine berufliche Tätigkeit zu gefährden. Stattdessen möchte er „Herr Hans“ genannt werden. Ein Mann Ende 60, selbstständig, der einst der Liebe wegen von Tirol nach Niederösterreich kam. Und der es schaffte, sich aus der Welt der Verschwörungstheorien zu befreien.
Angefangen hat alles vor über 20 Jahren. Bei einer Ausbildung zum Energieheiler erzählte ihm ein Lehrer von einem Ufo, das vor seinem Haus gelandet sei. Außerdem stünden große Umwälzungen bevor. Die Russen würden in Österreich einfallen und alle niedermetzeln. Staudämme würden brechen. „Mein erster Gedanke war: Das ist verrückt. Aber irgendwie sind diese kruden Ideen in meinem Hinterkopf hängen geblieben“, sagt Herr Hans.
Viele Jahre später, er lebte bereits in Niederösterreich, sprach ihn ein Mann bei einem Flohmarkt an. Er sei Teil einer Gruppe, die sich mit Esoterik und Energetik beschäftige. Er lud ihn zu einem Treffen ein und Herr Hans fuhr hin. „Ich habe gleich gemerkt, dass das obskure Menschen sind. Aber zwei von ihnen standen voll im Leben und wir haben uns angefreundet.“
Sie erzählten ihm, die Medien würden lügen. Für die Wahrheit müsse man tief im Internet graben. Etwa auf der Seite von Walter Eichelburg, Verschwörungstheoretiker und inzwischen wegen Verhetzung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Es war der Anfang seiner „Katastrophenzeit“, wie Herr Hans es nennt. Fortan wühlte er sich durch die Untiefen der Verschwörungsplattformen.
Die düsteren Hirngespinste über blutige Umstürze durch Flüchtlinge jagten ihm derart Angst ein, dass er sich Pfefferspray und Gummiknüppel zulegte. Als Trump an der Macht war, war er überzeugt, nur er könne uns vor dem „deep state“, dem Staat im Staate, bewahren. Und als die Pandemie begann, glaubte Herr Hans, Corona sei nur erfunden worden, um Menschen zu unterdrücken und sie mit der Impfung zu chippen. „Ich bin richtig hineingekracht.“
Die hohle Erde
Gerald B. sitzt in einem fast leeren Café am Rande von Wels. Seine langen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Früher war die Erde für ihn hohl. Und gleichzeitig im Begriff zu schrumpfen. So seien auch die Berge entstanden, glaubte er damals, und deutet zur Veranschaulichung auf die Falten seines Zeigefingerknöchels.
Als 22-Jähriger stieß er über seinen damaligen Freundeskreis auf das Buch „Zeit für die Wahrheit“. Darin hieß es, die wissenschaftliche Auffassung zur Entstehung des Sonnensystems sei eine Lüge. Die Planeten seien mit Wasserstoff gefüllt. „Es hat mir komplizierte Fakten einfach erklärt und ich fand diese Welt faszinierend“, erklärt er.
Die folgenden Jahre beschäftigte er sich mit allerlei Verschwörungsmythen, bis er sie letztlich glaubte. Etwa, dass auf der Rückseite des Mondes eine Alienmumie liege. Aids und Krebs Lügen von Big Pharma seien, um Geld zu machen. Und 9/11 eine Verschwörung der Amerikaner. „Ich bin von einem Bauernfänger zum nächsten gesprungen“, sagt der Innviertler. Irgendwann landete er bei antisemitischen Verschwörungserzählungen über jüdische Eliten. „Ich habe lange nicht begriffen, wie schnell man dabei nach rechts abbiegen kann. Du fängst als linker Eso-Fuzzi an und wirst als rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker wieder ausgespuckt.“
Er sei das beste Beispiel dafür, dass es Verschwörungstheorien nicht erst seit der Pandemie gebe. „Sie waren immer schon da. Und sie werden auch nach Corona noch da sein. Nur ziehen sich die Anhänger vielleicht wieder in ihre Blasen zurück und stehen nicht in Wien auf der Straße.“
Die Pläne der Mächtigen
Aber wie wurde aus Faszination Überzeugung? Ganz begreifen kann es der 40-jährige B. bis heute nicht. Er wagt trotzdem einen Versuch. Er habe sich damals unsicher gefühlt, alle anderen hätten einen Plan für ihr Leben gehabt und er nicht. Und als „kleines Männlein“ die vermeintlichen Pläne der Mächtigen zu durchschauen, habe ihm ein Gefühl von Größe verliehen. Hinzu kam die Bestätigung durch seine Freunde.
Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen erklärt die Hinwendung zu solchen Mythen mit der narzisstischen Befriedigung, Teil eines Kreises von Wissenden zu sein. „Dieses Pseudowissen wirkt dem Gefühl von Kontrollverlust entgegen und lockt mit scheinbarer Macht“, sagt sie. Situationen, wie nun die Pandemie, würden uns mit ihrer Komplexität überfordern. „Sie geben uns einfache Erklärungen und dämonisierte Schuldige.“ Ein Bonus sei die erhöhte Aufmerksamkeit durch das Belehren anderer. Und je öfter wir eine Aussage hören, umso glaubwürdiger werde sie, sagt Schiesser. Schließlich würden wir nur noch Informationen akzeptieren, die diese Meinung bestätigen.
Für Herrn Hans waren Verschwörungstheorien wie eine Sucht. Jeden Tag benötigte er seine Dosis bedrohlicher Prophezeiungen aus dem Internet. Einerseits fühlte er sich mit seinem Wissen überlegen. Andererseits lebte er in permanenter Angst. Er sei zittrig geworden und für sein Umfeld nicht wiederzuerkennen. Bis ihm seine Lebensgefährtin ein Ultimatum setzte. „Sie hat gesagt, wenn du nicht innerhalb von acht Tagen damit aufhörst, will ich dich nicht mehr in meinem Leben haben.“ Dies sei die „Gnackwatsch’n“ gewesen, die er gebraucht habe. Sie wandten sich an die Bundesstelle für Sektenfragen. Nach ein paar Sitzungen habe er all das überdacht, was ihn „in die Ecke der Schwurbler“ gebracht habe. Und er löschte von einem Tag auf den anderen alle Seiten und Links zu den für ihn so verführerischen Ideologien. Das war vor einem Jahr.
Mittlerweile ist der knapp 70-Jährige drei Mal gegen Corona geimpft. Die Angst vor dem Chip konnte er mit Recherchen auf wissenschaftlichen Seiten überwinden. Und er fügt lächelnd hinzu, während er auf sein Handy zeigt: „Die Möglichkeit, uns jederzeit aufzuspüren, gibt es auch ohne Chip.“
Erste Risse
Dass Menschen den Weg aus Verschwörungsideologien finden, kommt immer wieder vor. „Manche werden davon abgeschreckt, dass die Inhalte immer krasser werden“, sagt Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. Andere könne ein schwerer Corona-Verlauf zum Umdenken veranlassen. Erste Zweifel würden meist beiseitegeschoben. Denn ein solcher Prozess sei anstrengend und verunsichernd. Doch sobald es erste Risse gebe, sei es nur noch schwer möglich, auf dieser Ideologie zu beharren.
Gerald B. hat den Ausstieg bereits 2016 geschafft. Zuerst machten ihn Widersprüchlichkeiten so mancher Theorien stutzig. Einerseits besagten seine Quellen, die Erde würde schrumpfen. Andererseits, die Kontinente hätten früher die gesamte Erdoberfläche bedeckt. „Schrumpft sie jetzt oder dehnt sie sich aus?“, fragte er sich. Ein weiterer Puzzlestein des „Erwachens vom Erwachen“, wie es der Systemadministrator formuliert, war das Gespräch mit einem Kollegen. „Er hat mich ohne Druck gefragt, warum ich an diese Dinge glaube und mich zum Nachdenken gebracht.“ Den Ausschlag gab das Youtube-Video eines Schmieds. Verschwörungsmythen behaupten, dass die Hitze des Kerosins nicht ausgereicht hätte, um den Stahl des World Trade Centers zu verbiegen. Der US-Amerikaner zeigt darin vor, dass es durchaus möglich ist. „Da hat es Klick gemacht. Und ich musste mir eingestehen, dass ich die letzten zehn Jahre in einer Traumwelt gelebt habe.“
Heute produziert Gerald B. selbst Youtube-Videos. Als „Ascendancer“ zerpflückt er Thesen der Coronaleugner. Er ist froh, den Ausstieg vor Ausbruch der Pandemie geschafft zu haben. Denn auch er war einst Impfgegner, auch wenn es damals noch nichts mit Corona zu tun hatte. Die Schutzimpfung gegen Covid-19 war nun sein erster Stich seit 20 Jahren.
Die Bundesstelle für Sektenfragen berät Angehörige und Betroffene im Umgang mit Verschwörungstheorien unter 01/513 04 60 oder bundesstelle@sektenfragen.at. Ebenso die Beratungsstelle Extremismus unter 0800/2020 44. Auf www.mimikama.at gibt es Faktenchecks zu Fake News.
Sektenbericht
Seit Beginn der Pandemie verzeichnete die Sektenstelle einen starken Anstieg bei Anfragen zu Verschwörungsmythen. Zudem rücken derlei Ideologien vermehrt in die Mitte der Gesellschaft, die Inhalte werden extremer.
32 Prozent der Österreicher geht laut einer Umfrage des Market Instituts davon aus, dass bei Corona „nicht mit offenen Karten gespielt wird“.
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