El-Shamy: "Die Hassprediger sitzen in den politischen Ämtern und Ministerien"

Salafist, Amir El Shamy
Amir El-Shamy kandidierte einst für die Wiener SPÖ. Jetzt will er Menschen "aufklären". Der 27-jährige Muslim steht unter Salafismus-Verdacht. Ein Interview über Extremismus-Vorwürfe, die Organisation "Iman" und die Entscheidung, Frauen nicht die Hand zu reichen.

Amir El-Shamy wählt seine Worte genau. Das hat er gelernt. Sieben Jahre lang engagierte er sich bei der SPÖ in Wien. Vor wenigen Wochen gab er seinen Austritt bekannt. Es ist ein jäher Schnitt. El-Shamy war nicht nur Nachwuchs-Politiker. Er war auch Integrationsbotschafter beim Integrationsfonds, hatte sich außerdem beim Jugendrat der islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) engagiert. All das ist Geschichte. Jetzt konzentriert er sich auf die "Aufklärung". Konkret ist der Student Generalsekretär bei "Iman". Die Organisation steht unter Salafismus-Verdacht.

Der KURIER traf El-Shamy in Kagran zum Interview (siehe unten, Anm.). Die Hand reicht er zur Begrüßung nur dem Fotografen. Dem erklärt er (vergeblich): "Das Bild suchen wir aus." Auch das Fotomotiv will er bestimmen. Am liebsten wäre es ihm vor dem Eingang zum Donauzentrum, denn dort steht er jedes zweite Wochenende, um "aufzuklären".

Ein "normaler Muslim"

Er sei ein "ganz normaler Muslim", erklärt er im folgenden Gespräch mehrfach, der sich an das österreichische und das islamische Recht halte. Das Zitat hätte er auch gerne als Titel zu dieser Geschichte.

Ein ganz normaler Muslim? Diese Meinung teilt nicht jeder. Ermittler des Verfassungsschutzes beobachten "Iman". Die Organisation gilt als bedenklich, als Verfechter eines politischen Islam. Auf der Straße werden von den Unterstützern Flyer verteilt, um die Menschen "zum Islam zu führen". In sozialen Medien werden Videos veröffentlicht, in denen Menschen auf der Straße vom "einzig wahren Glauben" überzeugt werden sollen.

Vor wenigen Jahren war das für El-Shamy noch kein Thema. Er war Schulsprecher, mochte American Football, veranstaltete Grillfeste. "Er wollte Politiker werden, hat sich sehr engagiert", erinnert sich Omar Al-Rawi, SPÖ-Gemeinderat. Er war für ihn eine Art väterlicher Freund. Der ägyptischstämmige junge Mann war in der "Jungen Generation" und der Floridsdorfer Bezirkspartei, kandidierte 2015 (erfolglos) für den Gemeinderat.

Doch vor rund zwei Jahren änderte sich das Leben El-Shamys. Private Rückschläge und familiäre Probleme dürften ihm zu schaffen gemacht haben. In dieser Zeit fand er Anschluss bei streng gläubigen Muslimen, erzählen Weggefährten. Plötzlich ließ er sich einen Bart wachsen, Musik war tabu. Im Jugendrat der IGGiÖ eckte er an. In seiner Funktion als Integrationsbotschafter reichte er Frauen nicht mehr die Hand. Der Integrationsfonds beendete die Zusammenarbeit mit ihm.

"Ich habe damals versucht, ihm zu helfen, wollte ihm klar machen, dass seine Ansichten falsch sind. Aber er hat nicht mehr auf mich gehört", sagt Al-Rawi.

Erleichterung

Aufgefallen war El-Shamy erstmals 2015, als er erklärte, dass Aleviten keine Muslime seien. Die große Empörung kam aber erst, als bekannt wurde, dass er Teil von "Iman" ist. Die SPÖ drohte einen Parteiausschluss an. Mit "großer Erleichterung" nahm man schließlich die Ankündigung des Austritts wahr. "Die Sache ist geklärt und wir gehen ab jetzt getrennte Wege", sagt Sybille Straubinger, Landesparteisekretärin der SPÖ Wien. Lange sei die Entwicklung des jungen Mannes nicht bemerkt worden, gibt man sich in der Partei zerknirscht. Künftig wolle man "genauer schauen, wie sich die Leute entwickeln". Selbst seine Schwester distanzierte sich via KURIER von ihm.

Im Austrittsvideo wünschte El-Shamy den Zuschauern noch einen schönen Ramadan. "Es könnte der letzte sein." Der KURIER hätte gern genau erfahren, warum er diese Diktion gewählt hat. Die Antwort fiel vage aus. Nachfragen wollte El-Shamy dezidiert aus dem Interview entfernt haben. ;

Interview: Ein Jungpolitiker und die Radikalisierung

KURIER: Herr El-Shamy, Sie haben Ihren Parteiaustritt in einem Video verkündet. Ihr letzter Satz lautet: Genießt den Ramadan, es könnte unser letzter sein. Das klingt nach Endzeit. Das kann man falsch verstehen.

Amir El-Shamy: Wir haben sehr lange nachgedacht, ob wir dieses Video machen. Ich möchte mit dem Video sehr viele Menschen ansprechen, mit diesem Satz spreche ich direkt die Muslime an.

In Posts ist ein weiterer Satz hinterfragt worden – der Islam, die einzig wahre Religion. Das heißt, Christentum, Buddhismus etc., könnte man jetzt rückschließen, erkennen Sie nicht an.

Das ist kein Widerspruch.

Ist es nicht?

Davon ist jeder Muslim überzeugt. Vielleicht spricht es nicht jeder Muslim aus, aber daran glaubt jeder. Christentum und Judentum haben Existenzberechtigung. Wir haben nichts gegen Juden und Christen, wir sind ganz friedlich. Wir arbeiten sogar mit Nicht-Muslimen zusammen.

Die FPÖ hat damals dafür gesorgt, dass bekannt wurde, dass Sie sich bei der Organisation "Iman" engagieren und Ihnen salafistische Tendenzen vorgeworfen.

Das lehne ich natürlich ab. Wir zählen uns zu keiner Gruppe, wir zählen uns zu keiner Sekte. Was wir häufig bemerken, ist, dass uns keine Gelehrten kritisieren. Uns kritisieren rechte Politiker und selbst ernannte Islamexperten, die hauptsächlich über Alkoholverbote in türkischen Restaurants diskutieren.

Auch die liberalen Muslime haben sich sehr kritisch geäußert.

Das lasse ich unkommentiert. Liberale Muslime sagt alles.

El-Shamy: "Die Hassprediger sitzen in den politischen Ämtern und Ministerien"
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Wie groß ist "Iman" eigentlich?

Die ganze Aufklärungskampagne in Österreich umfasst ungefähr 30 Personen. Von denen sind sehr viele teilweise dabei, machen spontan mit. Manche, da zähle ich mich dazu, sehen das als ihre Hauptaufgabe. Da sprechen wir von zwei Leuten. Nach den Terrorakten haben wir eine Deklaration gegen Extremismus gemacht, das ist mir wichtig. Wir sind Muslime der Mitte. Weder radikal noch extremistisch.

Warum ist der Verfassungsschutz dann so interessiert an Ihnen?

Es gibt nichts, das wir gegen die Gesetze machen. Wir machen Aufklärungskampagnen, wir sprechen mit Leuten über den Islam und das ist alles.

Arbeiten Sie ehrenamtlich?

Unsere Mitglieder finanzieren uns.

Können Sie nachvollziehen, dass manche Leute ein Problem damit haben, wenn Sie einen bärtigen Muslim sehen? Der braucht jetzt nicht mal einen Koran verteilen.

Sie wissen, dass wir keinen Koran verteilen. Natürlich verstehe ich die Situation im Land. Ich bin Politologe. Aber es kann uns niemand verbieten, dass wir mit den Leuten ins Gespräch kommen. Es gibt einen Unterschied zwischen Hasspredigern und uns. Die Hassprediger sitzen beispielsweise in den politischen Ämtern und Ministerien (er bezieht sich damit auf eine Aussage von ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz, islamische Kindergärten zu verbieten, Anm.) – das würde ich als radikales Gedankengut einschätzen.

Der Integrationsfonds hat sehr viel Wert darauf gelegt, klarzustellen, dass Sie nicht mehr als Integrationsbotschafter arbeiten. Unter anderem, weil Sie Frauen nicht mehr die Hand reichen.

Das sind kleine Themen, wie das Kopftuch. Uns ist aber wichtig, dass man über die große Sache spricht. Warum der Islam wahrhaftig ist und am Ende ins Paradies führt.

Aber es ist ein unmittelbares Thema, das jeder spüren kann.

Fühlen Sie sich respektlos behandelt?

Für mich ist das eigenartig, weil ich es auch gewohnt bin.

Ich verstehe es. Sie sind es gewohnt, dass Sie Männer, mit denen Sie nicht verheiratet sind, berühren, dessen bin ich mir bewusst. Aber ich habe mich einfach so entschieden, dass ich alle Menschen so respektvoll behandle, wie ich respektvoll behandelt werden will. Ich bin der erste Muslim, der in einer österreichischen Partei aufgestanden ist und Menschen davon überzeugt hat, den Islam als perfekte Religion zu sehen.

Gerade in Österreich gibt es doch eine strikte Trennung zwischen Religion und Politik.

Das fragen Sie mal die Christlich-Sozialen. Fragen Sie die Frau Mikl-Leitner (Landeshauptfrau, Anm.) in NÖ, ob sie auf christliche Werte verzichten würde. So lange es christliche Parteien in Österreich gibt, kann man nichts dagegen sagen, dass ein Muslim aufsteht und sagt: Der Islam ist die einzig wahre Religion.

Können Sie mich überhaupt akzeptieren als nicht-muslimische Frau, die aus Reflex gleich einmal die Hand geben will, die das Haar offen trägt, die sich schminkt, als Journalistin?

Sie sind eine Journalistin und eine Frau, und natürlich respektiere ich Sie. Sie sind mein Interviewpartner und ich respektiere Ihre Arbeit, auch als Nicht-Muslimin. Klar bin ich davon überzeugt, dass der Islam die beste Religion ist und natürlich lade ich Sie ein, den Islam näher kennen zu lernen.

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